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Der Frust der jungen Palästinenser

Sven Pöhle14. Oktober 2015

Ein junger Palästinenser wird vor der Altstadt Jerusalems erschossen. Er soll einen Messerangriff versucht haben. Die Gewalt zwischen Israelis und Palästinensern nimmt nicht ab - im Gegenteil. Aus Jerusalem Sven Pöhle.

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Jerusalem: Nach dem Angriff am Damaskus-Tor
Bild: picture alliance/ZUMA Press/M. Abu Turk

Die Schüsse waren deutlich zu hören. Nicht weit von der Klagemauer und dem Hochplateau, auf dem die Al-Aksa-Moschee und der islamische Felsendom stehen. Sie kamen aus entgegengesetzter Richtung. Zwei schnelle Salven. Kurz darauf laufen israelische Soldaten in der Via Dolorosa in Richtung des Damaskus-Tores, dem Eingang zur Altstadt, der zunächst abgesperrt wird. Schon wenige Minuten später sind erste Bilder bei Facebook zu sehen: Sie zeigen einen jungen Mann, der vor dem Damaskus-Tor liegt. Ob tot oder verletzt, ist zunächst nicht auszumachen.

Opfermythos und virtuelle Schlachtfelder

Nach und nach kommen Informationen. Ein 17-jähriger Palästinenser wurde angeschossen, heißt es. Ein Video bei Facebook zeigt, wie er offenbar verwundet auf dem Boden liegend die Hand bewegt. Später berichtet die israelische Armee von dem Vorfall. Der junge Mann habe einen Messerangriff versucht. Verletzte habe es nicht gegeben. Der Mann sei erschossen worden.

Solche Angriffe gibt es nun nahezu täglich. Junge Palästinenser attackieren Juden mit Messern. Israelische Soldaten feuern auf Jugendliche. 30 durch Israel getötete Palästinenser auf der einen Seite, sieben israelisch-jüdische Todesopfer auf der anderen Seite.

Viele Menschen sind verängstigt - und wütend. Für die Palästinenser sind die Tötungen durch die Sicherheitskräfte nicht legal. Die vermeintlichen Angreifer hätten keine Messer gehabt, behaupten viele. Videos in den sozialen Medien sollen dies belegen. Und sie verbreiten sich rasant. Jenes, dass den verwundeten Palästinenser vor dem Damaskus-Tor zeigt, ist in weniger als einer Stunde über 300.000 mal gesehen worden. "Märtyrer" nennen viele die getöteten Palästinenser und glorifizieren ihren Tod. Dies versuchen auch die Hamas oder die Fatah von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas. Doch ob sie maßgeblichen Einfluss auf die Jugend haben, ist unklar.

Auf israelischer Seite fürchtet man immer mehr Trittbrettfahrer. Denn die Angriffe nehmen nicht ab. Im Gegenteil. Allein bei zwei Attacken am Dienstag waren in Jerusalem drei Israelis und ein palästinensischer Angreifer getötet worden, mehr als 20 weitere Menschen wurden verletzt. Die israelische Armee verweist auf ein Video, das potenziellen Messerangreifern offenbar zeigen soll, wie sie ihre Tat durchführen können.

"Die jungen Menschen hier explodieren"

Um der Lage Herr zu werden, hat die israelische Regierung die Militär- und Polizeipräsenz in den Palästinensergebieten deutlich verstärkt und radikale Straf- und Abschreckungsmaßnahmen in die Wege geleitet.

Doch Vorfälle wie zuletzt sind unvorhersehbar und laufen ohne ein bestimmtes Muster ab. Ob die Maßnahmen der Sicherheitsbehörden die Gewalt daher stoppen können, ist mehr als ungewiss. Denn gerade das Gefühl der Schutzlosigkeit sorge bei den Jugendlichen in Gaza, dem Westjordanland oder Ost-Jerusalem für Wut und Frustration, sagt der palästinensische Politiker und Bürgerrechtler Mustafa Barghouti. "Die jungen Menschen hier explodieren." Schuld daran trägt für ihn die israelische Besatzung der Palästinensergebiete und die damit verbundene Politik. Denn gerade die jungen Palästinenser litten unter der schlechten wirtschaftliche Lage mit einer hohen Arbeitslosigkeit. Und viele hätten angesichts der Gewalt keinerlei Hoffnung auf Sicherheit. Es sei eine Generation, die glaube, dass sie nichts mehr zu verlieren habe: "Sie fühlen sich verfolgt und denken, dass sie ohnehin sterben werden. Daher wollen sie Widerstand leisten", schätzt Barghouti die Gemütslage der jungen Palästinenser ein.

Ob der junge Mann am Damaskus-Tor aus eben dieser Motivation erschossen wurde, bleibt zunächst Spekulation. Unten an den Stufen hinter dem Tor, dort wo er gestorben ist, haben sich junge Palästinenser versammelt. Freunde und Verwandte. Die Männer beten. Ihnen steht die Wut ins Gesicht geschrieben. In der Nähe beobachten israelische Soldaten die Szenerie. Um das Tor herum stehen bewaffnete israelische Sicherheitskräfte. Oben an den Treppen blicken Passanten herab. Das Blut des Toten ist inzwischen vom Kopfsteinpflaster abgewaschen. Wasser sickert in die Kanalisation.

Nach dem Angriff am Damaskus-Tor (Foto: DW/Sven Pöhle)
Die Szenerie Stunden nach den tödlichen SchüssenBild: DW/S. Pöhle

"Zu viele Hardliner auf beiden Seiten"

"Es wird nie Frieden geben", glaubt Barak. Der 42-jährige Israeli steht oberhalb der Treppen und blickt auf die betenden Männer. "Es gibt auf beiden Seiten zu viele Hardliner, die immer wieder die Flammen entfachen." Etwas mehr als eine Stunde später meldet die israelische Armee den nächsten Vorfall: Ein Angreifer habe einen israelischen Zivilisten am Busbahnhof in Jerusalem mit einem Messer attackiert. Der Israeli habe leichte Verletzungen erlitten. Der Angreifer sei erschossen worden.