Umfragefavorit Hollande
6. Mai 2012Sie hat zwar nicht zur Wahl des Sozialisten aufgerufen, aber nach der Empfehlung von Marine Le Pen dürften im Team von François Hollande die Sektkorken geknallt haben. Die Parteichefin des rechtspopulistischen Front National hatte am "Tag der Arbeit" ihren Anhängern offenbart, dass sie bei der Stichwahl "weiß wählen" werde – also weder Amtsinhaber Nicolas Sarkozy noch seinen Herausforderer François Hollande. Sollten viele Anhänger diesem Beispiel folgen, ist Hollande der Einzug in den Elysée-Palast sicher. Zumal dem amtierenden Präsidenten auch im Fernsehduell vor wenigen Tagen kein Befreiungsschlag gelang.
Staatstragender Herausforderer gegen aggressiven Präsidenten
Der Herausforderer selbst gab sich während des Wahlkampfs immer staatstragender und präsidialer, während Sarkozy mit einem aggressiven Schlussspurt das Blatt noch zu wenden versuchte. Doch die Franzosen wollen offensichtlich Hollande eine Chance geben. Erstmals in der Geschichte der Republik konnte ein Herausforderer schon in der ersten Runde mehr Stimmen auf sich vereinen als der amtierende Präsident. Zwar gibt es in Frankreich bis heute keine Hollande-Euphorie, aber seine Strategie, sich als Gegenentwurf zum ungeliebten Sarkozy zu inszenieren, scheint trotzdem aufzugehen. Der Sozialist ist zwar nicht Kandidat der Herzen geworden, aber dafür der Köpfe. Er kokettiert mit seiner nüchternen Ausstrahlung und pflegt sein Image als normaler Bürger ohne Starallüren, der vor allem in kleineren Runden mit seinem Sinn für Humor punktet.
Von der Strauss-Kahn-Affäre profitiert
Und doch hätten vor der Sex-Affäre des Parteifavoriten Dominique Strauss-Kahn nur Tollkühne auf einen Präsidenten Hollande gewettet. Der 57-Jährige galt als blass und - im Gegensatz zu seiner früheren Leibesfülle - als politisches Leichtgewicht. Hollande, dem nie ein Ministeramt angetragen wurde, machte lediglich in seiner Partei Karriere. Als er 2008 nach elf Jahren als Chef der Sozialistischen Partei von Martine Aubry abgelöst wurde, nannte seine Nachfolgerin den Zustand der Partei allerdings "erbärmlich". Hollandes frühere Lebensgefährtin Ségolène Royal stellte noch im vergangenen Jahr die rhetorische Frage: "Können die Franzosen eine Sache nennen, die er in dreißig Jahren politischen Lebens geschaffen hat?"
In den 1980er Jahren Jacques Chirac herausgefordert
Schon der Start seiner politischen Laufbahn war holprig. Als die Franzosen 1981 mit François Mitterrand erstmals in einer Direktwahl einen Sozialisten ins Präsidentenamt wählten, schickte die Partei den damals 26-jährigen Hollande in die Provinz. Ausgerechnet im Wahlkreis von Jacques Chirac in der bäuerlichen Corrèze Zentralfrankreichs sollte der Jungpolitiker für ein Abgeordnetenmandat kämpfen. Er hatte nicht den Hauch einer Chance. Über die Jahre verschaffte sich der Absolvent der Kaderschmiede ENA aber bei der ländlichen Bevölkerung Respekt. Nach einem Neuzuschnitt der Wahlkreise gelang ihm zeitgleich mit dem fast gleichaltrigen Nicolas Sarkozy 1988 der Sprung in die Nationalversammlung. Die Wege Sarkozys und Hollandes, die beide im noblen Pariser Vorort Neuilly aufgewachsen sind und sich abseits der Kameras duzen, kreuzen sich seitdem regelmäßig.
Positives Europabild
Hollandes Wahlprogramm der "60 Engagements für Frankreich" ist vage verfasst. Allenfalls kleine Zuckerstückchen hat der für französische Verhältnisse gemäßigte Sozialist dem Publikum und den verschiedenen Lagern seiner Partei hingeworfen. Eine Nachverhandlung des EU-Fiskalpaktes gehört zu den Punkten, die für Aufsehen gesorgt haben. Von Deutschland verlangte er in einer viel beachteten Rede zum Wahlkampfstart außerdem "mehr Solidarität". Slogans, so glaubt der Pariser Politikwissenschaftler Renaud Dehousse, die nicht an das Ausland gerichtet seien, sondern an die Wähler zuhause. Gut ein Drittel der Franzosen hatte im ersten Wahlgang für populistische Parteien gestimmt, die einen Austritt aus dem Euro fordern sowie allgemein für Protektionismus werben. Renaud Dehousse: "Warum benutzt Hollande das Wort Neuverhandlung? Weil er sehr genau weiß, dass bei den Wählern, die für ihn im zweiten Wahlgang stimmen könnten, sehr viele Menschen dabei sind, die bei der Volksabstimmung über die Europäische Verfassung 2005 mit Nein gestimmt haben."
Keine Aussage über Ausgabenkürzungen
Ist François Hollande ein Anti-Europäer? Politikprofessor Dehousse widerspricht: Schon der Lebenslauf des Sozialisten - vor allem seine Arbeit im Umfeld des glühenden Europäers Jacques Delors - beweise das Gegenteil. Zudem habe er 2005 für die Europäische Verfassung votiert, obwohl starke Kräfte der Partei sich für deren Ablehnung stark machten. Hollande, so Dehousse, habe sich nicht nur der pro-europäischen Sache verschrieben, sondern gehöre auch zu den in Frankreich seltenen Anhängern supranationaler Integration, wie sie den europäischen Gründervätern vorschwebte. "Das ist aus meiner Sicht sehr wichtig. Falls er gewählt werden sollte, haben es die Deutschen mit einem französischen Staatschef zu tun, der den klassischen deutschen Positionen der Gemeinschaftspolitik viel näher steht als sein Vorgänger."
Innenpolitisch punktete Hollande mit dem Versprechen, 60.000 neue Lehrerstellen zu schaffen, die Rentenreform seines Vorgängers teilweise wieder rückgängig zu machen und eine Millionärssteuer von 75 Prozent einzuführen. Das Geld für diese Wohltaten soll ein bislang von Experten nicht prognostizierter kräftiger Wirtschaftsaufschwung bringen, denn auch Hollande bekennt sich grundsätzlich zu dem Ziel ausgeglichener Haushalte.
Angesichts der desolaten Finanzlage und wegen des Drucks der Finanzmärkte gehen Beobachter allerdings davon aus, dass ein Präsident Hollande zumindest einige Wahlkampfversprechen sehr schnell wieder einkassieren und stattdessen Antworten auf Fragen finden muss, die der Wirtschaftsfachmann bislang weitgehend offen lässt: Ausgabenkürzungen des Staates.