Der hohe Preis der Freiheit
24. November 2014Der vietnamesische Blogger Nguyen Van Hai, bekannt geworden unter seinem Pseudonym Dieu Cay, wurde Ende Oktober aus dem Gefängnis in Vietnam entlassen und umgehend in die USA abgeschoben. Nicht einmal von seiner Familie konnte er sich verabschieden. Er war 2008 wegen "staatsgefährdender Propaganda" zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt worden. Die Vorwürfe der Regierung hat Nguyen Van Hai immer bestritten.
Der ehemalige Soldat hatte 2007 den "Unabhängigen Journalisten-Club" gegründet. Den vietnamesischen Behörden war der unbequeme Blogger stets ein Dorn im Auge, da er die weitverbreitete Korruption und die Haltung der kommunistischen Regierung im Territorialkonflikt mit China scharf kritisierte. Die Regierung wirtschafte nur in die eigene Tasche und sie müsse sich endlich vom großen Nachbarn emanzipieren, so Nguyen Van Hai.
In Vietnam ist das Schicksal von Nguyen Van Hai kein Einzelfall. Reporter ohne Grenzen (ROG) bezeichnet die Situation der Presse- und Meinungsfreiheit als sehr ernst. Auf dem jährlich erscheinenden Index der Pressefreiheit rangiert Vietnam auf Platz 174 von 180, einen Platz hinter dem Iran und einen vor China. Nach Angaben von ROG sind zurzeit noch 26 vietnamesische Online-Aktivisten und Bürgerjournalisten in Haft. So etwa Le Thi Phuong Anh von der vietnamesischen "Bruderschaft für Demokratie", einem Onlinenetzwerk, das für die demokratisierung Vietnams eintritt. Die Bloggerin sitzt seit Mai 2014 in der südvietnamesischen Provinz Dong Nai in Haft, ohne genau zu wissen, was ihr vorgeworfen wird.
Am Samstag (22.11.2014) traf sich Bundeswirtschaftsminister Gabriel auf seinem Vietnambesuch mit Menschenrechtsaktivisten. Die populäre Bloggerin "Mother Mushroom" gehörte ebenso dazu wie ein Bruder des Anwalts Le Quoc Quan, der als bekanntester inhaftierter politischer Gefangener Vietnams gilt.
Der Blogger Nguyen Van Hai beobachtet die Lage in Vietnam nun von seinem Exil in den USA aus, wo ihn die DW interviewte:
Herr Nguyen Van Hai, mehr als sechs Jahre Ihres Lebens haben Sie im Gefängnis verbracht. Seit einem Monat sind Sie in den USA und frei. Wie fühlen Sie sich?
Ich war sechs Jahre, sechs Monate und zwei Tage im Gefängnis. Die Entlassung kam unerwartet. Es ist schwierig, alle Gefühle, mit denen ich in die USA gekommen bin, in Worte zu fassen. Nachdem das Flugzeug den Flughafen verlassen hatte, schaute ich tief bewegt auf das Land mit der S-Form (Anm. d. Red.: Auf einer Karte sieht Vietnam wie ein "S" aus). Ich wusste, dass ich weiter kämpfen muss, um irgendwann zurückkehren zu können. Meine Familie lebt immer noch in Vietnam. Ebenso wie meine Freunde. Sie alle müssen in einer Gesellschaft leben, in der die Menschenrechte nicht respektiert werden.
Freiheit ist das dominierende Gefühl. Sie ist mein großer Lebenstraum. Endlich freier Zugang ins Internet, telefonieren, ohne Angst haben zu müssen, dass jemand mithört. Auf der Straße werde ich auch nicht mehr auf Schritt und Tritt von den kommunistischen Sicherheitsdiensten verfolgt.
Wann und wie haben Sie von ihrer Ausreise in die USA erfahren?
Im September (22.09.2014) hat mich ein Vertreter des amerikanischen Außenministeriums darüber informiert, dass sie gerade mit der vietnamesischen Seite über meinen Fall verhandeln. Aber einen konkreten Termin habe ich damals noch nicht erfahren.
Sie haben im Umfeld der Territorialstreitigkeiten unter anderem anti-chinesische Proteste organisiert. In anderen Zusammenhängen haben Sie die Regierung wegen Korruption kritisiert. Sehen Sie sich selbst als Patriot, als politischer Aktivist oder als Oppositioneller?
Als vietnamesischer Bürger habe ich zusammen mit Freunden unsere Meinungen geäußert, um die territoriale Integrität des Landes zu bewahren. Wir fordern, dass die Regierung die Interessen des Landes respektiert. Die Interessen des Volkes müssen über den Interessen einzelner Gruppen stehen. Jeder Bürger jedes Landes würde genauso reagieren wie ich. Ich bin ein Bürger, der Verantwortung für mein Land und für sich selbst übernimmt.
Bei ihrem Empfang in den USA wurden Sie von Menschen empfangen, die südvietnamesische Flaggen schwenkten. Südvietnam gibt es seit 40 Jahren nicht mehr. Das Land war zwar marktwirtschaftlich ausgerichtet, aber kein demokratischer Rechtsstaat. Wie stehen Sie zu diesem Empfang?
Ich bin in Nordvietnam geboren und aufgewachsen. Ich habe nicht in Südvietnam gelebt, weswegen ich keinen Kommentar dazu abgeben möchte, ob Südvietnam eine Demokratie oder ein Rechtsstaat war. Aber als ich 1971 nach Südvietnam kam, sah ich einige Unterschiede zum Regime im Norden. Südvietnam hatte eine deutlich dynamischere und prosperierende Wirtschaft. Es gab Freiheiten. Private Zeitungen durften erscheinen, und die Bürger durften auch frei handeln. Die Menschen durften streiken und ihre Meinung äußern. Alles war ganz anders, als wir es im Norden gelernt und gehört hatten.
Was für ein Rechtsstaat war Nordvietnam zu dieser Zeit? Wie kann der Norden über Recht und Gesetz reden? Sogar heute gibt es in Vietnam nur das Recht der Kommunistischen Partei.
Am Flughafen in Los Angeles fühlte ich mich so warmherzig aufgenommen wie bei einer Familie, die nach langer Abwesenheit ein zurückkehrendes Familienmitglied begrüßt. Für mich spielt es keine große Rolle, mit welcher Flagge meine Landsleute mich begrüßten, sondern was zählt ist, dass sie mich ganz herzlich empfangen haben. Die Flagge ist ein Symbol. In einer demokratischen Gesellschaft muss ich die Gedanken und Symbole anderer Menschen respektieren.
Haben Sie schon Pläne für die Zukunft?
Ich werde in Zukunft weiter den von mir gewählten Weg gehen. Wir haben angefangen, für Meinungsfreiheit und Menschenrechte in Vietnam zu kämpfen. Und ich werde damit nicht aufhören.