"Der Preis geht an das kolumbianische Volk"
7. Oktober 2016Deutsche Welle: Was für eine Botschaft steckt hinter der diesjährigen Vergabe des Nobelpreises?
Monika Lauer-Perez: Die Botschaft geht an das kolumbianische Volk und an seinen Präsidenten Juan Manuel Santos. Das ist eine ganze wichtige Differenzierung des Nobelpreiskomitees. Es ist eine ganz große Motivation für alle Beteiligten, den Friedensprozess weiterzugestalten.
Wieso haben wurden die FARC dann nicht auch explizit erwähnt?
Ich vermute, dass man sagt, die Farc sind Teil des kolumbianischen Volkes und insofern sind sie auch Mitträger des Nobelpreises.
Präsident Santos war nicht immer ein Friedensengel, er galt lange Zeit als Hardliner und hat versucht, die Farc militärisch zu besiegen. Wie erklären Sie sich seinen Sinneswandel?
Santos hat sich seit Beginn seiner Präsidentschaft im Jahr 2010 für den Friedensprozess eingesetzt. Das hat viele erstaunt, denn unter Ex-Präsident Álvaro Uribe (2002 – 2010) war er Verteidigungsminister und stand für den militärisch geführten Konflikt. Ich glaube, dass er irgendwann erkannt hat, dass der militärische Weg keine Lösung bietet. Uribe und Santos haben ja die ganze Zeit versucht, die Farc militärisch zu besiegen und es wurde klar, das geht nicht.
Sind die militärischen Erfolge nicht die Ursache dieses Wandels? Schließlich haben Santos und Uribe der Farc erhebliche Niederlagen beschert und sie militärisch geschwächt…
Ich glaube nicht. Es wurde immer wieder betont, dass die Farc sich nicht auf einen Frieden einlässt, weil sie angezählt ist. Wenn man im Land unterwegs war, konnte man sehen, dass die Farc in einigen Regionen sehr stark war, trotz dieser militärischen Niederlagen, die sie einstecken musste. Santos war da eher wie ein Visionär.
Santos wurde 2014 wiedergewählt. Seine Wiederwahl war eindeutig mit dem Friedensprozess verbunden. Wieso hat das kolumbianische Volk für seine Wiederwahl gestimmt und dann den Friedensvertrag abgelehnt?
Als Santos wiedergewählt wurde, geschah dies mit einer ähnlich hauchdünnen Mehrheit wie jetzt das „Nein" beim Plebiszit über den Friedensvertrag. Er hatte zwar den Auftrag, den Friedensprozess weiter zu verfolgen, doch die Opposition war fast gleichstark. Er ist diesen Weg weitergegangen, hat das Friedenabkommen unterzeichnet und als das Plebiszit kam, gab es ein Nein zu dem Abkommen, aber nicht zum Frieden. Das heißt, den Friedensprozess in Kolumbien unterstützt die Mehrheit der Bevölkerung. Es gibt aber einige Punkte, die nicht akzeptiert wurden.
Was sind für Sie die kritischen Punkte? Müssten die Farc-Kämpfer stärker für Ihre Gewalttaten betraft werden?
Es geht um das Empfinden von Gerechtigkeit. Das ist immer die große Frage: Wie viel Gerechtigkeit verträgt der Frieden? Und diese Frage ist auch in Kolumbien noch nicht beantwortet. Wären die Leute im Vorfeld besser informiert worden, hätten sie vielleicht schon zum Zeitpunkt des Plebiszits erkannt, dass es gar keine Straflosigkeit für die Farc geben soll. Es konnte aber aufgrund der mangelnden Information sehr leicht so dargestellt werden. Dass eine Übergangsjustiz anders ist als eine normale Strafjustiz, daran liegt ja genau ihr Sinn. Übergangsjustiz bedeutet nicht automatisch Straflosigkeit.
Hat der Friedensprozess jetzt noch eine Chance?
Ja, der Friedensprozess geht sicherlich weiter. Das „Nein" bei der Volksabstimmung war nicht nur für Präsident Santos und die Befürworter des Friedensvertrages eine große Überraschung, sondern auch für diejenigen, die dafür geworben hatten. Es gab einen Moment, in dem das Land in eine Art Schockstarre verfiel. Danach ist das Friedensabkommen noch einmal neu betrachtet worden. Es gab schon ein mehrstündiges Gespräch zwischen Santos und Uribe, und das heißt, dass die Basis für das Abkommen jetzt verbreitert wird. Die Vergabe des Nobelpreises bestärkt Kolumbien, den Weg zum Frieden weiterzugehen.
Monika Lauer-Perez ist Leiterin des Länderreferats Kolumbien bei Adveniat, dem Hilfswerk der Katholiken, das sich in Lateinamerika um Arme, Unterdrückte und Minderheiten kümmert.
Das Interview führte Astrid Prange.