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Der neue Krieg im Irak

28. Januar 2005

Am 1. Mai 2003 erklärte US-Präsident Bush das Ende der offiziellen Kampfhandlungen im Irak. Frieden bedeutete das nicht. Der Krieg ging weiter, nur in anderer Form, schreibt der Politologe Dieter Reinhardt.

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Dieter Reinhardt
Dieter Reinhardt

Die Gefahr ist groß, dass dem Krieg gegen das irakische Regime Saddam Husseins ein lang andauernder Kleinkrieg folgt. Dies würde unabsehbare Folgen für den Irak und für den ganzen Mittleren Osten haben.

In einigen Krisengebieten wie im Kongo, in Angola, Kolumbien und Afghanistan sind stabile Gewaltstrukturen und Kriegsökonomien entstanden, die eng mit der internationalen Kriminalität und dem Waffenhandel verbunden sind und zur teilweisen oder völligen Privatisierung des staatlichen Gewaltmonopols geführt haben. Teilweise dauerten diese Konflikte jahrzehntelang an, weil Warlords und Milizenchefs kein Interesse an der Beendigung der für sie profitablen Konflikte haben, und lösten regelmäßig Destabilisierungen ganzer Regionen aus. Sie wurden in den 1990er-Jahren auch als Neue Kriege bezeichnet.

Besteht die Möglichkeit, dass sich auch im Irak solch ein Kriegstyp entwickelt?

Privatisierung der Gewalt

Knapp zwei Jahre nach dem Regimewechsel existiert im Irak kein staatliches Gewaltmonopol. Die 150.000 Soldaten der US-Armee und ihrer Alliierten, die nur kleine und ineffektive neue irakische Armee, die Polizeikräfte und die 20.000 Angestellten privater Sicherheits- und Militärfirmen sind zunehmend weniger in der Lage, den bewaffneten Aufstand zu bekämpfen. Der bewaffnete Widerstand setzt sich aus zahlreichen politischen, religiösen und terroristischen Gruppierungen zusammen, die teilweise kooperieren, sich teilweise aber auch untereinander bekämpfen.

Der Aufstand wird mitgetragen von Anhängern des alten Regimes, von sunnitischen Gruppierungen und Mujaheddins beziehungsweise islamistischen Terroristen aus dem Irak und anderen arabischen Ländern. Angesichts der extrem schlechten Lebensbedingungen und der hohen Arbeitslosigkeit stellen die Teilnahme an Aktivitäten bewaffneter Gruppen, die sich auch mit Hilfe von Entführungen finanzieren, in steigendem Umfang eine sichere Einkommensquelle dar.

Terrorismus im Aufwind

Neben diesen Übereinstimungen mit den Strukturen der Neuen Kriege gibt es Unterschiede. Dazu zählt der starke Einfluss des internationalen islamistischen Terrorismus. Die jetzige Generation der Mujaheddins und Terroristen kann auf eine - aus ihrer Sicht - lange Liste großer Erfolge zurückblicken. In den 1980er-Jahren war sie in der Lage, die Supermacht Sowjetunion in Afghanistan zu besiegen und damit den Zerfall der Sowjetunion einzuleiten.

Die Anschläge auf US-Botschaften und besonders der 11. September 2001 zeigten die Verwundbarkeit der verbliebenen Supermacht USA und waren ein großer Propagandaerfolg. Die Finanzierung der Anschläge und die Rekrutierung neuer Kämpfer oder Selbstmordattentäter stellt für sie kein Problem dar. Ihr Gewaltpotential, ihre operativen logistischen Kapazitäten und ihr politischer Einfluss im Irak werden eher wachsen als abnehmen.

Nicht tatenlos zusehen

Ein weiterer Unterschied zu den Neuen Kriegen in Afrika oder in Lateinamerika ist die hohe militärische Präsenz der USA und die geostrategische Bedeutung dieser Region für die US-Außenpolitik. Ein wichtiges Ziel der Außenpolitik im Mittleren Osten in den letzten Jahrzehnten war es zu verhindern, dass der Iran oder der Irak eine regionale Vormachtstellung erringen. Der Ausbau der engen Partnerschaft mit Saudi-Arabien war ein weiteres Ziel.

Die Fehleinschätzungen der USA im Vorfeld und während des Dritten Golfkrieges könnten jedoch dazu führen, dass sich mittelfristig der Einfluss der USA auf den Mittleren Osten abschwächt. Es ist nicht vorstellbar, dass eine US-Regierung einer derartigen Entwicklung tatenlos zusehen würde. Sie wird versuchen, möglicherweise durch weitere militärische Unternehmungen - zum Beispiel im Iran - ihren Einfluss zu sichern. Dies dürfte erneut zu einer Eskalation der Gewalt im Mittleren Osten führen.

Zeitplan problematisch

Opfer der eskalierenden Gewaltspirale im Irak ist nicht nur die Zivilbevölkerung, sondern auch der zivile politische Prozess. Ob Mitte Oktober 2005 tatsächlich eine Volksabstimmung über eine neue Verfassung stattfindet und dann Mitte Dezember eine neue Regierung gewählt werden wird, ist zweifelhaft.

Im Irak ist die Privatisierung der Gewalt, das Wachstum der Kriminalität und terroristischer Gruppen sehr weit voran geschritten. Angesichts der fatalen Fehler der Besatzungspolitik erscheint eine Stabilisierung des Gewaltpotentials auf dem jetzigen Niveau als die beste der denkbaren Optionen.

Dieter Reinhardt ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Frieden und Entwicklung (INEF) an der Universität Duisburg-Essen. Reinhardt forscht zu den Themen Staatsverfall, Konfliktforschung, UN-System und humanitäre Hilfe in Kriegsgebieten.