Der Fußball steht am Scheideweg
22. Dezember 2017Die Techniker an der Stadionanlage im Berliner Olympiastadion mussten die Regler voll aufdrehen. Laute Pfiffe und Buhrufe hallten durch das historische Rund. Beim DFB-Pokalfinale in diesem Sommer gaben sich die Anhänger von Eintracht Frankfurt und Borussia Dortmund keine Mühe, ihre Wut zu verbergen - die Halbzeitshow mit Schlagersängerin Helene Fischer ging sang- und klanglos unter. "Das hat beim Pokalfinale nichts zu suchen. Die Fans haben in der Halbzeitpause keine Lust darauf", erboste sich auch Frankfurts Sportvorstand Fredi Bobic. Das Pfeifkonzert war einer der Höhepunkt eines von Fanprotesten geprägten Jahres. Ein trauriger Höhepunkt und ein deutliches Zeichen für die Risse zwischen den Verbänden DFB und DFL, sowie den Funktionären und der Basis, den Fußballfans.
"Die Anhänger verstehen sich beim Fußball als Mitgestalter der Veranstaltung, sie wollen nicht irgendetwas vorgesetzt bekommen. Und das beißt sich mit der Meinung mancher Fußballfunktionäre", sagte Sig Zelt, Sprecher der Organisation "ProFans" im DW-Interview. "Ich glaube, dass die aktiven Fans zur Attraktivität der Veranstaltung beitragen. Die Menschen gehen auch wegen der Stimmung zu einem Fußballspiel und dafür sorgen eben die Fans." Viele Anhänger fühlen sich von ihren Vereinen und den Verbänden nicht ernst genommen. Daher wächst seit Jahren der Protest: Plakate, Spruchbänder und "Scheiß-DFB"-Rufe gehören mittlerweile genauso zu einem Fußballspiel wie die 22 Akteure auf dem grünen Rasen.
Stadionbesuche oft nicht möglich
Die Kritikpunkte der Anhänger sind klar: Späte Anstoßzeiten am Sonntagabend, Montagsspiele und englische Wochen machen einen Stadionbesuch für zahlreiche Anhänger fast unmöglich. "Die unglücklichen Ansetzungen führen dazu, dass viele Fans ihre Mannschaft bei einem Auswärtsspiel nicht mehr unterstützen können", sagte Bernd Sautter, Sprecher der Initiative "FC PlayFair", die sich für den Erhalt der Fankultur einsetzt im Interview mit der DW. Dazu kommen Ticketpreise im freien Verkauf von 40 bis 70 Euro, die viele Anhänger eher vor den Fernseher oder in die Kneipe als ins Stadion führen.
Die Kommerzialisierung des Volkssports Fußball schreitet seit Jahren unaufhaltsam voran. Werbebanner, Leuchtreklame, Halbzeitshows, besondere Sponsoren für Ecken, Gelbe oder Rote Karten und Auswechslungen sind längst zur Normalität in deutschen Stadien geworden. Sogar kleine Kameras an den riesigen Weißbiergläsern bei der Meisterfeier des FC Bayern München gehörten in diesem Jahr dazu. Alles, um den jeweiligen Sponsoren eine noch bessere Präsenz zu bieten. Der Fan bleibt dabei zunehmend auf der Strecke. "Das ist eine Entwicklung, die der Markt gefordert hat, denn Sponsoring ist nur lukrativ, wenn es viele Leute erreicht", erklärt Sautter. "Doch diese Entwicklung ist für den Fußball selbst nicht nur positiv." Die "Entfremdung" zwischen Fan und Verein wird durch die immensen Spielergehälter und Transfersummen weiter, und in den vergangenen Jahren immer schneller, vorangetrieben.
Zwei grundverschiedene Lebenswelten
"Es wird eine Unmenge an Geld gezahlt - zumindest in der Spitze", gab Fußball-Profi Dennis Aogo in einem NDR-Interview zu. "Die Spieler entfernen sich immer mehr von den Fans. Das sind zwei parallele Welten." Stars wie Neymar werden für rund 220 Millionen oder das BVB-Talent Ousmane Dembele für 100 Millionen Euro transferiert und kassieren entsprechende Gehälter bei ihren Vereinen. "Die Lebenswelten sind mittlerweile grundverschieden", bestätigt auch Sautter. "Die schrankenlose Geschäftemacherei schreckt viele Fußballfans ab."
In einer vom "FC PlayFair" durchgeführten Studie bezeichnen 86,3 Prozent der rund 17.000 befragten Anhänger die derzeitigen Spielergehälter und Ablösesummen als realitätsfremd. Für Sig Zelt ist der schwer greifbare Verdienst einiger Profis aber nur ein Teil des Problems. "Bei solch hohen Summen, ändern sich die Persönlichkeiten mancher Spieler", sagt der Fußball-Fan. Am schlimmsten sei aber das Söldnerverhalten gewisser Profis, so Zelt. "Erst lassen sie sich das Vereinsemblem tätowieren und dann wechseln sie nach zwei Jahren wieder den Klub."
Im Erfolg macht man die größten Fehler
Die Lust am Fußball schwindet bei vielen Fans, trotzdem sind die Stadien meist voll. Die Bundesliga hat im Schnitt 44.000 Zuschauer. Das entspricht einer Auslastung von ungefähr 92 Prozent. "Zusammen mit England ist das Spitze in Europa", sagt DFL-Geschäftsführer Christian Seifert. Für die aktuelle Spielzeit prognostiziert er sogar den "höchsten Umsatz, den wir je hatten." Doch der Schein trügt und die größten Fehler mache man, so sagte schon der ehemalige Bundesliga-Trainer Felix Magath, eben im Erfolg.
"Genau das passiert gerade", sagt Sautter. "Noch sind die Stadien voll, aber das kann sich schnell ändern." Der 51-Jährige fürchtet auch in Deutschland "Verhältnisse wie in der englischen Premier League." Dort sind zwar viele Plätze auf den Tribünen besetzt, doch die Atmosphäre ist weit von der in den deutschen Ligen entfernt - nur Sitzplätze, keine Fahnen, wenig bis gar keine Fangesänge. "Viele Jugendliche gehen in England schon gar nicht mehr ins Stadion, weil sie sich kein Ticket leisten können und weil das Stadionerlebnis bis zur totalen Sterilität durchgetaktet wurde", sagt Sautter.
Werte und Tradition schützen
Noch ist die Situation in der Bundesliga anders. Fans aus aller Welt lieben die Stimmung, die Choreographien und die Emotionalität für die auch die aktiven Fans in den Kurven verantwortlich sind. Für ProFans-Sprecher Zelt ist der Fußballklub sogar eine Art "soziale Heimat", und würde diese auch für die Zukunft und nachfolgende Fan-Generationen gerne erhalten. Der Verein "FC PlayFair" hat sogar einen Antrag auf Eintragung der deutschen Fankultur als immaterielles Kulturerbe gestellt, der letztlich auf einen Schutz durch die UNESCO abzielt - ein Status, den beispielsweise auch der rheinische Karneval, die deutsche Brotkultur und das Skatspielen innehaben. "In den letzten 100 Jahren ist im Fußball ein Kulturgut entstanden das es zu schützen gilt. Damit wollen wir zeigen, dass Fußball bei uns in Deutschland zu einem Stück Heimat geworden ist", sagt Sautter.