Der Fluch der "fliegenden Toilette"
19. November 2014Jeden Tag kämpfen die Bewohner von Kibera aufs Neue gegen Abfall und Dreck im größten städtischen Slum von ganz Ostafrika. Das Schlimmste aber ist der Mangel an Toiletten: Die meisten Häuser sind notdürftig zusammengezimmerte Wellblechhütten - Platz fürs stille Örtchen gibt es nicht. Und selbst wenn, dann bringt es nichts: Die Hütten haben weder Anschluss an fließend Wasser noch an eine Kanalisation.
Während die Vereinten Nationen am Donnerstag (19.11.) den Welttoilettentag begehen, heißt das für die meisten Bewohner von Kibera, dass sie schlicht und einfach keine haben. Sie müssen sich irgendwie anders behelfen, und so wurde der Begriff der "fliegenden Toilette" inzwischen zum geflügelten Begriff: Die Menschen verrichten ihre Notdurft in kleinen Plastiktüten, die dann im Straßengraben oder auf Hausdächern landen. Ein idealer Nährboden für Krankheiten - vom Geruch ganz zu schweigen.
Eine Frage der Würde
Daher versuchen Bewohner und Nichtregierungsorganisationen seit einigen Jahren Abhilfe zu schaffen. Hierbei geht es nicht nur um Krankheitsvermeidung, sondern auch darum, den Menschen ihre Würde zurückzugeben. Das neueste Projekt: Ein moderner groß angelegter Sanitärblock, angestrichen in frischem Weiß und Blau, den die Nichtregierungsorganisation "Human Needs Project Organisation" im Slum gebaut hat. Finanziert wird das Projekt unter anderem von der US-amerikanischen Melinda and Bill Gates-Stiftung.
Die Anlage hat mehr als 20 Damen- und Herrentoiletten, Duschzellen mit Warmwasser und eine Waschecke mit zwei Waschmaschinen und Trocknern. Das Wasser wird durch Solarzellen auf dem Flachdach erhitzt. Knapp 80 Eurocent kostet der Eintritt. Klingt nicht viel, doch für den durchschnittlichen Bewohner von Kibera entspricht es genau der Summe, die ihm tagtäglich zum Überleben zur Verfügung steht.
"Dieses Projekt hat uns sehr geholfen", sagt trotzdem Yunia Nyamboke, eine Mutter von sechs Kindern, die gerade ihre Wäsche in dem neuen Block wäscht. "Das ist hier so sauber. In den alten dreckigen Toiletten, die die Stadt hier aufgestellt hatte, sah es nie so aus." Das Problem seien schon immer die Sanitäranlagen geweseb, pflichtet ihr Joseph Omondi bei. "Unsere Häuser haben ja keine Toilette. Das Projekt hier hilft uns sehr."
Biogas statt "fliegender Toiletten"
Neu ist das "Human Needs Project" nicht: Vorbild war eine ganz ähnliche Anlage, die die die NGO Umande Trust dank schwedischer Hilfe vor sieben Jahren in Kibera errichtet hat. In dem sogenannten "Bio-Zentrum" gibt es 8 Latrinen, Duschen und Waschgelegenheiten. Die Fäkalien werden in eine Biogasanlage geleitet. Die so gewonnene Energie dient zum Erhitzen des Duschwassers oder zum Kochen. Auf dem Dach der Anlage sind Büros und ein Konferenzsaal.
Das im Juli eingeweihte neue "Human Needs Project” bietet nun doppelt so viel Fläche für weitere Einrichtungen: Es gibt neben Sozialbüros und Vereinsräumen ein Geschäft, ein Restaurant und ein Internetkaffee. Zudem verfügt die Anlage über eine Wasserstelle, an der sich ein Großteil der Bevölkerung Kiberas mit sauberem Trinkwasser versorgen kann.
"Das ist der einzige Platz in Kibera, wo wir mehrere Dienste zu einem erschwinglichen Preis für die Menschen anbieten können", sagt Shafi Abdalla, einer der Projektmanager.
Neben diesen fortschrittlichen Gebäuden sind in Kibera auch mehrere mobile Toiletten aufgestellt worden, wo sich die Menschen für 5 kenianische Shilling (rund 4 Eurocent) erleichtern können.
Landflucht hält an
Trotz aller Begeisterung für ihr Projekt, geben sich die Macher keiner Illusion hin. "Hunderttausende Menschen leben hier in Kibera", erklärt John Gage, der den Bau der Anlage von Anfang an begleitet hat. "Es gibt in Kibera gerade einmal eine Sanitäranlage, die das Abwasser filtert - das heißt, das gesamte Abwasser fließt in den Boden."
Bemühungen der kenianischen Regierung, Slums wie Kibera in den größten Städten des Landes aufzulösen und die Menschen auf andere Stadtteile zu verteilen, verliefen bislang ergebnislos. Stetig strömen neue Menschen aus den ländlichen Gegenden Kenias nach Kibera, weil sie dort auf ein besseres Leben hoffen, auf Bildung und Beschäftigung. Die meisten von ihnen werden auch weiterhin auf "fliegende Toiletten" angewiesen sein.