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Keine falsche Eile

Bernd Riegert2. Juli 2007

Portugal hat am Sonntag (1.7.) die EU-Ratspräsidentschaft übernommen. Eine Fülle von Aufgaben kommt in den nächsten Monaten auf den mittelgroßen Staat zu. Aber wie wichtig ist die Landessgröße? Bernd Riegert kommentiert.

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Nach dem größten Mitgliedsland Deutschland (80 Millionen Einwohner) folgt in der EU ein mittelgroßes Land, nämlich Portugal (10 Millionen Einwohner), im Vorsitz. Müssen die Portugiesen jetzt das erledigen, was die Deutschen übrig ließen. Kleinkram? Hausaufgaben? Nein, denn in der EU gibt es keine Endlichkeit der Aufgaben. Es kommen fast täglich neue Gesetzesvorhaben hinzu, die von den Präsidentschaften kontinuierlich begleitet werden. Das alltägliche Geschäft, die enge Zusammenarbeit mit der EU-Kommission und dem Europaparlament läuft immer weiter.

Das erledigt auch nicht die jeweilige Präsidentschaft, die alle sechs Monate wechselt, dafür ist das Ratssekretariat mit seinen fast 3000 Mitarbeitern in Brüssel zuständig, die sich jahrelang in die Materie einarbeiten. Die Präsidentschaften bilden nur den politischen Kopf, ihr Einfluss wird oft überschätzt. Ob der EU-Vorsitz gut oder schlecht abschneidet, hängt im Grunde nicht von der Größe des Mitgliedslandes ab. Die Deutschen waren sicherlich effizient, aber genauso emsig hat die luxemburgische Präsidentschaft 2005 gearbeitet, obwohl das Land nur 500 000 Einwohner hat und das zuständige Außenministerium gerade einmal einige Dutzend Mitarbeiter.

Portugiesische Entspanntheit

Entscheidend ist der politische Wille, das politische Engagement für Europa. Und das kann in Luxemburg oder in Portugal genauso groß sein wie in jedem bevölkerungsreichen EU-Staat. Oder sogar größer. Die britische Präsidentschaft oder gar die italienische Präsidentschaft waren trotz der Größe der Länder aus Brüssler Perspektive ziemliche Ausfälle. Das einzige, was die Italiener 2003 zustande gebracht haben, damals noch unter Ministerpräsident Silvio Berlusconi, war exzellentes Catering. Alles andere war Chaos. Nur wenn es ums Geld geht, zeigt die Erfahrung, dass die langfristigen Haushalts-Verhandlungen eher gelingen, wenn ein großes Nettozahlerland den Hut aufhat. Dann kommt auch der deutsche Einfluss am meisten zur Geltung, denn schließlich zahlt Deutschland am meisten.

Natürlich hat jedes Land eine andere Herangehensweise an seine Präsidentschaft. Nach den preußisch-pragmatischen Deutschen folgen jetzt die eher entspannten Portugiesen. Der zuständige Staatssekretär hat schon verkündet, man wolle sich Zeit nehmen und keine Fehler in falscher Eile machen. Die wichtigste Aufgabe für Portugal ist es jetzt, den konkreten Text des EU-Reformvertrages in einer Regierungskonferenz zu erarbeiten. Da das unberechenbare Polen schon jetzt quengelt, es wolle Nachbesserungen, werden die Portugiesen vor allem das eng gefasste Mandat für die Konferenz verteidigen müssen. Die Regierungskonferenz ist immer eine heikle Aufgabe, weil am Ende alle 27 Staaten zustimmen müssen, jeder also im Umkehrschluss ein Veto hat.

Fokus auf Afrika, Brasilien und die Türkei

Abwehren wollen die Portugiesen auch den Wunsch Frankreichs über die Grenzen der Union und den möglichen Beitritt der Türkei neu zu verhandeln. Wenn auch Türkei-kritische Regierungen, wie die österreichische, die niederländische und die deutsche, sich dem Wunsch anschließen, wird sich ein neuerlicher 'Türkei-Gipfel' im Dezember kaum verhindern lassen.

In den Bereichen Inneres und Justiz hat Portugal für den EU-Vorsitz noch keine großen Ambitionen erkennen lassen, der Schwerpunkt der Präsidentschaft soll das Verhältnis zu Afrika und zum Schwellenland Brasilien sein. Portugal hat als ehemalige Kolonialmacht ein besonderes Interesse an beiden Feldern, während Deutschland den Fokus auf Zentralasien gelegt hatte.

Die nächsten sechs Monate werden wohl eher unspektakulär verlaufen, interessanter wird es dann wieder im Jahr 2008, wenn Slowenien als erstes Land aus der großen Osterweiterung 2004 den Vorsitz übernimmt. Danach folgt Frankreich. Im zweiten Halbjahr wird dann erneut ums Geld gestritten, eine Überprüfung der Haushaltsplanung und der für Frankreich wichtigen Agrarsubventionen steht an. Außerdem sollte dann der Reformvertrag in der heißen Ratifizierungsphase sein. Spätestens dann wird Präsident Sarkozy versuchen, den Türkei-Kurs der EU zu ändern. Ob groß, ob klein spielt also in der EU immer weniger eine Rolle. Außerdem arbeiten alle Präsidentschaften im Stillen mit den beiden nachfolgenden eng zusammen, um die Kontinuität zu wahren. Egal was auf der politischen Showbühne passiert, für die EU gilt im Alltag: Sie bewegt sich doch!