"Der Papst ist unsere Hoffnung"
16. April 2016Mit der Landung auf der Insel ist er noch nicht am Ziel. Erst 70 Minuten später kommt Papst Franziskus tatsächlich dort an, wo er hinwill. Da steigt er im Hügelland von Lesbos aus einem Kleinbus und trifft Flüchtlinge. "Der Papst ist unsere Hoffnung" steht in englischer Sprache auf dem Pappschild eines Pakistani. "Bitte schützt das jesidische Volk vor Völkermord!" auf einem anderen. Manches Schild trägt nur ein Wort: "Hoffnung."
Franziskus besucht gemeinsam mit dem griechisch-orthodoxen Patriarchen Bartholomaios und dem orthodoxen Erzbischof von Athen, Hieronymus, das Camp Moria. In der Sprache europäischer Bürokraten und Politiker ist es ein "Hotspot" für Flüchtlinge. Tatsächlich ist es halb Lager, halb Gefängnis. Hier warten gut 2500 Menschen auf die Entscheidung, ob sie nach Europa dürfen oder zurückgeschickt werden in die Türkei.
Seit Lesbos zum Durchgangsort von Migranten auf ihrem Weg nach Europa geworden sei, sagt Franziskus, verspüre er "den Wunsch hierherzukommen". Die Tagesreise in die Ägäis ist seine 13. Auslandsreise. Anders als alle vorherigen sei sie "von Traurigkeit überschattet". Für ihn ist das Flüchtlingsdrama "die größte humanitäre Krise seit dem Zweiten Weltkrieg".
"Ihr seid nicht allein"
Der traurige Franziskus und die beiden Orthodoxen, unterwegs wie drei ältere Brüder, begrüßen Flüchtlinge. Einige, viele, sehr viele. Männern schüttelt der Papst im Gedränge die Hand, wenn Frauen sich lediglich verbeugen, senkt auch der Papst nur den Kopf. Einige Jüngere stecken ihm Zettel zu. Ein, zwei küssen die Hand des Gastes.
Ein Säugling krallt sein Händchen um einen Finger von Bartholomaios. Der weißbärtige Kirchenmann nimmt den Kleinen und reckt ihn hoch, einmal, zwei Mal, wie es die Orthodoxen mit heiligem Brot machen. Dann herzt auch Franziskus das Kind, segnet es, legt es der Mutter in den Arm.
Längst ist der vorgesehene Zeitplan dahin. Franziskus stört das nicht. Doch bei den Organisatoren bricht plötzlich Hektik aus - der Gast will auch noch dahin, wo das Lager im hinteren Teil wirklich nicht mehr schön und herausgeputzt ist. Er will an die Ränder, an den Zaun.
Die Pressezentren bei Papstreisen sind gemeinhin italienisch dominierte, polyglott laute, hektische Arbeitsbereiche. Ruhige Momente sind da selten. An diesem Samstag aber gibt es den Moment der Stille. Da kommt von den Bildschirmen plötzlich der herzzerreißende Klageschrei eines alten Mannes. Als Franziskus ihn begrüßt, sinkt er weinend zu Boden, bittet um einen Segen. Franziskus hilft ihm auf, drückt ihn.
Dann wenden sich die Kirchenmänner an 200 Flüchtlinge in einem Zelt. "Ich möchte euch sagen, dass ihr nicht alleine seid", sagt Franziskus. "Verliert die Hoffnung nicht." Er spricht von Leid, Gewalt und Schmerz, Tragik, Verzweiflung, Not. Und als er zum Ende seiner Rede auf Gott zu sprechen kommt, nennt er ihn den "Allbarmherzigen". Ein Wort, das Christen und Muslime sagen können.
Die Szene ist ein Bild für die Krise der Gegenwart: Der Papst, Argentinier spanischer Zunge, spricht hier Italienisch. Bartholomaios, in der Türkei geborener griechisch-orthodoxer Christ, verwendet Englisch. Ihnen lauschen Syrer und Pakistani, Afghanen und Iraker, einige Afrikaner aus Ländern südlich der Sahara. Viele Übersetzungen, viele Welten.
"Sie haben Gesichter und Geschichten"
Die Reise, verlautete im Vorfeld aus dem Vatikan, sei nicht politisch. Dieses offizielle Dementi kommt stets dann gerne, wenn es politisch wird. Auf Lesbos wirkt manches Wort des traurigen Franziskus engagiert, fast kämpferisch, fordernd, flehend. Ja, er fleht die Welt an, die Aufmerksamkeit auf diese Schrecken und die Not der Menschen zu richten. Und wer ihm zuhört, ahnt, dass "Europa", dass die Europäische Union die Adressaten sind: "Barrieren schaffen Spaltungen, anstatt dem wahren Fortschritt zu dienen."
Er dankt dem griechischen Volk, das sich trotz aller eigenen wirtschaftlichen Not für die Flüchtlinge engagiere. Konkret: Auf Lesbos wohnen rund 85.000 Menschen. Allein im vorigen Jahr strandeten hier an die 700.000 Schutzsuchende auf dem Weg nach Europa. So wird die Botschaft, die die drei Kirchenmänner am Ende veröffentlichen, ein flammender Appell gegen die Gleichgültigkeit.
Während der fünfeinhalb Stunden auf Lesbos feiert der Papst keinen Gottesdienst und besucht kein Gotteshaus. Bevor die drei Kirchenfürsten symbolisch drei Kränze ins Wasser werfen, betet er nur kurz allein am Hafen für jene, die auf der Flucht ums Leben gekommen sind, im Mittelmeer, diesem "Friedhof", so Franziskus. Ihm scheinen die Menschen in ihrem Leid Antlitz Gottes, Migranten, "die an erster Stelle nicht Nummern, sondern Personen und Gesichter, Namen und Geschichten sind".
Und dann bekommt diese Reise noch einen spektakulären Aspekt. Zuerst ist es nur ein Gerücht: Franziskus wird Flüchtlinge mit nach Rom nehmen. Am Flughafen, heißt es, habe der Papst mit Griechenlands Regierungschef Alexis Tsipras darüber gesprochen.
Tatsächlich belegt ist es erst, als zum Ende der Reise ein Dutzend Flüchtlinge über dieselbe Treppe wie Franziskus die Alitalia-Maschine nach Rom betreten. Drei Familien aus Syrien, sechs Erwachsene, sechs Kinder, deren Häuser in der Heimat von Bomben in Schutt und Asche gelegt wurden. Der Vatikan wird die Verantwortung für sie übernehmen, katholische Laien in Rom wollen sich kümmern. Es ist ein Zeichen nur, vielleicht ein schwieriges. Aber es zeigt, dass sich Franziskus mit dem Leid der Flüchtlinge nicht abfinden will.