Ingeborg Bachmann-Preis für Valeria Gordeev
2. Juli 2023Die Tage der deutschsprachigen Literatur im österreichischen Klagenfurt (TddL) gehen auch 2023 mit der Vergabe des Ingeborg Bachmann-Preises und weiterer Auszeichnungen zu Ende. Den mit 25.000 Euro dotierten Hauptpreis bekommt Valeria Gordeev für "Er putzt". Den Deutschlandfunk-Preis, dotiert mit 12.500 Euro, gewinnt die österreichische Autorin Anna Felnhofer, den Kelag-Preis, verbunden mit 10.000 Euro Preisgeld, erhält Martin Piekar. Außerdem bekommt der deutsche Autor den mit 7.000 Euro dotierten und mit einem Stadtschreiberstipendium verknüpften Publikumspreis, der von der BKS Bank gestiftet wird. Den 3sat-Preis und damit 7.500 Euro erhält Laura Leupi.
Damit wurden alle der als Favoriten beim diesjährigen Wettbewerb gehandelten Teilnehmer mit einem Preis bedacht - außer der aus der Ukraine stammende Yevgeniy Breyger. Drei Tage lang präsentierten insgesamt zwölf Wettbewerber ihre Texte vor der Jury, dem Publikum im Studio und laufenden Kameras.
Ingeborg Bachmann-Preis für Valeria Gordeev
Mit ihrem genau beobachteten und gestalteten Text "Er putzt" über einen Mann mit Putz-Neurose
setzte sich die aus Tübingen stammende Autorin am Sonntag gegen die Konkurrenz durch. Die Kurzgeschichte seziert sprachlich die Neurose des Protagonisten, ohne diesen jedoch als klinischen Fall darzustellen. Hingegen ist er ein hingebungsvoller Mensch, der sich um seine Mutter und seine Schwester sorgt. Als "Plädoyer für die Empfindlichkeit" lobte Jury-Vorsitzende Insa Wilke Gordeevs Text.
Die Autorin arbeitet seit einigen Jahren an ihrem Debütroman, der sich unter anderem mit der russischen Gegenwart auseinandersetzt. Gordeevs Eltern wanderten Ende der 1970er Jahre aus der Sowjetunion aus. 1986 wurde Gordeev in Tübingen geboren. Die Autorin ist auch als Illustratorin und Liedtexterin tätig.
Die Preisträgerinnen der letzten Jahre
Den nach der österreichischen Literatin benannten Ingeborg Bachmann-Preis gewann im letzten Jahr eine Teilnehmerin, deren Muttersprache nicht Deutsch ist. Die aus Slowenien stammende Ana Marwan überzeugte mit einem lakonisch-hintergründigen Text. "Wechselkröte", so der Titel, erzählt von einer Frau, deren zurückgezogenes Leben mit Mann, Einfamilienhaus und Pool von einer Amphibie und einer Schwangerschaft durcheinandergebracht wird. Der Wettbewerb 2022 war der erste nach den Einschränkungen der Pandemie, bei dem wieder Live-Publikum zugelassen war.
Die Preisträgerin von 2021 heißt Nava Ebrahimi. Sie wurde in Iran geboren, wuchs in Deutschland auf und lebt in Österreich. 2020 sorgte die einstige Ost-Berlinerin Helga Schubert für Aufsehen, da sie im hohen Alter von 80 Jahren den Wettbewerb für sich entschied. In ihrem "klugen und souveränen" Text "Vom Aufstehen", der ein zwiespältiges Mutter-Tochter-Verhältnis behandelt, "erzählt sie davon, wie man Frieden machen kann", würdigte Insa Wilke die Gewinnerin in ihrer Laudatio.
Eröffnungsrede über die Macht und Ohnmacht von Literatur
Die Preisträgerin von 2018, Tanja Maljartschuk, hielt die diesjährige Auftaktrede der TddL. Unter dem Titel "Hier ist immer Gewalt. Hier ist immer Kampf" legte die 1983 in der Ukraine geborene Schriftstellerin im zweiten Jahr des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine dar, dass sie ihr Vertrauen in die Literatur und sogar in die Sprache verloren habe: "Und so treffen sich die Literatur und die Realität und die Realität gewinnt jedes Mal. Und die Literatur verliert, denn sie bittet die Rettung für Einzelne, aber nie für alle zusammen. Sie ist schön, aber hilflos."
