Der lange Schatten des Otto Warmbier
20. Juni 2017"Die Gedanken der Universitätsgemeinschaft sind bei der Familie und den Freunden von Otto Warmbier. Einfach eine niederschmetternde Nachricht. Möge er jetzt in Frieden ruhen." So schreibt Allen Groves, Studiendekan an der Universität von Virginia auf Twitter. An dieser Universität an der US-amerikanischen Ostküste hatte Warmbier studiert.
Vor wenigen Wochen erst absolvierte sein Jahrgang an der McIntire School of Commerce den Abschluss, zu diesem Zeitpunkt war er selbst noch in nordkoreanischem Gewahrsam. Seine Kommilitonen erinnerten an diesem Tag an ihn und verteilten zu den Abschlussprüfungen am 21. Mai Aufkleber mit der Aufschrift "Free Otto". Sein Tod sei ein "ungeheurer Verlust" "für seine Mitstudenten, und er werde immer ein "wichtiger Teil des Abschlussjahrgangs 2017" bleiben, so der Dekan der Fakultät, Carl Zeithaml, auf der Internetseite der Universität.
Beileidsbekundungen vom Präsidenten…
In den USA herrscht Trauer über den Tod des 22jährigen Studenten, Entsetzen über das, was in Nordkorea mit ihm geschehen ist und Mitgefühl mit seiner Familie. Sämtliche Medien berichten ausführlich über den Fall und die vielen offenen Fragen, die damit verbunden sind. Denn über die Haftumstände und die Hintergründe seines Todes gibt es keinerlei gesicherte Informationen. Fest steht nur, dass er bei seiner Rückkehr in die USA schwere Hirnschäden hatte, ansprechbar war er nicht.
Der Student, der Nordkorea mit einer Reisegruppe besucht hatte, war im März 2016 wegen Diebstahls eines Propagandaplakats und "Verbrechen gegen den Staat" zu 15 Jahren Arbeitslager verurteilt worden. Nach Informationen seiner Eltern - die schwere Vorwürfe gegen die nordkoreanische Führung erheben - soll er auch ungefähr seit diesem Zeitpunkt im Koma liegen. Angeblich erlitt er eine Nahrungsmittelvergiftung und erhielt danach Schlafmittel, woraufhin er nicht mehr aufwachte. In der vergangenen Woche wurde Warmbier aus "humanitären Gründen" freigelassen und in die USA ausgeflogen.
Viele Politiker haben sich bereits zum Fall Warmbier geäußert, allen voran Donald Trump. "Viele schlimme Dinge" seien passiert, so der US-Präsident. Aber wenigstens sei es gelungen, Otto Warmbier zurück zu seinen Eltern zu holen. Das nordkoreanische Regime sei brutal, aber die USA würden die richtige Antwort darauf geben: "We will be able to handle it." Wie genau diese Antwort aussehen könnte, das sagt Trump nicht.
…und Forderungen nach Konsequenzen
Der republikanische Senator von Arizona und ehemalige republikanische Präsidentschaftskandidat John McCain schreibt in einem Statement, Nordkorea sei eine Bedrohung für seine Nachbarn, destabilisiere die ganze Region und entwickle unter Hochdruck die nötige Technologie, um das US-Festland mit Atomwaffen zu treffen. "Otto Warmbier wurde durch das Regime Kim Jong Uns getötet. In seinem letzten Lebensjahr durchlitt er denselben Alptraum, in dem die nordkoreanische Bevölkerung schon seit 70 Jahren gefangen ist: Zwangsarbeit, Hunger, systematische Gewalt, Folter und Mord." Den "Mord" an US-amerikanischen Staatsbürgern könnten und sollten die USA nicht tolerieren.
Außenminister Rex Tillerson drückt der Familie Warmbier auf der Seite des State Department sein Beileid aus. In der kurzen Stellungnahme heißt es weiter: "Wir machen Nordkorea für die unrechtmäßige Haftstrafe Otto Warmbiers verantwortlich und fordern die Freilassung von drei weiteren Amerikanern, die derzeit illegal dort festgehalten werden." Zwei der Männer wurden erst im Mai 2017 festgenommen, beide sind Mitarbeiter an der von protestantischen Christen aus dem Ausland geführten Elite-Universität PUST (Pyongyang University of Science and Technology). Ihnen wurden "feindselige Akte" und Umsturzversuche vorgeworfen. Der dritte Gefangene ist ein in Südkorea geborener Geschäftsmann und christlicher Missionar. Er wurde 2015 unter anderem wegen Spionagevorwürfen inhaftiert und mittlerweile zu einer zehnjährigen Haftstrafe mit Zwangsarbeit verurteilt.
