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Der Insider

Andreas Schmidt20. Dezember 2002

Kevin (Name geändert) kennt die Szene der Russlanddeutschen im Jugendknast Herford. Mit DW-WORLD sprach er über Drogenhandel und Hackordnung hinter Gittern.

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Dunkle Geschäfte: Heroin ist harte Währung im KnastBild: DW

Die Zigarette nimmt er gerne. Tabak ist begehrt und teuer. Kevin sitzt vornüber gebeugt am Tisch. Durch ein vergittertes Fenster fällt Tageslicht in den kahlen Raum, in dem wir uns unter Aufsicht treffen können. Ausnahmsweise darf er hier rauchen, inhaliert gierig den Qualm.

Er sieht elend aus in seiner verwaschenen, blauen Anstaltskluft. Kurzgeschorene Haare, unreine, pickelige Haut, unruhige Augen, harter russischer Akzent.

Mit 19 Stammgast der Justiz

Kevin kennt sich aus. 19 Jahre ist er alt, doch er sitzt zum vierten Mal. Diesmal hat er ein Restaurant ausgeraubt und eine Apothekenkasse mit vorgehaltener Waffe. "Der andere hat sich rausgeredet," sagt Kevin kaltschnäuzig. Er grinst ein bisschen, wenn er über die verpatzten Coup nachdenkt.

Früher war alles besser. Früher, das heißt vor 1990, als Kevin noch in der Ukraine gelebt hat. "Da hatte ich viele Freunde. Alle haben einander geholfen." "Wenn ich draußen bin," sagt er, "fahre ich drei Monate jedes Jahr in die Heimat." Mit "draußen" meint er die Zeit, die er nicht im Knast verbringt.

Russlanddeutsche im Gefängnis in Herford
Träume: Alle sehnen sich nach einem normalen Leben außerhalb der MauernBild: DW

Die guten Tage sind rar geworden in den vergangenen Monaten. Seit März sitzt Kevin in Herford ein, doch seine Heroindealerei mit anderen Gefangenen war zu auffällig. Im Mai haben sie ihn in die Abteilung 1 gesteckt, den Knast im Knast. Abteilung 1 bedeutet 23 Stunden am Tag Isolation, ohne Fernseher, ohne Radio, ohne die üblichen Pornobildchen. Eine Stunde am Tag hat Kevin Hofgang, aber getrennt von den anderen, vor allem von seinen russlanddeutschen Kumpanen. Die hocken jetzt auf dem Hof im Kreis und besprechen ihre Geschäfte auf Russisch. Kevin weiß das, und es ist hart für ihn, nicht dabei sein zu können. Doch er ist froh, einmal jemanden zum Reden zu haben, und die blonde Vollzugsbeamte, die mit am Tisch sitzt, stört ihn nicht im geringsten.

Keine Chance für Pädagogen

"Die Beamten wissen überhaupt nicht was abgeht," meint Kevin. "Die schließen die Türen auf, schließen die Türen zu, das ist alles." Über die Versuche, den "Russen" pädagogisch beizukommen, kann er nur lachen. "Die wollen, dass wir uns ändern. Die wollen, dass wir nicht mehr so viel zusammen sind. Aber das werden die niemals schaffen."

Was Kriminologen als mafiöse Strukturen erkannt haben, nennt Kevin "Zusammenhalt". "Wenn einer von uns Zigaretten braucht, dann geben wir ihm eine. So einfach ist das. Und keiner fragt, wann er die wieder zurückgibt." Genau so laufe das mit den Drogen. Wer fragt, dem wird gegeben. Und natürlich braucht es da "Jungs", die bestimmen und andere, die sich nach ihnen richten.

Wer wird Chef, wer wird Diener?

"Einer muss die Kontrolle behalten," meint Kevin. Deswegen brauche es den Chef in der Gruppe. Wer das ist, das werde ganz schnell klar. Es müsse einer sein, der Streitigkeiten regeln kann. Der entscheiden kann, wer zu Recht angemacht wurde, oder wer eine Strafe verdient. "Bei dem werden Drogen, Tabak und die Einkäufe abgeliefert, und der verteilt sie dann gerecht." Dass die einen mehr und die anderen weniger bekommen, hält Kevin für normal, auch dass manche nur abgeben und nichts kriegen außer der Sicherheit, nicht fertiggemacht zu werden.

Doch auch diese Sicherheit haben nicht alle. "Wenn du eine Frau vergewaltigt hast oder einer Oma die Tasche wegnimmst, dann bist du hier gar nichts mehr. Dann wird dir der Einkauf abgezogen, und du kriegst nur schlechte Sprüche. Für die Leute ist es sehr hart im Knast."

Ganz normal leben

"Mein Traum?" Kevin ist verdutzt über die Frage nach seinem Lebenstraum. Er überlegt. "Ich habe nur die schlechte Seite vom Leben gesehen." Er sagt, er wolle die gute Seite sehen, eine Ausbildung anfangen, arbeiten gehen, Frau und Kinder haben, einkaufen gehen und auch mit Geld bezahlen. "Ganz normales Leben eben. Aber das wird schwer."

Die Zigarette ist längst aufgeraucht. Kevin muss wieder in seine Zelle. Freundlich verabschiedet er sich von der Vollzugsbeamten. Wie ein tolpatschiger, liebesbedürftiger Schüler. Später winkt die Beamte ab: "Hoffnungsloser Fall."