Der große Deal
18. September 2014Der Espace Hippomène ist eine noble Adresse in Genf. Ein Veranstaltungsort, der mit Premium-Events für sich wirbt. Mercedes lädt während des Genfer Auto-Salons hierhin ein. Also genau das richtige für den reichen Europäischen Fußballverband UEFA. Und sein historisches Ereignis. An diesem Freitag Mittag wird die UEFA in einer sicherlich dem Ort angemessenen Zeremonie die Ausrichter der Fußball-Europameisterschaft 2020 bekannt geben. Die Ausrichter? Plural?
Erstmals wird es eine paneuropäische EM sein. 13 Verbände werden Turnierspiele bekommen. Die Idee stammt von Michel Platini, dem UEFA-Präsidenten. Und auch, wenn sie anfangs nicht jeder so richtig gut fand, scheinen sich nun alle einig: Zum 60-jährigen Geburtstag der Fußball-Europameisterschaft muss etwas Besonderes her, ganz Europa soll EM sein. Nur wie geht das? Zwölf europäische Städte werden je drei Gruppenspiele austragen und dazu ein Achtel- oder Viertelfinale. Eine Stadt bekommt die beiden Halbfinals und das Finale, also das sogenannte Finalpaket.
Deutschland will London unterstützen
Dafür haben sich gerade mal London und der Deutsche Fußball-Bund mit München beworben. Hinter den Kulissen ist aber seit Wochen schon klar, Deutschland wird in Sachen Finalpaket wohl London den Vortritt lassen und auf ein Viertelfinale und drei Gruppenspiele hoffen. Denn Deutschland will vier Jahre später die komplette EM 2024 ausrichten, zum zweiten Mal nach 1988.
Und mittlerweile sagt man das auch öffentlich. So zitiert die SportBild den DFB-Generalsekretär, Helmut Sandrock, vor zwei Wochen mit den Worten: "Wir haben mit ihnen [den Engländern] darüber gesprochen, dass sie auf die EM 2024 verzichten könnten und unsere Bewerbung unterstützen. Wir würden dafür auf die Finalspiele der EM 2020 verzichten und England bei einer Bewerbung um die EM 2028 unterstützen." Bisher wurden solche Deals selten öffentlich gemacht.
Und auch wenn es an diesem Freitag nicht um die EM 2024 geht, so schwingt der Gedanke daran doch mit. 2024 könnte ein deutsches Sportjahr werden, mit möglicher EM und Olympischen Sommerspielen in Hamburg oder Berlin. DFB-Präsident Wolfgang Niersbach sieht da zumindest international "keine Konkurrenzsituation zwischen Fußball und Olympia."
Sechs fliegen raus
Aber im Genfer Espace Hippomène werden die Augen auch auf die anderen Ausrichterstädte der EM 2020 gerichtet sein. Es haben sich nämlich gerade mal 19 Verbände beworben. Für 13 Orte. Heißt also, nur sechs fliegen raus. Ziemlich sicher sind das, so hört man aus dem 17-köpfigen UEFA-Exekutivkomitee, das am Vormittag die Entscheidung trifft, die Städte Jerusalem, Minsk, Sofia und Skopje. Das liegt an unsicherer politischer Lage, an fehlenden wirtschaftlichen Garantien oder schwachen Bewerbungen.
Außerdem haben sich mit London, Cardiff, Glasgow und Dublin vier Verbände der britischen Inseln beworben. Mehr als zwei Ausrichter aber wären eine Überraschung, heißt es aus UEFA-Kreisen. Und damit wären auch schon sechs Streichkandidaten gefunden. Die EM würde dann in London und einer weiteren Stadt der britischen Inseln stattfinden, zudem in Brüssel, Kopenhagen, Budapest, Stockholm, Bukarest, Rom, Amsterdam, Bilbao und München. Aber eben auch in Sankt Petersburg und Baku.
Aber kann man vor dem Hintergrund des aktuellen Krieges in der Ukraine wirklich Russland ein weiteres Sportgroßereignis zuteilen? Gerade diskutiert die Europäische Union einen Boykott oder gar einen Entzug der russischen WM 2018. Die UEFA allerdings hat einen mächtigen Sponsor, das russische Staatsuntermehmen Gazprom. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Im UEFA-Evaluierungsbericht aller Bewerber wird auf Seite 64 besonders die "starke finanzielle und politische Unterstützung" der Bewerbung Sankt Petersburgs für die EM 2020 hervorgehoben.
Neues Stadion in Baku für 70.000 Zuschauer
Die größte Überraschung aber wird wahrscheinlich Aserbaidschans Hauptstadt Baku werden. Für über 700 Millionen Euro und 70.000 Zuschauer wird in der Erdöl-Stadt gerade ein neues Stadion fertiggestellt. Genau rechtzeitig für die ersten Europaspiele 2015, so etwas wie Olympische Spiele Europas. Der Name des Stadions: Olympiastadion.
Aserbaidschan hatte sich mit Baku schon für Olympia 2016 und 2020 beworben, dann zusammen mit Georgien für die EM 2020, bevor die Idee zur paneuropäischen EURO kam. Nun kann man Baku überraschend für viele fast als sicheren Gastgeber von Spielen der EM 2020 bezeichnen. Im Evaluierungsbericht der UEFA heißt es auf Seite acht: "Baku's Bewerbung drückt hohe Ambitionen aus und unterstützt die UEFA darin, das Spiel über ganz Europa zu entwickeln, neue Märkte zu erschließen und den Horizont zu erweitern."
Menschenrechtler wurden verhaftet
Kein Wort im UEFA-Bericht zur politischen Situation. Auf der Rangliste der Pressefreiheit 2014 von "Reporter ohne Grenzen" steht Aserbaidschan auf Platz 160, noch hinter dem Irak oder Weißrussland. Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung spricht von systematischer Beschneidung der Zivilgesellschaft. In den vergangenen Monaten wurden vier prominente Menschenrechtler verhaftet. Die UEFA schreibt nur: "Die politische Struktur ist stabil." Und: "Einschränkungen für die Werbepartner der UEFA würden für die EM durch ein spezielles Gesetz aufgehoben."
Derweil leistet das Land fleißig PR-Arbeit und wirbt auf den Trikots des spanischen Meisters Atletico Madrid mit dem Schriftzug "Azerbaijan". Und hat Anfang der Woche eine strategische Partnerschaft mit Manchester United verkündet. So mag es für den ein oder anderen der 17 UEFA-Exekutivkomitee-Mitglieder ein Segen sein, dass die UEFA-Regularien für die Abstimmung am Freitag eindeutig sind: Die Entscheidung fällt in geheimer Wahl.