Steinmeier: Der Regierungsmacher
19. März 2018Als Frank-Walter Steinmeier vor einem Jahr vom Amt des Außenministers in das Bundespräsidialamt wechselte, da hatte das noch etwas von Abschied aus der aktiven Machtpolitik; von Rückzug in die abstrakten Sphären der übergeordneten Debatten. Da war noch nicht absehbar, dass er bald gegen die zentrifugalen Kräfte der Parteiinteressen anarbeiten werden müsse, um eine Regierungsbildung nach dem Scheitern des Politikexperiments "Jamaika" zwischen Merkels CDU/CDU, den Grünen und der Liberalen FDP, möglich zu machen.
In der entscheidenden Phase allerdings, als die Koalitionsgespräche zwischen Angela Merkels CDU, CSU und SPD Anfang Januar in ihre finale Verlängerung vor dem erlösenden Durchbruch gingen, war Deutschlands Bundespräsident weit, weit weg - in Südkorea, zur Eröffnung der Olympischen Winterspiele. Steinmeier war als Ex-Außenminister in seinem Element - und noch wichtiger - tausende Kilometer vom politischen Geschehen in Deutschland entfernt.
Kein "Neuaufguss des Alten"
Schließlich hatte er da seinen präsidialen Teil zur Regierungsbildung schon längst getan. Hatte "seine" Sozialdemokraten von der SPD mit der Mahnung an ihre demokratische Verantwortung, die eben auch bedeute, dass man "sich nicht drücken" dürfe, zurück an den Verhandlungstisch mit Angela Merkel gebracht. Genau dorthin, wo sie nie wieder hinwollten.
Sein großes Thema hatte er da schon. Noch bevor er zum ersten Bundespräsidenten Deutschlands wurde, der je so tief und so konkret in die Regierungsbildung eingreifen musste. Am Tag seiner Vereidigung am 19. Marz 2017 sagte Steinmeier: "Wir müssen über Demokratie nicht nur reden, wir müssen wieder lernen für sie zu streiten."
Den Satz griff er anlässlich seiner Rede zu seinem ersten Jahr im Amt erneut auf und fordert mehr Engagement für Demokratie in der Bevölkerung ein. Bei der Vereidigung von Angela Merkels viertem Kabinett mahnte er - in für einen Bundespräsidenten ungewöhnlicher Nähe zur aktuellen Politik: ein "Neuaufguss des Alten" werde nicht genügen, um verlorenes Vertrauen in der Bevölkerung zurückzugewinnen.
Der Leisetreter
Wirklich Wellen geschlagen hat er damit noch nicht. Seine Mahnungen taugen bislang nicht zu der Art Zitat, das von einer präsidialen Amtszeit übrig bleibt. Wie sein Vorgänger Christian Wulff, dessen Name auf ewig mit seiner Aussage "Der Islam gehört zu Deutschland" verbunden bleiben wird. Eine Aussage, die Dreh- und Angelpunkt einer immer wiederkehrenden Debatte geworden ist. Oder die Aussage seines direkten Vorgängers Joachim Gauck, der mitten in der Flüchtlingsdebatte mit dem Satz: "Unser Herz ist weit. Doch unsere Möglichkeiten sind endlich" auf die begrenzten Aufnahmekapazitäten Deutschlands hinwies.
Wie schon als Außenminister bleibt Steinmeier auch als Bundespräsident meist ein diplomatischer Leisetreter. Er wird lieber differenziert verstanden als einfach viel zitiert. Dabei findet er ernste Worte für das, was seiner Ansicht nach auf dem Spiel steht: unsere Demokratie. Er bezeichnet sie als "Staatsform, die das Risiko der Selbstzerstörung in sich trägt, wenn Bürger aufhören, sich für die Demokratie zu engagieren." Nach den Politikern nimmt er nun auch die Bürger in die Pflicht.
Im ersten Jahr seiner Amtszeit hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den "einen Satz" mit Durchschlagskraft noch nicht formuliert. Doch seine Warnungen vor zunehmender Gleichgültigkeit gegenüber den Grundfesten der Demokratie verdichten sich.