Berlinale: Wie ein Junge sein Dorf rettete
15. Februar 2019Im Jahr 2010 hat der Schauspieler Chiwetel Ejiofor einen Bestseller gelesen, der gerade erst veröffentlicht worden war: "Der Junge, der den Wind einfing", die wahre Geschichte von William Kamkwamba, der als Teenager eine windbetriebene Turbine erfand, die sein Dorf in Malawi vor einer Hungersnot rettete. Die Geschichte bewegte Ejiofor so stark, dass er entschied, sie in einen Film zu verwandeln.
"Ich war einfach tief inspiriert von der Geschichte und ihren Ebenen", sagte der Schauspieler im DW-Interview. Auf der Berlinale wird der Film außer Konkurrenz gezeigt. Ab 1. März ist er auf Netflix zu sehen.
Ejiofor, der für seine Hauptrolle in "12 Years a Slave" (2013) für einen Oscar nominiert war, schätzte auch, wie die Geschichte in einen größeren Zusammenhang gestellt wurde. Kamkwamba und sein Co-Autor Bryan Mealer setzten sich in ihrem Buch mit den weitreichenden Auswirkungen der Hungersnot auseinander. Neben der Geschichte des Jungen thematisiert das Buch die Nahrungsmittelknappheit sowie ihre geopolitische und wirtschaftliche Bedeutung. "Das hat mich nachhaltig berührt", so Ejiofor.
Tausende starben an Hunger und seinen Folgen
Malawi ist ein Binnenstaat im Südosten Afrikas. Rund 18 Millionen Menschen leben dort. Im Jahr 2001 ging die Maisernte um rund ein Drittel zurück. Grund dafür waren Überschwemmungen und Waldrodungen. Im Jahr 2002 erlebte Malawi eine der schlimmsten Hungersnöte der jüngsten Geschichte.
Die Regierung war anfangs skeptisch und argumentierte, dass es laut offizieller Statistik keine Nahrungsmittelknappheit gäbe. Erst als die Todesfälle im Februar 2002 einen Höchststand erreichten, rief die Regierung offiziell den Notstand aus. Der Hungersnot fielen, der Nichtregierungsorganisation ActionAid zufolge, bis zu 3000 Menschen zum Opfer.
Krumme Geschäfte in Malawi?
Die Ursachen der Nahrungsmittelknappheit waren komplex. Berichte zeigten die Rolle des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank auf, zwei der weltgrößten Kreditinstitute, die an der Privatisierung der Lebensmittelproduktion und dem Vertrieb in Malawi beteiligt waren.
"Der Junge, der den Wind einfing" kritisiert auch die despotische Vorgehensweise von Malawis erstem freigewählten Präsidenten, Bakili Muluzi, der die Maisvorräte kurz vor einer Trockenperiode an Nachbarländer verkaufte - auf Anraten des IWF.
Moderne Geschichte von Gemeinschaft
Ejiofor reiste zur Vorbereitung seines Films mehrmals nach Malawi. Am Anfang stand die Überlegung im Raum, ob man das Projekt besser in Südafrika oder Kenia drehen sollte, was logistisch einfacher zu realisieren gewesen wäre. Laut Ejiofor wurde es aber schnell ersichtlich, dass das keinen Sinn ergeben hätte. "Malawi hat eine ganz einzigartige Qualität", sagte er. "Das Land ist so unverwechselbar und die Kultur ist so reich, dass ich viel davon einfangen wollte."
Ejiofor hat den Film in dem Dorf gedreht, in dem der junge Erfinder William Kamkwamba damals lebte. Das trägt zur Authentizität des Werks bei. "Der einzige Ort, an dem ich nicht drehen konnte, war Williams Haus, weil er es über die Jahre so sehr erneuert hat, dass es nicht mehr ausgesehen hat wie damals", so Ejiofor.
Debütant glänzt in seiner ersten Filmrolle
Die Netflix-Produktion "Der Junge, der den Wind einfing" ist Ejiofors Debüt als Regisseur. Zwar wollte er sich besonders darauf konzentrieren, es wurde aber schnell klar, dass er Williams Vater Trywell spielen musste. Das erlaubte Ejiofor, ein britischer Schauspieler mit nigerianischen Wurzeln, eng mit seinem jungen kenianischen Kollegen Maxwell Simba zu interagieren. Simba ist der Protagonist des Films und glänzt in seiner ersten Filmrolle. "Er hatte tatsächlich vorher keine Erfahrungen im Film, trotzdem hat er alles gemeistert, als hätte er es schon jahrelang gemacht", sagte Ejiofor.
Aissa Maiga, eine senegalesisch-französische Schauspielerin, brilliert in der Rolle der starken Familienmutter. Sie war sehr angetan, bei diesem Projekt dabei zu sein.
"Als eine Schauspielerin mit afrikanischen Wurzeln kann ich sehen, wie sehr afrikanische Geschichten in westlichen Ländern fehlen", sagte sie. "Und diese Art von positiven Geschichten kann die Wahrnehmung anderer Menschen, insbesondere aus Afrika, verändern."
Der Film wurde überzeugend und massentauglich produziert, traut sich aber, das Publikum herauszufordern, das nicht an Untertitel gewöhnt ist. Die Charaktere sprechen eine Mischung aus der lokalen Sprache Chichewa und Englisch.
Beeindruckende Erfindung
Der echte William Kamkwamba wurde der Schule verwiesen, weil seine Familie das Schulgeld nicht zahlen konnte. Trotzdem schlich sich der Junge zurück in die Schulbibliothek, um das Buch "Using Energy" (dt. Energie nutzen) zu lesen. Das inspirierte ihn dazu, mit Windturbinen zu experimentieren. Die benötigten Materialien besorgte er auf dem Schrottplatz.
In Kamkwambas Fußstapfen zu treten, stellte eine Herausforderung für das Produktionsteam dar. "Als wir Kamkwambas Windmühle nachgebaut haben, hat es 20 erwachsene Männer und eine Gruppe von sehr erfahrenen Requisiteuren gebraucht", erklärte die Produzentin Andrea Calderwood. "Es gab so viele Meetings, um herauszufinden, wie wir es bauen können. Etwas, das er sich im Alter von 13 Jahren selbst hat einfallen lassen - mithilfe von ein paar Büchern."
Kamkwamba mit "gemischten Gefühlen" in Berlin
Kamkwambas Einfallsreichtums zeigt, wie man selbst mit beschränkten Mitteln auf lokaler Ebene viel verändern kann - wenn man es denn in Angriff nimmt. Er hat das Filmteam nach Berlin begleitet. Der 31-jährige Erfinder, Ingenieur und Autor gab zu, dass er "gemischte Gefühle" habe, seine Lebensgeschichte auf dem Bildschirm zu sehen. Auch wenn die Krise im Endeffekt bereichernd war, sei es nichtsdestotrotz eine "sehr schwierige und herausfordernde" Phase gewesen, sagte er.
Es war die Entschlossenheit des Jungen, die Ejiofor zu dem Filmprojekt bewegt hat, aber der Regisseur spürte auch die aktuelle globale Relevanz der Geschichte. Die Deregulierung des Marktes. Der zunehmende Kornpreis. Menschen am Rande der Gesellschaft. Ejiofor ist der Meinung, dass "viele der Probleme, denen verletzliche Gemeinschaften ausgesetzt sind, eigentlich Teil der größeren Zusammenhänge sind, über die wir sprechen."