1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Der Kaschmir-Konflikt im Schatten des 11. September

Thomas Bärthlein22. Dezember 2001

Ein weiterer Konfliktherd sorgt für Schlagzeilen: der sich zuspitzende Streit zwischen Indien und Pakistan um die Kaschmir-Region.

https://p.dw.com/p/1VFY
Die zwischenstaatlichen Auseinandersetzungen forderten seit 1989 bereits mehr als 35.000 Menschenleben.Bild: AP

Am vergangenen Donnerstag (13. Dezember 2001) haben Attentäter das indische Parlament überfallen. Es gab dreizehn Tote. Indien macht zwei Extremistengruppen dafür verantwortlich, "Jaish-e-Mohammed" und "Lashkar-e-Tayyaba". Diese Gruppen kämpfen von Stützpunkten in Pakistan aus für eine Abspaltung des Kaschmir-Tals von der indischen Union. Damit rückt der Kaschmir-Konflikt wieder stärker ins Rampenlicht. Denn Kaschmir war auch im Schatten des Afghanistan-Krieges nicht zur Ruhe gekommen: Erst am 1. Oktober hatten Terroristen einen Selbstmordanschlag auf das Parlament von Jammu und Kaschmir in Srinagar verübt.

Die Macht-Balance in Südasien insgesamt ist durch den Afghanistan-Krieg in Bewegung geraten. Es wäre voreilig, schon eine Bilanz zu ziehen. Aber welche Szenarien sind denkbar? Und wie lässt sich der aktuelle Streit darin einordnen?

Pakistans Rolle in Kaschmir

Die entscheidende Frage ist zunächst einmal, inwieweit sich Pakistans Engagement in Kaschmir verändert. Es hat bisher deutliche Parallelen zwischen Pakistans Afghanistan- und seiner Kaschmir-Politik gegeben. Im Kampf zwischen militanten, von Pakistan unterstützten Separatisten und den indischen Sicherheitskräften im Kaschmir-Tal lassen sich seit Beginn des Aufstands 1989 drei Phasen erkennen: Am Anfang war ein Aufstand weiter Teile der kaschmirischen Bevölkerung. Die wichtigste Separatisten-Gruppe war die "Jammu and Kashmir Liberation Front" (JKLF).

In Pakistan wuchsen allerdings bald die Befürchtungen, im Falle der Sezession Kaschmirs von Indien werde die JKLF nicht den Anschluss an Pakistan, sondern die Unabhängigkeit anstreben - womöglich noch unter Einschluss der von Pakistan kontrollierten Teile Kaschmirs. Daher setzte Islamabad in Kaschmir verstärkt auf die "Jamaat-e-Islami", einen Ableger der gleichnamigen fundamentalistischen Partei in Pakistan selber. Deren militärischer Arm, "Hizb-ul-Mujahedin" (HM), bildete Mitte der 90er Jahre das Rückgrat der militanten Bewegung im Kaschmir-Tal. Die meisten HM-Kämpfer waren nach wie vor Kaschmiris, gleichzeitig waren aber auch immer mehr Pakistanis an den Kämpfen beteiligt. Der Anschluss an Pakistan wurde zum erklärten Ziel auch der wichtigsten politischen Organisationen der Separatisten.

Islamisierung der Grenzregion

Gleichzeitig erzwang vor allem HM eine Islamisierung des öffentlichen Lebens im Kaschmir-Tal: Musik, Tanz und Kinos wurden als "un-islamisch" unterbunden, aus Angst vor den Islamisten verschleierten sich immer mehr Frauen, und schließlich trauten sich auch viele nicht einmal mehr, im Park spazierenzugehen - denn in "Kriegszeiten" war auch das verpönt. Statt dessen nahm die stundenlange Beschallung von Wohnvierteln aus Moscheen enorm zu.

