Mythos afrikanischer Aufschwung
22. Mai 2013Zwei von drei Afrikanern haben ein Handy oder Smartphone. Die Kaufkraft auf dem Kontinent steigt, die Märkte wachsen. Immer mehr Milliardäre kommen aus Afrika. Nach Asiens "Tigerstaaten", so heißt es, sind jetzt die afrikanischen "Löwen" auf dem Sprung. Das ist eine Erfolgsgeschichte und sie wird gerne erzählt - von Politikern, Ökonomen, Medien.
"Es gibt gute Gründe zu behaupten, dass Afrika der wichtigste Wachstumsmarkt der nächsten 50 Jahre sein wird. Weil es Rohstoffe hat und dazu sehr viel Manpower", sagt der Wirtschaftsjournalist Anver Versi. Der Kenianer ist Herausgeber des in London erscheinenden African Business Magazine. "Afrika ist zurzeit der attraktivste Ort für Investitionen. Die Chinesen haben das schon vor zehn, fünfzehn Jahren erkannt. Und jetzt sollten auch die deutschen Unternehmen und die Europäer insgesamt aufwachen und diese Chance erkennen", so Versi.
Afrikas Wirtschaft wächst im Rekordtempo
Die Zahlen sind beeindruckend: Nach Prognosen der Weltbank wird die Wirtschaft in Subsahara-Afrika zwischen 2013 und 2015 im Durchschnitt um fünf Prozent wachsen. Die Weltwirtschaft wird im gleichen Zeitraum durchschnittlich auf etwa drei Prozent kommen. Gleich mehrere Staaten südlich der Sahara gehören zu den am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften der Welt, darunter Sierra Leone mit elf Prozent Wachstum und Gambia mit mehr als zehn Prozent. Mosambik und die Demokratische Republik Kongo kommen auf acht Prozent.
Hohe Wachstumsraten seien aber noch lange kein Grund für Euphorie, sagt Robert Kappel. Der deutsche Afrika-Forscher vom Hamburger GIGA-Institut hat die Entwicklungsperspektiven von 42 Subsahara-Staaten untersucht. Die meisten dieser Länder schnitten im internationalen Vergleich schlecht ab, auch die mit hohen Wachstumsraten. "Das Wachstum resultiert vor allem daraus, dass die Nachfrage nach Rohstoffen und auch landwirtschaftlichen Produkten in den letzten Jahren sehr stark zugenommen hat und damit auch die Preise steigen", sagt Kappel. Das Wachstum wird also vor allem vom Export angetrieben.
Abhängig vom Außenhandel
Afrika sei abhängig vom Handel mit dem Ausland, warnen auch der Internationale Währungsfonds und die Weltbank. Und der frühere UN-Generalsekretär Kofi Annan mahnte die Industrienationen jüngst auf dem Weltwirtschaftsforum in Kapstadt zu strengeren Regeln beim Rohstoffhandel mit Afrika. Korruption und Steuerflucht, so Annan, ließen den afrikanischen Wohlstand "ausbluten".
Untereinander machen die afrikanischen Staaten kaum Geschäfte. Die Industrialisierung auf dem Kontinent kommt nur schleppend voran, die Landwirtschaft kann nicht einmal den Bedarf der eigenen Bevölkerung decken. Auch auf dem Jobmarkt gibt es kaum Wachstum: Selbst in der aufstrebenden Volkswirtschaft Südafrika haben mehr als 25 Prozent der Bevölkerung keine Arbeit, betroffen sind vor allem Jugendliche auf dem Land.
Boom in den Metropolen
Sichtbar wird der Aufschwung allenfalls in Wirtschaftsmetropolen und Wohlstandsinseln wie Luanda, Johannesburg oder Nairobi. Hier boomen die Bau- und Telekommunikationsbranche, der Einzelhandel und Bankensektor. Und hier lebt Afrikas neue Mittelschicht - die Kunden von Unternehmern wie Strive Masiyiwa. "Afrika geht es gut! Wir haben enorme Fortschritte gemacht, besonders in den vergangenen zwei Jahrzehnten", sagt der gebürtige Simbabwer und Gründer des afrikanischen Telekommunikationsriesen "Econet Wireless".
Inzwischen macht Masiyiwa Geschäfte in 17 afrikanischen Staaten, in Europa, Südamerika und Asien - und gehört zu den reichsten Bürgern seines Landes. Aber der Unternehmer warnt: Der Wohlstand sei ungleichmäßig verteilt und zu viele Jugendliche hätten noch immer keine Jobs. "Wir müssen die Reformen beschleunigen, transparenter werden und weniger bürokratisch".
Gewinner und Verlierer
All das haben die Musterländer des afrikanischen Aufschwungs schon frühzeitig umgesetzt: Dazu gehören laut Wirtschaftswissenschaftler Kappel die Inselstaaten Mauritius, die Seychellen und Kapverden, außerdem Botswana und auch Ghana sowie Südafrika. Etwa zwei Drittel der untersuchten Staaten hätten schlechte Entwicklungsaussichten, vor allem instabile Länder mit politischen Unruhen und Bürgerkriegen. "Dort kann man auf keinen Fall von einer positiven Wachstumsdynamik sprechen. Da ist das Einkommen so niedrig und die Bevölkerung teilweise so degradiert und gar nicht in Wirtschaftsprozesse eingebunden", sagt Kappel.
Mali etwa kämpft gegen die Islamisten im Norden, die Demokratische Republik Kongo gegen den Vormarsch der M23-Rebellen und in der Zentralafrikanischen Republik wurde gerade wieder geputscht. Selbst in ölreichen Staaten wie Nigeria wächst die Armut, verhindern politische Turbulenzen und Korruption echte Entwicklungserfolge. Rohstoffe seien nicht immer eine gute Ressource für wirtschaftliche Entwicklung, meint Robert Kappel. "Die meisten Länder, die sich gut entwickelt haben, verfügen nicht über Öl oder große Rohstoffvorkommen, sondern haben sich auf andere Dinge konzentriert, etwa auf den Dienstleistungssektor oder auf die Entwicklung der Landwirtschaft."
Ringen um dauerhaftes Wachstum
Was also muss sich ändern, damit Afrikas Wachstum eine stabile Grundlage bekommt? Mehr Investitionen in die Infrastruktur werden gebraucht, sagt Wirtschaftsjournalist Anver Versi. Nirgendwo auf der Welt sei das Geschäftemachen so teuer wie in Afrika. "Es gibt große Produktionszentren zum Beispiel in Kenia oder Südafrika und dann sind da die Binnenländer, die von diesen Zentren abhängig sind. Aber die Straßen und Zugstrecken sind schlecht - der Transport der Güter ist also extrem kostspielig", so Versi.
Ob Afrikas wirtschaftlicher Aufschwung von Dauer sein wird, hängt von vielen Bedingungen ab, sagt Wirtschaftsexperte Robert Kappel. Die Liste ist lang: wirtschaftliche Reformen, eine Öffnung der Märkte, bessere Investitionsgesetze, Verbesserungen im Bildungs- und Gesundheitssystem. Kappel: "Erst dann kann Afrika weiter wachsen und ein Hoffnungskontinent werden."