Hollande goes Schröder
15. Januar 2014"Ich bin Sozialdemokrat!" Da steht François Hollande im Festsaal des Elysée-Palastes vor 600 Journalisten und bekräftigt immer wieder diesen Satz. Eingerahmt von schwersamtenen Vorhängen und der leichten Trikolore spricht er auf der Neujahrspressekonferenz. Sie ist ein mediales Großereignis in Frankreich, die dritte in der Amtszeit des Sozialisten.
Und sie ist die Gelegenheit für den Präsidenten, Weichen zu stellen. François Hollande will über Politik reden. Und über einen wirtschaftlichen Aufschwung: "Ich habe eine Überzeugung. Sie ist stark", sagt er. "Wenn Frankreich seinen Einfluss in der Welt bewahren will, wenn es weiter in Europa mitentscheiden will, und wenn es weiter Herrin seines Schicksals sein will, dann muss es unbedingt zu neuer Wirtschaftsstärke finden."
"Gewählt mit Unterstützung der Linken"
Die 40 Minuten präsidialen Monologs dienen dem immer selben Ziel: Den Franzosen neuen Glauben in die Kraft ihres Landes einzuhauchen. Der Weg dorthin erfordert nichts Geringeres als die radikale Umkehr seiner bisherigen Politik: Weniger Wohlfahrt, mehr Markt, mehr Verantwortung für den Einzelnen. Hollande spricht von Maßnahmen zur Ankurbelung der Konjunktur, von Einsparungen im Haushalt wie in den Sozialsystemen. Und vor allem spricht er über den "Verantwortlichkeitspakt", der die Lohnnebenkosten für Unternehmen um 35 Milliarden Euro senken soll. Ohne diesen Pakt soll nichts mehr gehen - im Gegenzug für neue Jobs.
Dabei positioniert er sich fast verbissen klar. Der Mann mit dem Parteibuch der Sozialisten will kein verschämter Sozialdemokrat mehr sein. "Ich bin mit Unterstützung der sozialistischen Partei und der Linken gewählt worden", ruft er. "Natürlich bin ich meinen Überzeugungen immer treu geblieben. Bin ich ein Sozialdemokrat? Ja! So ist dieser Verantwortlichkeitspakt auch nichts anderes ist als ein sozialer Kompromiss. Ich bin nicht plötzlich dem Liberalismus verfallen."
Sparen bis 2017
Diese Übung vollführt der Präsident seit nunmehr zwei Wochen. Schon in seiner Neujahresansprache im Fernsehen machte er klar: 15 Milliarden Euro müssen 2014 gespart werden, 50 Milliarden bis 2017. Um jede Ausgabe zu kontrollieren, gibt es sogar eine neue Behörde. Sie heißt "Strategischer Ausgabenrat".
"Manche werden mich fragen: 'Warum kurbeln Sie denn nicht die Nachfrage an?' Ich sage Ihnen: Würde es für einen linken Politiker reichen, das Defizit immer weiter zu vergrößern, dann müsste man meine Vorgänger als Linksextreme bezeichnen."
Der staatstragende, streng an das Protokoll der Republik gebundene Rahmen dieser Pressekonferenz behagt dem Freund kleiner Runden wenig. Aber er bietet das Ambiente für ein anderes Thema, das Hollande im nächsten Jahr voranbringen will: Europa und seinen deutsch-französischen Motor.
"Die Initiativen für Europa müssen von Deutschland und Frankreich kommen", sagt er. "Wirtschaftlich und sozial müssen wir zusammenfinden. Deutschlands große Koalition hat eben entschieden, einen Mindestlohn einzuführen. Das ist ein erster Schritt. Unsererseits müssen wir auch unsere Steuerpolitik angleichen."
Ein Airbus der Energiewende
Im nächsten Punkt folgt schon die Vision einer von Paris und Berlin gemeinsam gestalteten Energiewende: "Bei den erneuerbaren Energien hat Deutschland einen Vorsprung. Aber bei der Energielagerung und den Stromnetzen, da haben wir unsere Avantgarde. Vor allem beim Aufbau neuer Industriezweige müssen wir zusammenarbeiten. Wir sind stolz auf Airbus. Jetzt wollen wir ein gemeinsames Unternehmen für die Energiewende!"
Auch von einer gemeinsamen Verantwortung in der Verteidigungspolitik spricht er. "Enge Absprachen zwischen der Kanzlerin, mir und unseren Ministern" bei allen wichtigen Themen sollen eine "deutsch-französische Dynamik für Europa" schaffen. "Wenn wir denn dazu fähig sind", fügt er hinzu. Da ist er wieder, der zaudernde François Hollande.
Und wie geht es Ihrer Freundin?
Dann sind die Ankündigungen für den politischen Fahrplan dieses Jahres vorbei, und es folgt die erwartete kalte Dusche. Im Anschluss sind nämlich die Fragen der Presse vorgesehen, prompt lautet die erste: Wird Valérie Trierweiler den Präsidenten auf seinem Besuch in Washington Anfang Februar begleiten?
Das ist es, was das Land bewegt. Die Lebensgefährtin Hollandes liegt seit Tagen wegen "Erschöpfung" im Krankenhaus, nachdem ein Pariser Klatschmagazin von einer angeblichen Affäre Hollandes mit einer Schauspielerin berichtet hatte. "Ich verstehe Ihre Frage. Sicher werden Sie meine Antwort verstehen", antwortet der Staatschef mechanisch. "Im Privatleben steht jeder einmal vor Prüfungen. Das tut weh. Aber ich habe ein Prinzip: Privatsachen werden privat geregelt."
Auf den Spuren Gerhard Schröders
Dann geht es weiter zu eigentlich dringenderen Themen Bildung, Jugend, Gesundheit. Insgesamt rund zweieinhalb Stunden spricht Hollande vor der Presse und verbittet sich jedes Nachhaken zu seinem Privatleben.
Er gleiche jetzt mehr einem Gerhard Schröder als einem Lionel Jospin, werden die Kommentatoren am Abend berichten und an den Wahlkämpfer Hollande erinnern, der mit der 75-Prozent-Reichensteuer und einem südeuropäischen Bündnis gegen Angela Merkels Spardiktat die Macht erobert hatte.
Das Elysée gehört nicht den Wirtschaftsbossen
Die Gewerkschaften formulieren den Vorwurf, dass der Präsident seine Denkmodelle für bankrott erkläre. "Er macht sein liberales Coming-out", sagt etwa Jean-Claude Mailly, der Generalsekretär der Gewerkschaft Force Ouvrière.
"Beschäftigungspolitik ist nicht mehr sein Problem, sondern das der Arbeitgeber. Also geben wir ihnen 35 Milliarden, und dann sehen wir schon, was draus wird. Hier bestätigt sich eine hastige Orientierung hin zum Wirtschaftsliberalismus. Das ist gefährlich. Er ist der Präsident Frankreichs! Nicht die Wirtschaftsbosse."