Rapper Ali As - Leben zwischen zwei Kulturen
28. Juni 2016Deutsche Welle: Wie bist Du zum Rap gekommen?
Ali As: 1999 war das, da hatten meine Kollegen W78 und Passtschon in München immer sonntags den "Flava Club". Jeden verdammten Sonntag war da so eine Veranstaltung mit Live-Acts und Leuten, die auf der Bühne gefreestylt haben oder ihre neuen Songs präsentiert haben. So kam das eine zum anderen. Ich hab mir bei ihm ein paar Sachen abgeschaut: Ich wusste ja immer, was in der Woche bei ihm passiert ist und dann hab ich gesehen, wie der am Sonntag alles in Reimform gepackt hat und sich darüber ausgelassen hat, wie unangenehm seine Woche verlaufen ist. Und das fand ich sehr inspirierend und faszinierend und dachte: Irgendwie sowas muss ich auch machen.
Wie lange hat es gedauert, bis Du Deinen eigenen Stil gefunden hast?
Ich glaube, man muss ihn immer wieder finden und dann aber auch versuchen, ihn nicht zu verlieren. Das, was man sich als “Trademark“ erarbeitet hat, sollte beibehalten und dann vielleicht ein bisschen modifiziert werden.
Und wie viel Energie steckst Du da rein, Dich von anderen deutschen Rappern zu unterscheiden?
Ich habe lange überlegt, was man machen kann. Es gibt immer Leute, die eine ganz klare Inspiration suchen und dann auch sehr schnell wie ein Abbild dessen aussehen oder klingen. Das finde ich nicht so raffiniert – zumal man es ja ein bisschen smarter machen kann, indem man sich mehrere Quellen holt und dann guckt: Was davon kann ich für mich adaptieren oder wie kann ich das für für die Situation umsetzen, in der ich mich gerade befinde? Einfach damit das authentisch rüberkommt.
Im Vergleich zum Rest der Republik sind Bayern und seine Landeshauptstadt ja schon sehr eigen. Welchen Einfluss haben diese Orte auf Dich?
Jeder, der Musik macht, wird von seiner Umgebung geprägt. Es ist hier wahrscheinlich weniger "edgy", weniger “industrial“, als wenn man in Berlin oder Hamburg lebt. Und auch nicht so "grimey" wie in Frankfurt. Shindy zum Beispiel kommt aus Stuttgart – seine Musik ist ein bisschen raffinierter angerichtet als anderswo. Und wenn Du hier runter in den Süden fährst nach München, ist es genauso. Da wird dann noch ein bisschen genauer gefeilt und geguckt. Und da wird dann nicht das Erstbeste aufgetischt wie jetzt vielleicht in anderen Städten. Hier in München ist der Lebensstandard sowieso schon sehr, sehr hoch. Und deswegen geben wir uns vielleicht nicht mit dem Erstbesten zufrieden. Mein Produzent Eli ist immer stark dahinter, alles bis ins Letzte auszuproduzieren. Und genauso ist es bei mir auch mit den Texten.
Dein Vater ist 1961, Deine Mutter in den 1970er-Jahren aus Pakistan nach Deutschland gekommen. Inwiefern spielt das Heimatland Deiner Eltern in Deinem Leben eine Rolle?
Abnehmend. Ich habe früher viel Urlaub dort gemacht und meine Schulferien dort verbracht – auch mal sechs Wochen am Stück. Und da habe ich Erinnerungen dran – aber ich war schon lange nicht mehr da. Vor allem deshalb, weil ich gut zu tun habe. Und wenn ich wegfahre, dann ist das oft wie "Work & Travel". Aber eigentlich sollte das der nächste logische Schritt sein, da mal irgendwas zu drehen.
In dem Song "Denkmäler" erzählst Du die Geschichte Deiner Eltern. Warum ist Dir das Thema so wichtig gewesen, dass der Track ganz vorne auf Deinem neuen Album ist?