Reiseverbot für US-Touristen?
Wie werden die USA auf den Fall Warmbier reagieren? Ein Militärschlag würde das Leben der drei verbliebenen Geiseln in Gefahr bringen – daher gilt als wahrscheinlicher, dass die Regierung erst einmal die bestehenden Sanktionen weiter verschärft. Darüber hinaus – so berichtet die Washington Post – sei auch denkbar, dass die Trump-Administration ein Reiseverbot für Touristen aus den USA verhängt. Außenminister Tillerson habe in der vergangenen Woche vor dem Repräsentantenhaus eine entsprechende Verordnung in Aussicht gestellt, so das Blatt. Es gebe Überlegungen, Visa-Restriktionen für amerikanische Staatsbürger einzuführen. Eine finale Entscheidung sei noch nicht gefallen, aber "wir denken darüber nach".
Eine solche Entscheidung hätte natürlich auch Auswirkungen für internationale Reiseanbieter, die Touren nach Nordkorea organisieren – eine durchaus lukrative Nische in der Tourismusbranche. Otto Warmbier war im Dezember 2015 nicht mit einem amerikanischen Unternehmen unterwegs, sondern reiste mit "Young Pioneer Tours". Der chinesische Anbieter reagierte geschockt auf den Tod des Studenten. Man habe bis zum Schluss auf eine Genesung gehofft und sei tief betroffen. "Der furchtbare Verlust hat uns bewogen, unsere Richtlinien zu überdenken", heißt es auf der Facebook-Seite des Anbieters. Während der Haft habe "Young Pioneer Tours" immer wieder gefordert, Otto Warmbier kontaktieren oder besuchen zu dürfen – ohne Erfolg. Jetzt sei das Risiko für Amerikaner bei Reisen nach Nordkorea zu groß geworden. Man habe sich daher entschlossen, "künftig keine Reisen mehr für US-Staatsbürger nach Nordkorea zu organisieren".
Sicheres Reiseland Nordkorea?
Anfang 2016 und damit kurz nach der Verhaftung Otto Warmbiers hatte die Deutsche Welle in einem Artikel über Tourismus in Nordkorea berichtet – und in diesem Zusammenhang mit Andrea Lee, der Gründerin von "Uri Tours" gesprochen. Das Unternehmen mit Sitz in New York und Shanghai bietet seit mehr als 15 Jahren organisierte Reisen nach Nordkorea an. Sicherheit habe dabei oberste Priorität, und noch nie habe es Probleme gegeben, betonte Lee damals. Die Zentrale stehe in ständigem Kontakt mit den Verbindungsleuten im Land. Es dürfe niemand allein das Hotel verlassen, alle müssten immer bei ihren Guides bleiben. Solange die im Vorfeld der Reise natürlich auf die Regeln aufmerksam gemachten Touristen diese auch befolgten, würden sie nicht in Schwierigkeiten geraden, dann sei Nordkorea ein sicheres Reiseland.
Ziehen andere nach?
Die US-Regierung allerdings sieht das anders. Sie warnt ausdrücklich vor Reisen nach Nordkorea – und zwar nicht erst jetzt. Auch zur Zeit der Festnahme Otto Warmbiers vor anderthalb Jahren stand auf der Internetseite des State Department ein entsprechender Text, er stammt aus dem November 2015: "Ausländische Besucher können in Nordkorea verhaftet oder ausgewiesen werden - für Dinge, die in anderen Ländern nicht als kriminelle Handlungen gelten würden", heißt es dort. Kein amerikanischer Tourist sei sicher im Land, auch nicht als Mitglied einer organisierten Gruppenreise. "Denken Sie nicht, dass die Mitgliedschaft in einer Reisegruppe oder ein Guide Sie beschützen und die nordkoreanischen Behörden abhalten kann, Sie gefangen zu nehmen. Versuche privater Anbieter, Festnahmen zu verhindern oder zu vermitteln, waren nicht erfolgreich und führten nicht zu einer Freilassung."
Der Fall Otto Warmbier hat jetzt aber offenbar auch für "Uri Tours" etwas verändert. Für ein Gespräch stand niemand zur Verfügung, auf DW-Anfrage verwies das Unternehmen lediglich auf seine offizielle Stellungnahme. "Es war eine herzzerreißende Tragödie, die hätte verhindert werden müssen", heißt es dort. "In Anbetracht der jüngsten Ereignisse überdenkt Uri Tours seine Position zu Nordkorea-Reisen für US-Bürger. Im Zusammenhang mit diesem Thema werden keine Interviews gegeben."