Der große Traum des Jürgen Klopp
3. Mai 2018Mit einem Grinsen, das von Ohr zu Ohr reichte, betrat Jürgen Klopp den Rasen. Federnden Schrittes rannte er auf seine Spieler zu, umarmte sie, flüsterte Worte in ihre Ohren, klatschte sie ab. Es waren Szenen voller Herzlichkeit und Emotionen. Keine gespielte Freundlichkeit eines eigentlich rein professionellen Verhältnisses, wie man es bei anderen Trainern und deren Spielern häufig sieht. Die Art und Weise wie Jürgen Klopp all das nach dem Finaleinzug seines FC Liverpool nach einer 2:4 (2:1)-Pleite beim AS Rom tat, lässt wieder einmal erkennen, dass er ein besonderer Trainer ist.
Große Nähe, viel Empathie, Motivationskunst und ein echtes Interesse an dem Menschen hinter dem Profifußballer - neben seinen Erfolgen waren es diese Beschreibungen aus Mainzer und Dortmunder Tagen, die Jürgen Klopp auf die Insel vorauseilten. Genau so einen hatten sie gesucht beim FC Liverpool. Einem Verein mit großer Tradition, aber auch mit stetem Auf und Ab in den vergangenen Jahren. Trotz vielem Geld und vieler Stars war der LFC lange kein echtes Kollektiv. Die Folge: Teilweise war selbst in der Europa League bereits in der Runde der letzten 32 schon Schluss. Doch dann kam Klopp. Und mit ihm ein neuer Geist.
Klopps Abwehr noch nicht titeltauglich
In der Auftaktsaison gelang ihm mit Liverpool der Einzug ins Europa-League-Finale, in der Folgespielzeit die Qualifikation für die Champions League. Im dritten Jahr kommt nun mit dem Finaleinzug der vorläufige Höhepunkt. Es war kein gradliniger, aber ein stetiger Weg nach oben. Und diese Reise ist noch nicht beendet. Jürgen Klopp träumt vom Titel in der europäischen Königsklasse, der Gral für jeden Fußballlehrer. 2013 war er nah dran mit Borussia Dortmund, unterlag im Finale von Wembley denkbar knapp dem Rivalen FC Bayern München (1:2). 2018 will Klopp es wieder wissen. Im Spiel der Spiele gegen Real Madrid am 26. Mai in Kiew ist der FC Liverpool eher der Außenseiter. Doch nicht zuletzt das enge Halbfinal-Duell mit dem FC Bayern hat die Verwundbarkeit der Königlichen offenbart. Klopp darf also auch gegen das Nonplusultra des Vereinsfußballs, Real Madrid, vom ganz großen Coup träumen. Unter einer Bedingung: Er muss die Defensivprobleme des FC Liverpool in den Griff bekommen.
Im Halbfinale gegen den AS Rom fing sich der FC Liverpool in beiden Spielen zusammen sechs Gegentore ein. Und das, nachdem die Reds im Hinspiel in Liverpool nach 80 Minuten bereits mit 5:0 geführt hatten. Ein vorzeitiger Spannungsabfall oder ein ernster Grund zur Sorge? Im Hinspiel konnte man die beiden späten Treffer für Rom noch unter ersterem verbuchen. Dass Liverpool auch im Rückspiel in Rom nach einer 2:1-Führung noch mit 2:4 verlor und damit bedrohlich nahe Richtung Verlängerung rutschte, war zu viel des Guten. Während seine Offensive um den ägyptischen Wunderstürmer Mohamed Salah aktuell ganz Fußball-Europa verzückt, ist Klopps Abwehr noch nicht Titel-tauglich. In der Premier League fing sie sich 37 Gegentore und damit deutlich mehr als alle anderen Mannschaften unter den Top Fünf der Tabelle.
"Jeder glaubt ihm ab, was er sagt"
Das liegt zum einen an Details, wie individuellen Fehlern, fehlender Erfahrung oder Rotation durch Verletzungen, zum anderen aber auch am Kloppschen System. Der deutsche Fußballlehrer lässt wie schon in Dortmund attraktiven, temporeichen und bisweilen riskanten Fußball spielen. Gut fürs Publikum, manchmal jedoch schlecht für die eigene Abwehr. Für ein wie es Toni Kroos sagt "klinisch" effizient spielendes Real Madrid könnte der FC Liverpool so zum gefundenen Fressen werden. Doch Jürgen Klopp will die Probleme bis dahin in den Griff bekommen: "Es war unser schlechtestes Spiel in dieser Champions-League-Saison bisher. Wir haben am Ende das Verteidigen vergessen. Da war etwas Slapstick dabei. Das müssen wir abstellen", sagte der Coach nach dem Halbfinal-Rückspiel in Rom. Mit verschwitztem Haar fuhr er fort: "Wir haben eine außergewöhnliche Saison gespielt, aber heute haben wir auch mal etwas Glück gebraucht." Der Subtext lautete: Das war das Glück des Tüchtigen.
Und tüchtig, das bezieht sich in Liverpool nicht nur auf Ausnahmekönner auf dem Rasen wie Mohamed Salah. Es bezieht sich auch auf den Trainer. Der deutsche Torhüter Loris Karius lobt seinen Chef für dessen außergewöhnliches Auftreten: "Wir verstehen sein Konzept und ziehen voll mit. Viele Spieler haben sich unter ihm auch noch einmal entwickelt. Jürgen ist ein Trainer, der weiß wie es geht. Er ist extrem authentisch und kann einen als Person einfach packen. Jeder glaubt ihm ab, was er sagt." Und Glaube kann bekanntlich Berge versetzen. Vielleicht am Ende sogar den namens Real Madrid.