Der Herausforderer: Ed Miliband
4. Mai 2015Die letzte Fernsehdebatte vor der Wahl hätte fast noch zu Ed Milibands Sturz geführt - im Sinne des Wortes. Nach einer Fernsehsendung in Yorkshire mit Publikumsbefragung, bei der es hoch herging, verlor er beim Abgang von der Bühne fast die Balance. Es hätte einer jener Momente werden können, die Karrieren definieren. Aber Miliband fing sich im letzten Moment. Ein Symbol vielleicht für seinen erstaunlichen Imagewandel in den letzten Wochen des Wahlkampfes. Noch im vergangenen Jahr hätten selbst eingefleischte Labour-Anhänger und die eigenen Parteifreunde keine fünf Pence auf seine Chancen am Wahltag gewettet. In allen Umfragen zur Person schnitt er katastrophal ab. Ed Miliband werde einem Sieg von Labour im Weg stehen, weil er nicht wählbar sei: unbeliebt, unverständlich, ungeschickt - so hieß das Votum.
Politiker ohne Charisma
Jede Schulklasse hat einen wie Ed Miliband: Ernsthaft, begabt, sozial etwas linkisch - der Nerd vom Dienst. So einer kann Professor oder IT-Manager werden, aber nicht Premierminister im Zeitalter der permanenten Medienpräsenz. Als Miliband im vorigen Jahr beim Verschlingen eines Speckbrötchens gefilmt wurde, nutzten seine Gegner die Bilder einmal mehr, ihn lächerlich zu machen. Im britischen Wahlkampf sind alle Mittel Recht, um den politischen Gegner als Trottel darzustellen.
Dabei hat der Labour-Chef einen makellosen politischen und akademischen Lebenslauf: Als jüngerer Sohn des marxistischen Politikprofessors Ralph Miliband wuchs er mit seinem Bruder David in Nord-London in einem traditionell linken Intellektuellenhaushalt auf. Seine Eltern waren als polnische Juden auf der Flucht vor den Nazis nach England ausgewandert. Beide Brüder studierten in Oxford, beide stiegen in der Ära Tony Blair in der Labour Party auf. David wurde schließlich unter Gordon Brown zum Außenminister, Ed war zuständig für Energie und Klimawandel. Zwei steile Karrieren, bis zum politischen "Brudermord" auf dem Parteitag 2010.
Parteipolitik als Familiendrama
Nach der verlorenen Wahl trat Brown an der Parteispitze ab, David Miliband schien der natürliche Nachfolger. Sympathisch, weltläufig und ein Blair-Mann vom rechten, erfolgreichen Flügel der Partei. Aber die Kandidatur wurde zum Kampf mit seinem jüngeren Bruder, der am Ende siegte: Mithilfe der Gewerkschaftsstimmen gelang es Ed, sich als Kandidat der Linken mit hauchdünner Mehrheit an David vorbeizuschieben. Die Presse hatte ihr Drama nach dem Schema von Kain und Abel. Das Verhältnis der Brüder ist seitdem schwierig.
Noch heute dient diese Geschichte seinen Gegnern, Ed Miliband als hinterlistig und unzuverlässig darzustellen. Er werde das Land noch mehr beschädigen als seinen Bruder, ätzte etwa der konservative Londoner Bürgermeister Boris Johnson. Dabei sei es ihm nur um die Parteilinie gegangen, nicht um brüderliche Rivalität, betont Ed Miliband immer wieder.
Er steht für die Abkehr vom "Blairismus", einer Politik der neoliberalen Wirtschaftsfreundlichkeit. Ed Miliband dagegen will die soziale Ungleichheit im Land bekämpfen, die hohen Studiengebühren senken, das öffentliche Gesundheitssystem retten, Arbeitnehmer entlasten. Er ist für Europa und für Chancengleichheit - in Deutschland wäre er Sozialdemokrat. Gleichzeitig will auch er den britischen Haushalt ausgleichen und das Staatsdefizit senken. Manchen Labour-Wählern fehlt bei Miliband die große, schlagkräftige Botschaft. Aber der Parteichef hat Angst vor falschen Versprechen.
Vom Verlierer zum Teenagerschwarm
Irgendwann in diesem März dann kam der Umbruch: Vielleicht hat ja Obama-Berater David Axelrod als Wahlkampfhelfer bei der Labour Party das Wunder bewirkt und Ed Miliband dazu gebracht, in den Fernsehdebatten und bei Wahlkampfauftritten endlich er selbst zu sein. Plötzlich schaffte es der Kandidat, als schlanker, gut angezogener Mittvierziger wahrgenommen zu werden. Ein Mann mit Witz und Natürlichkeit. Und ein Politiker, der zu seinen Überzeugungen steht, zuhören kann und warmherzig wirkt.
Das neue Bild war so effektiv, dass plötzlich Teenager Selfies mit Ed Miliband knipsten und sich im Internet die Gruppe der "Mili-Fans" zusammentat. Vielleicht alles ein Stück clevere Vermarktung, aber doch Zeichen für die späte Verwandlung des Kandidaten in einen wählbaren Politiker.
Ob er den Wahlausgang damit noch beeinflussen kann, ist offen. Die Politikverdrossenheit der Briten sitzt tief; und auch Ed Miliband wird als Teil der verabscheuten Elite und Politikerkaste gesehen. Auf jeden Fall dürfte es für ihn, genauso wie für den konservativen Amtsinhaber David Cameron schwierig werden, nach der Wahl am Donnerstag eine Regierung zu bilden.
Die letzten Umfragen prognostizieren für keinen der beiden genug Prozente, um eine eigene Regierungsmehrheit zu bekommen. Der Wahlsieger wird wohl auf einen Koalitionspartner angewiesen sein. Die kleineren Parteien werden das entscheidende Wort haben. Sind jedoch die Liberalen als mutmaßliche Wahlverlierer bereit, nach der Koalition mit den Tories das Lager zu wechseln? Und wie erfolgreich werden die Rechtspopulisten von Ukip?
Vor allem aber hängt das Schicksal einer möglichen Labour Regierung von den schottischen Nationalisten ab. Der SNP wird ein Durchmarsch vorhergesagt. Ed Miliband aber hat versprochen, mit der Partei keine Koalition einzugehen, weil sie für die Spaltung Großbritanniens steht. Denkbar wäre allenfalls eine Minderheitsregierung, denn in vielen anderen Fragen stehen Labour und SNP auf der gleichen Seite. Wenn die Meinungsforscher nicht total daneben liegen, steht nach dem kommenden Wahltag Großbritannien vor einer mühsamen Regierungsbildung und einer total verwandelten Parteienlandschaft.