Der Riese wankt: Chinas Wachstum lässt nach
17. Juli 2023Maue Exporte, kriselnder Immobilienmarkt, rekordhohe Jugendarbeitslosigkeit: Die Erholung der Wirtschaft in China von der Corona-Krise hat im zweiten Quartal angesichts zahlreicher Probleme erheblich an Schwung verloren. Das Bruttoinlandsprodukt wuchs von April bis Juni nur noch um 0,8 Prozent im Vergleich zum Vorquartal, wie das Statistikamt am Montag in Peking mitteilte. Damit wurde das Ergebnis des ersten Vierteljahres von 2,2 Prozent klar verfehlt. Von der Nachrichtenagentur Reuters befragte Ökonomen hatten sogar nur mit einem Plus von 0,5 Prozent gerechnet.
"Die Daten signalisieren, dass Chinas Nach-Corona-Boom eindeutig vorbei ist", sagte die Ökonomin Carol Kong von der Commonwealth Bank of Australia. "Wir sehen einen schwachen und stockenden Aufschwung."
Verglichen mit dem Vorjahreszeitraum wuchs die nach den USA zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt zwar mit 6,3 Prozent so kräftig wie seit zwei Jahren nicht mehr. Allerdings hatten ein Jahr zuvor die Lockdowns in der Wirtschaftsmetropole Shanghai und anderen Großstädten das Ergebnis stark gedämpft. Zudem wurde die Ökonomen-Prognose von 7,3 Prozent klar verfehlt.
Wachstumsziele noch erreichbar?
"Offensichtlich müssen wir uns in den nächsten Tagen auf eine neue Welle der Herabstufung der Wachstumsaussichten einstellen", sagte Zhou Hao, Wirtschaftswissenschaftler bei Guotai Junan International. Das Wachstumsziel der nach den USA zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt von fünf Prozent scheine jedoch durchaus erreichbar zu sein.
Analysten bezweifeln inzwischen, ob das von der Regierung ausgegebene Wachstumsziel von fünf Prozent für das Gesamtjahr 2023 geschafft werden kann. "Es besteht nun tatsächlich die Gefahr, dass das Wachstumsziel möglicherweise nicht erreicht wird", sagte Alvin Tan von RBC Capital Markets in Singapur. Viele Experten spekulieren darauf, dass Regierung und Zentralbank versuchen werden, der Konjunktur mit neuen Hilfen auf die Sprünge zu helfen.
"Wir erwarten in den kommenden Monaten eine Lockerung der Geldpolitik und gezielte fiskalische Unterstützung für Schlüsselbranchen, darunter Immobilien und Baugewerbe", erwarten die Ökonomen von Goldman Sachs. "Aber diese zusätzliche Unterstützung wird kein Allheilmittel sein. 2023 sieht für China zunehmend wie ein Jahr zum Vergessen aus."
Jugendarbeitslosigkeit sehr hoch
Der Exportweltmeister leidet unter der schwächelnden Nachfrage im Ausland, befinden sich doch wichtigste Absatzmärkte wie Deutschland in einer Rezession. Im Juni brachen die Ausfuhren deshalb so stark ein wie seit Ausbruch der Corona-Pandemie vor über drei Jahren nicht mehr. Ein weiteres Problem ist der Immobilienmarkt, der etwa ein Viertel der Wirtschaft ausmacht. Reuters-Berechnungen zufolge brachen die Immobilieninvestitionen im Juni um 20,6 Prozent zum Vorjahresmonat ein, nach minus 21,5 Prozent im Mai. Auch der Konsum schwächelt: Der Einzelhandelsumsatz wuchs im Juni nur noch um 3,1 Prozent, nachdem er im Mai noch um 12,7 Prozent zulegte.
Ein Grund für die Konsumschwäche könnte die steigende Arbeitslosigkeit sein: Die Arbeitslosenquote junger Chinesen erreichte im Juni mit 21,3 Prozent einen Rekordwert. Millionen Schul- und Uni-Absolventen steht nur noch ein begrenztes Angebot an Jobs zur Verfügung.
Die langsamer als erwartete Erholung der chinesischen Wirtschaft drückt zu Wochenauftakt die Märkte in Asien ins Minus. Analysten von Goldman Sachs erwarten daher in den kommenden Monaten weitere gezielte Lockerungsmaßnahmen vor allem bei den Bereichen Finanzen, Immobilien und Konsum. Allerdings dürfte das Konjunkturpaket wohl geringer ausfallen als in früheren Lockerungszyklen.
"Kein Rettungsanker für Deutschland"
Für die rezessionsgeplagte deutsche Wirtschaft werden aus China wohl keine großen Impulse kommen, meinen Experten. "Vor Ort herrscht weiterhin eine zähe Konsumzurückhaltung", sagte der Außenwirtschaftschef der Deutschen Industrie- und Handelskammer
(DIHK), Volker Treier, am Montag. Mehr als die Hälfte der deutschen Unternehmen erwartet für 2023 unveränderte oder gar schlechtere Geschäftsaussichten, ergab eine Umfrage der Deutschen Handelskammer in China.
Die Regierung in Peking stütze zwar die schwächelnde Inlandsnachfrage durch öffentliche Investitionen und günstigere Finanzierungen, während sich die Lage im Immobiliensektor zumindest zu stabilisieren scheine, sagte der Ökonom Klaus-Jürgen Gern. "Allerdings wird die Nachfrage aus China in den kommenden Monaten für die deutsche Wirtschaft nicht den Rettungsanker bieten, den sie noch in der globalen Finanzkrise bildete", sagte Gern. "Dies liegt nicht zuletzt daran, dass in China gerade das Verarbeitende Gewerbe zu kämpfen hat und der Außenhandel schrumpft, was deutsche Produzenten direkt betrifft." Von den Dienstleistungsbereichen, die noch relativ kräftig expandieren, dürften kaum Impulse für die deutsche Wirtschaft ausgehen. "Hinzu kommen die strukturellen
Verschiebungen im Automarkt, die derzeit zulasten der deutschen Produzenten gehen", so Gern.
"Chinas Nachfragemangel schlägt sich mittlerweile auch in den deutschen Exporten nieder", sagte DIHK-Experte Treier. In den ersten fünf Monaten dieses Jahres sind die deutschen Ausfuhren von Waren in das Reich der Mitte sogar um knapp zehn Prozent auf 40,6 Milliarden Euro gesunken. Weltweit sind die deutschen Exporte dagegen um 4,5 Prozent gewachsen.
iw/hb (rtr, dpa, afp)