Der Putin-Plan
7. September 2015Ein felsenfestes Dementi war es nicht. "Ich habe keine Information darüber", antwortete der Pressesprecher des russischen Präsidenten Wladimir Putin am Montag in Moskau auf die Frage eines Journalisten, ob Russland seine militärische Hilfe für Syrien ausgeweitet habe. Der Kremlchef selbst sagte vor drei Tagen, Moskau denkt über diverse Möglichkeiten nach. Eine militärische Beteiligung Russlands im Kampf gegen die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) sei "noch nicht auf der Tagesordnung", so Putin.
Seit Anfang September mehren sich weltweit Medienberichte, dass Russland angeblich Truppen nach Syrien verlegt habe, um an der Seite der syrischen Armee gegen den IS kämpfen. Manche Quellen bezogen sich dabei auf Informationen aus sozialen Medien, in denen angeblich Selfies von russischen Soldaten in Syrien auftauchten. In anderen Berichten heißt es, Russland habe neueste Militärtechnik mit seinen Kriegsschiffen nach Syrien gebracht und wolle auch einen Luftwaffenstützpunkt bauen.
Waffenlieferungen ausgeweitet
Einen richtigen Beleg gibt es dafür bislang nicht. Denn Russland ist ohnehin - und das ist kein Geheimnis - seit Jahrzehnten in Syrien militärisch präsent. "Es ist völlig normal, dass es in Syrien russische Militärs gibt", sagte deshalb auch Alexej Malaschenko, Nahost-Experte des Moskauer Carnegie-Zentrums. "Die sind seit 1955 im Nahen Osten präsent und haben verschiedene Aufträge, denn die syrische Armee ist komplett mit russischen Waffen ausgerüstet, die gewartet werden müssen."
Die Regierungen in Moskau und Damaskus sind in der Tat alte Verbündete. In der syrischen Hafenstadt Tartus am Mittelmeer unterhält Russland eine Reparaturbasis für seine Marine. Seit Beginn des Bürgerkrieges in Syrien 2011 hat Russland seine politische Unterstützung für das Regime in Damaskus stets mit Waffenlieferungen untermauert. Jetzt begründet die russische Regierung das mit dem Kampf gegen den IS. Zuletzt berichteten türkische Medien im August über eine angebliche Lieferung von sechs modernen Jagdflugzeugen vom Typ MiG-31 nach Syrien. Der russische Hersteller dementierte diese Berichte.
Die USA hielten es jedenfalls am Wochenende für nötig, Russland vor einem militärischen Eingreifen in Syrien zu warnen. US-Außenminister John Kerry telefonierte mit seinem Moskauer Kollegen Sergej Lawrow. Die Vereinigten Staaten seien besorgt, sagte Kerry. Eine Ausweitung russischer Militärhilfe für den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad würde die Lage verschärfen.
Experten warnen den Kreml vor einem Fehler
Russische Experten wie Alexander Golz bezweifeln, dass Russland jetzt schon in Syrien militärisch eingreift. Er schließt es aber für die Zukunft nicht aus. "Wenn man bedenkt, dass in Russland nur ein Mann Entscheidungen trifft, ist alles möglich", sagte Golz der DW. Militärisch würde Russlands Eingreifen in Syrien nur dann sinnvoll sein, wenn es den Kriegsverlauf radikal ändern könnte, meint der Experte aus Moskau. Er glaube nicht, dass Russland aktuell so viele Truppen schicken kann, um in Syrien und im Irak den "Islamischen Staat" besiegen zu können.
Wenn es das täte, würde Russland sowohl internationale als auch eigene sowjetische Erfahrung in Afghanistan in den 1980er Jahren ignorieren. Auch Alexej Malaschenko hält eine mögliche russische Militärintervention in Syrien für "einen großen Fehler". Sie würde wenig Aussicht auf Erfolg haben, und die russische Gesellschaft würde es auch kaum begrüßen, so der Experte.
Putin will in New York seinen Plan vorstellen
Es fällt auf, dass Berichte über eine russische Militärpräsenz in Syrien wenige Wochen vor Putins groß angekündigter Rede vor der UN-Vollversammlung aufgetaucht sind. Der Kremlchef will in der zweiten Septemberhälfte nach New York reisen. Seit Anfang August wird in Russland über einen "Putin-Plan" spekuliert, den der Kremlchef dort angeblich verkünden möchte. Bisher ist nur bekannt, dass Russland eine internationale Koalition gegen den IS gründen möchte. Eine solches Bündnis wird bereits von den USA angeführt, doch Russland möchte sich diesem nicht anschließen. Seit Wochen betreibt die Regierung in Moskau eine diplomatische Offensive und führt Gespräche. Mit den USA habe man sich noch nicht einigen können, so Außenminister Lawrow im August.
Dabei verhandelt Russland auch mit Ländern im Nahen Osten, vor allem mit Saudi-Arabien. Bisher scheinen diese Verhandlungen aber nicht gefruchtet zu haben. Russland möchte dabei vor allem den angeschlagenen syrischen Präsidenten al-Assad stützen, während der Westen und vor allem die USA ihm die Schuld am Bürgerkrieg geben und seinen Rücktritt fordern.
Sanktionenende als Gegenleistung für Hilfe gegen IS?
Außerdem wird in russischen Medien über ein mögliches weiteres Motiv des Kremls spekuliert. Als Gegenleistung für seine Hilfe im Kampf gegen den IS wolle Putin "Zugeständnisse in der Ukraine-Frage", schrieb am Wochenende die renommierte Moskauer Zeitung "Nowaja Gaseta". Moskau wünsche sich "ein Ende der Sanktionen und Rückkehr in den Klub westlicher Mächte", so die Zeitung. Mit diesen Vorschlägen werde Putin nach New Work reisen.
Alexej Malaschenko vom Moskauer Carnegie-Zentrum glaubt, dass es Putin in erster Linie darum geht, seinen Verbündeten al-Assad zu stützen und weniger darum, den IS zu bekämpfen. Doch diese Hilfe aus Moskau trage auch ein Risiko, meint der Experte und fragt: "Wie würde Moskau dastehen, wenn al-Assad doch stürzen sollte?" Selbst in Moskau glauben Nahost-Experten, dass der syrische Präsident sich ohne russische Unterstützung kaum an der Macht würde halten können. Grigorij Mirskij von der russischen Akademie der Wissenschaften nennt Syrien "einen hoffnungslosen Fall". Er glaubt jedoch, dass Putin dennoch alles tun werde, um al-Assad nicht fallen zu lassen.