Ich habe irgendwann dazu großmäulig auf Facebook geschrieben: Ich glaube, ich habe gerade den besten Song geschrieben. Ich fand ihn sehr spannend, weil er sehr ruhig und nachdenklich anfängt und dann sehr schnell wird – geradezu laut und aufbrausend. Und das ging mit der musikalischen Untermalung Hand in Hand.
Deine Eltern sind hier in Deutschland mit einer völlig anderen Kultur konfrontiert worden - was weißt Du darüber?
Zwischen den Zeilen kann man raus hören, dass es eine Sache ist, hier irgendwie Fuß zu fassen, aber eine sehr viel schwierigere, hier ein normales Leben zu führen wie die anderen Leute auch. Ohne dass man gleich denkt: "Oh Gott, das sind irgendwelche Aussätzigen." Eine Zeile in "Denkmäler" ist: "Wo der Gastgeber sich nur selten zu den Gästen gesellt" – dieser Punkt war mir wichtig.
Du bist 1979 geboren, da waren Deine Eltern schon eine ganze Weile in Bayern. Gab es einen Kulturschock für Dich?
Insofern, dass ich auf eine Schule gegangen bin, wo kaum ausländische Kinder waren und eher reiche Leute. Es war eine reiche Gegend, aber ich selber hatte nicht dieses Privileg. Und ich habe dementsprechend Leute nicht zu mir nach Hause eingeladen, weil ich mit meinen Eltern auf engem Raum gelebt habe und kein Platz da war. Die anderen hatten eben bessere Möglichkeiten als ich. Da entwickelt sich schon ein Komplex, den man dann hat. Wo man sagt: "Okay, ich muss jetzt versuchen, mitzuhalten mit einer 501-Jeans oder einem eigenen Auto, um den Mädels was bieten können, wenn man ausgeht." Es war wichtig, dass man da nicht hinterher hing.
Was sind Deine Gefühle, wenn Du an das Heimatland Deiner Eltern denkst?
Gemischte Gefühle natürlich, denn es wird ja einen Grund gegeben haben, warum die nicht in der Heimat geblieben sind. Und hier gibt es einfach andere Voraussetzungen oder ein anderes Bildungssystem oder andere Job-Aussichten. Hier kann man auf jeden Fall noch mal die große weite Welt sehen – das ist ja ein wichtiger Faktor. Dazu gehört dann aber auch für mich, dass ich dahin zurück gehe und mir ansehe, was da passiert und wie die Menschen da leben. Wenn man eine Zeitlang dort ist, dann tickt der Lebensrhythmus anders.
Gibt es in Pakistan etwas, was Du hier in Deutschland vermisst?
Ali As: Generell die Art und Weise, wie man miteinander umgeht, wenn es zum Beispiel Feste gibt. Dass da die ganze Straße involviert ist und eingeladen wird. Da werden nicht so Abgrenzungen gemacht wie hier. Hier hatte ich immer das Gefühl: Wenn Weihnachten ist, dann ist Hausarrest für mich, weil man nicht zu den anderen Kindern eingeladen wird.
Bist Du im Vorteil, weil Du beide Welten kennst?
Das kann ich schlecht beurteilen… aber doch, ich sehe mehr den Vorteil – das ist dann eher etwas Äußerliches – dass wenn ich im Urlaub bin oder in anderen Ländern, dass die Leute mich dann sehen und denken: "Der ist auch von hier." Wenn ich in Mexiko bin, bin ich Mexikaner und werde da auf Spanisch vollgequatscht. Genauso aber auch, wenn ich in Schweden bin – da gibt’s auch Leute, die so aussehen wie ich. Man findet relativ easy einen Zugang zu verschiedenen Lebensmodellen oder kulturellen Eigenheiten.
Bayern und Pakistan: Schlagen da zwei Herzen in Deiner Brust?