Die Texte der Vorlesenden drehten sich um Themen wie Transsexualität, Alkoholsucht, Gewalt und waren heterogen gestaltet - mal ähnelten sie einer Reportage oder wurden als "politische Comedy" eingeordnet. Gegenstand der Bewertung ist immer auch die Performance. Martin Piekars Vortrag erhielt in dieser Hinsicht großes Lob, da er zwischen den Sprachen Englisch, Deutsch und Polnisch wechselte. Die Videos der Teilnehmenden, ihre Lesungen und die Jurydiskussionen können On Demand auch nach Ende des Wettbewerbs noch geschaut werden.
Das war neu beim Bachmann-Wettbewerb 2023
Die 47. TddL brachten einige Veränderungen mit sich: Die deutsche Autorin Mithu Sanyal und der Schweizer Literaturwissenschaftler Thomas Strässle waren in diesem Jahr erstmals Juroren beim Wettlesen um den Ingeborg-Bachmann-Preis. Die beiden ersetzten die früheren Jury-Mitglieder Vea Kaiser, eine österreichische Romanautorin, und den deutschen Publizisten Michael Wiederstein. Kaiser und Wiederstein schieden auf eigenen Wunsch als Literatur-Bewerter aus.
Die aus dem ORF-Landesstudio Kärnten übertragenen Lesungen konnten Interessierte im neuen Ingeborg-Bachmann-Park unter freiem Himmel verfolgen. Die Umbenennung des einstigen Funkhausparks erfolgte anlässlich des 50. Todestages der aus Klagenfurt stammenden Schriftstellerin Ingeborg Bachmann am diesjährigen Eröffnungstag des Wettbewerbs. Neu war außerdem Moderator Peter Fässlacher, der durch die mehrtägige Veranstaltung führte sowie die Art, den Gewinnertext zu ermitteln. Anders als zuvor wurden die Punkte live vor Ort und erst am Sonntag vergeben. Das sollte zu mehr Transparenz bei der Ermittlung der Gewinnertexte und nebenbei für Spannung bei der Abschlussveranstaltung sorgen.
Über den Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb
Mit dem Ingeborg Bachmann-Wettbewerb hatten deutschsprachige Autorinnen und Autoren einen Talentwettbewerb, bevor es Castingshows für Musiker und andere Künstler im Fernsehen gab. Die seit 1977 alljährlich im österreichischen Klagenfurt ausgetragene Veranstaltung ist im Vergleich zu derlei Formaten eher eine trockenere Angelegenheit. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer lesen 25 Minuten lang aus einem ihrer unveröffentlichten Texte. Die gesamte Lesung wird fürs Fernsehen in Echtzeit gefilmt - ohne Spezialeffekte oder Dramatisierungen. Den Auftritt bewertet eine Jury aus österreichischen, deutschen und aus der Schweiz stammenden Mitgliedern.
Trotz der reduzierten Art des Formats sorgte der Bachmann-Wettbewerb hin und wieder für Skandale. Erinnert sei an den Auftritt von Rainald Goetz, der sich performativ während der Lesung die Stirn mit einer Rasierklinge einritzte und sein Manuskript mit Blut tränkte.
Ob jungen Autorinnen und Autoren zu einer Teilnahme geraten werden soll, ist im Literaturbetrieb umstritten. In der österreichischen Zeitung "Der Standard" bekannte etwa Schriftsteller Daniel Kehlmann, dass er es für sich abgelehnt habe, vor der Bachmann-Jury zu lesen: "Klagenfurt ist ein Tribunal. Die Kritik sitzt dort über Autoren zu Gericht. Diese sind anwesend, sie warten die Urteilssprüche ab, sie haben sich klar sichtbar unterworfen. Wer das tut, hat für eine ganze Weile, und vielleicht lebenslang, das Recht verloren, sich über die Ungerechtigkeit der Kritik zu beklagen."