Für viele Kaschmiris war dieser Fundamentalismus eine einschneidende Veränderung; bis dahin hatten sie vor allem den mystischen Sufi-Islam praktiziert, wo man eine enge Beziehung zu einem lokalen spirituellen Mentor pflegt, dem so genannten "Pir". Als politischer Arm der pro-pakistanischen Milizen etablierte sich der Dachverband 'Hurriyat Conference'. Diese zweite Stufe des von Pakistan geförderten Separatismus in Kaschmir verlief parallel zur pakistanischen Unterstützung des Fundamentalisten Gulbuddin Hekmatyar in Afghanistan.

Einsatz ausländischer Kämpfer

Militärisch hat der massive Einsatz der indischen Sicherheitskräfte und die Abspaltung von Renegaten-Gruppen die Rebellen-Organisationen mit Basis in Kaschmir deutlich schwächen können. Die dritte Phase der "Militancy" dominieren daher in den vergangenen Jahren Gruppen, die hauptsächlich aus Nicht-Kaschmiris bestehen: Pakistani, Afghanen und andere, die ideologische, aber auch enge organisatorische Verbindungen zu Osama bin Laden und den Taliban pflegten - und, ebenso wie die Taliban, mit Islamabad. Dazu gehört etwa "Harkat ul-Mujahedin", früher bekannt als "Harkat ul-Ansar" - aber auch die genannten "Lashkar-e-Tayyaba" und "Jaish-e-Mohammad". Die militärische Zerschlagung der Taliban bedeutet einen deutlichen Rückschlag für die Infrastruktur dieser Gruppen in Afghanistan, etwa in Form von Trainingscamps.

Musharrafs Alternativen

Wie wird sich Pakistan nun verhalten? Im Prinzip gibt es zwei Optionen: Entweder General Pervez Musharraf wendet sich von der bisherigen Unterstützung radikal-islamistischer Gruppen à la Taliban prinzipiell ab. Pakistan hat mit seiner Taktik, solche Radikalen in der Außenpolitik zu fördern, ein riskantes Spiel betrieben - denn im Inneren will die pakistanische Führung ja kein islamistisches System. Musharraf sah sich zuletzt selber durch die islamistische Unterwanderung von Armee und Geheimdienst gefährdet und hat wenige Wochen nach dem 11. September den Chef des Auslands-Geheimdienstes ISI, Mahmud Ahmed, abberufen - genauso wie eine Reihe von Armee-Offizieren. Diese Säuberung, auf Kaschmir übertragen, würde heißen: Keine pakistanische Unterstützung mehr für Terroristengruppen vom Schlage der "Harkat ul-Mujahedin" oder "Jaish-e Mohammed". Das würde, und hier liegt das Dilemma, Indien gegenüber einen "Rückzug" signalisieren.

Es würde daher auch nicht verwundern, sollte Musharraf, auch um seine innenpolitische Position abzusichern, die zweite Option wählen: Er könnte den radikalen Islamisten das "Ventil" Kaschmir weiterhin zugestehen. Pakistanische und sogar afghanische Kämpfer, die aus Afghanistan vertrieben wurden, könnten sich nun erst recht auf den Kriegs-Schauplatz Kaschmir verlegen. Der Angriff auf das indische Parlament, wenn er denn von den verdächtigten Gruppen durchgeführt wurde, spricht für diese These.

Indien erwartet internationale Unterstützung

Soweit die pakistanischen Optionen. Indien wiederum versucht, das ist jetzt schon offensichtlich, aus dem 11. September Kapital zu schlagen. Die regierenden Hindu-Nationalisten haben die Terrorismus-Bekämpfung zu ihrem Top-Thema gemacht und versuchen derzeit, gegen die Proteste von Opposition und Menschenrechtlern ein neues Anti-Terror-Gesetz durch das Parlament zu bringen. Der Anschlag auf das Parlaments-Gebäude kann sie darin nur bestärken. "Wir kämpfen schon lange gegen Terrorismus - in Kaschmir", so der Tenor. Indien versucht damit nicht zuletzt, die internationalen Sympathien in diesem Konflikt auf seine Seite zu ziehen. Zum Teil ist das auch eine Reaktion auf Pakistans diplomatische Anstrengungen, als Kompensation für seine Beteiligung am Anti-Terror-Kampf nicht nur Finanzhilfe, sondern auch politische Unterstützung vom Westen zu erhalten.