Nein, denn ich bin generell nicht so ein engstirniger Mensch. Ich finde auch Patriotismus und sowas schwierig. Mir persönlich gibt das nichts, aber ich kann durchaus Leute verstehen, denen das wichtig ist. Aber ich kenne das natürlich auch, dass ich kulturelle Schnittmengen habe. Allein durch die Kultur, die meine Eltern haben, die Cousins, Onkel und so weiter. Das gilt natürlich auch beim Essen oder kulturellen Veranstaltungen. Mein Vater ist ja auch Präsident vom Deutsch-Pakistanischen Forum gewesen. Da gab’s dann viele Veranstaltungen und dadurch habe ich den Kontakt zu dieser Kultur gehalten.
Das heißt, Du hattest in Deiner Kindheit immer ein multikulturelles Umfeld?
Es ist nicht so, dass ich total Multikulti aufgewachsen bin, sondern eher als der einzige "Nicht-Deutsche" in einer reicheren Gegend. Ich habe dann gemerkt: Okay, ich kann nicht mithalten mit dem, was die anderen auftischen: irgendwelche Ferienhäuser in Kitzbühel und sowas. Da hab ich das schon ein bisschen vorgelebt bekommen. Es war für mich wie "Window Shopping": Ich hab da immer nur geguckt und konnte es mir selber nicht leisten. Und das prägt dann wahrscheinlich auch…
Aber der Wohlstand hat ja nicht unbedingt etwas mit der Nationalität zu tun?
Na ja, aber wenn Du Vorfahren hast, die ein Schloß besitzen, dann ist es einen Ticken einfacher, als wenn Du nur mit einer Kiste und 250 Mark nach Deutschland kommst. Das ist natürlich schon ein Unterschied…
Dein Vater ist als junger Mann aus Pakistan geflohen. Jetzt sind gerade im letzten Jahr massenhaft Menschen aus ihren Heimatländern geflüchtet und gerade München war ja durch seine geographische Lage eine der ersten Anlaufstellen in Deutschland. Wie hast Du diese Zeit erlebt?
Ich habe gemerkt, was das bei den Menschen hervorgerufen hat, und ich habe versucht, ein bisschen beschwichtigend zu wirken, indem ich keine extreme Meinung äußere. Sondern mich eher hinter den Kulissen mit den Leuten darüber unterhalte oder eben auch beobachte, dass die Menschen Decken und Kleidung zum Münchener Hauptbahnhof bringen. Das habe ich natürlich positiv wahrgenommen – zumindest werden hier nicht irgendwelche Heime angezündet.
Welches Ereignis hat Dich in diesem Zusammenhang im letzten Jahr am meisten beschäftigt?
Natürlich diese Aktion, wo das Kind abgewiesen worden ist von der Kanzlerin, dann aber noch getröstet wurde. Und dann noch der tote Junge am Strand – Aylan Kurdi hieß er. Da hatte ich dann eine Punchline, die ich aber nicht in einen Song reingeschrieben habe, weil ich wusste, dass sie wieder falsch aufgefasst wird: "Ich genieß mein Leben wie ein Thailand-Touri / Und lieg dann am Strand rum wie Aylan Kurdi." Ja also, da bleibt einem das Lachen im Halse stecken. Für solche Zeilen bin ich natürlich auch bekannt. Das ist so wie bei Eminem. Der sagt auch, dass er Witze macht, wenn ein Flugzeugabsturz passiert - so lange es ihm nicht selber zustößt. Das ist natürlich Galgenhumor. Ich hatte also diese Idee und hab’s aufgeschrieben, hab’s dann aber nicht gerappt, sondern mir gesagt: Nee, das muss nicht sein. Aber was sind die passenden Worte für so ein Ereignis? Für so eine Tragödie? Es ist schwierig und da sind die Gemüter leicht erhitzbar und deswegen hab ich dann eben auch die Entscheidung getroffen, bei solchen politischen Ereignissen nicht irgendwelche Postings zu machen oder es textlich einfließen zu lassen. Es ist einfach schwierig, sich eine fundierte Meinung zu bilden, wenn man sich nicht 24/7 dahinter klemmt.