Kunst unterm Hammer 2.0
11. Dezember 2017DW: Wie bekommt man als Auktionshaus einen Gerhard Richter zur Versteigerung?
Kilian Jay von Seldeneck: Viele Sammler kennen uns ja schon über eine längere Zeit, manchmal schon über Generationen, da kommt man dann ins Gespräch. Aber wir nutzen auch die Möglichkeiten, die das Online-Marketing bietet. Wenn Sie also "Gerhard Richter" mit "Preis" oder "Verkaufen" googlen, dann hoffen wir, dass wir da relativ weit oben in der Liste der Suchergebnisse erscheinen, weil wir diese Möglichkeiten ganz progressiv nutzen und uns dafür auch ganz bewusst entschieden haben.
Wie wichtig ist es, dass man auch mal Stars wie Gerhard Richter versteigert?
Wir befinden uns im Auktionshaus ja in einer sogenannten "Aufmerksamkeitsökonomie". Das heißt, wenn wir Highlights von Superstars wie Gerhard Richter oder Sigmar Polke haben, dann beflügelt das natürlich auch das restliche Angebot. Denn die Sammler werfen dann noch einen zweiten Blick oder dritten Blick auf den Katalog, und so ist es ein schönes Miteinander von den verschiedenen Künstlern.
Wie genau sieht Ihre Strategie in den neuen Medien aus?
Die Digitalisierung hat den Kunsthandel und seine Internationalisierung natürlich beflügelt. Wir können heute die Kunden auf der ganzen Welt ganz anders erreichen als früher. Und wir können ihnen darüber hinaus auch noch einen Kontext bieten, den wir mit einem Katalog nur begrenzt abbilden können. Wir können Filme drehen, bei Skulpturen verschiedene Seitenansichten online stellen, wir können aber auch spannende Gesprächspartner dazu bitten, und so mit diesem Edutainment Sammler dazu bringen, immer wieder auf unsere Seite zurückzukehren, weil sie zum einen das Gefühl haben, bei uns etwas zu lernen, und sich zum anderen als Teil unserer Community fühlen. Auf diesem Weg haben wir unsere Reichweite unter den internationalen Sammlern durchaus erhöht.
Welchen Vorteil bieten die Livestreams den Bietern?
Das ist zum einen natürlich spannend für Sammler, die am Auktionstag nicht dabei sein können, die in vergangenen Zeiten nur entweder schriftlich bieten konnten oder sich als Telefonbieter angemeldet haben. Die können jetzt am Telefon bieten und gleichzeitig im Netz live verfolgen, was im Saal passiert. Zum anderen können sich Sammler als Live-Bieter registrieren lassen und online dazugeschaltet werden, dann haben sie den Vorteil, dass der Auktionator gar nicht weiß, auf welches Bild sie bieten werden. Sie haben also das Überraschungsmoment auf ihrer Seite, das früher nur für den Saalbesucher galt.
Was ist heute die Hauptaufgabe eines Auktionshauses?
Wir sind Kunstvermittler im besten Sinne, das heißt, wir vermitteln zum einen das physische Objekt von einem Sammler oder Museum an das nächste, zum anderen vermitteln wir aber auch den Esprit, die Aura eines Kunstwerks an Interessierte, die zu uns in die Vorbesichtigung kommen, ohne notwendigerweise die Absicht zu haben, es zu kaufen. Diese Kulturvermittlung spielt auf vielen Ebenen eine Rolle. Es geht nicht nur um den Verkauf: Wenn wir Ausstellungen oder Vorbesichtigungen organisieren, sind die Häuser zum Glück immer recht voll. Die Sammler genießen es eben, nicht nur zu kaufen, sondern auch Teil der Familie zu sein.
Ist der Auktionstag noch spannend für Sie?
Absolut. Der Auktionstag ist für mich, wie wohl für jeden Auktionator, der Höhepunkt meiner Arbeit: wenn die Sammler sich entscheiden müssen zu bieten oder eben auch nicht. Und das ist ja etwas, was man vorher auch als Auktionator nur bedingt einschätzen kann. Es ist immer ein Überraschungseffekt dabei: Wer entscheidet sich wofür, wie hoch gehen die Bieter, das ist der Moment der Wahrheit.
Das Kunsthaus Lempertz, seit 1840 in Familienbesitz, ist eines der führenden Kunstauktionshäuser Europas. Lempertz veranstaltet jährlich mehr als 20 klassische Kunstauktionen, und auch hier wird der digitale Markt immer wichtiger: Im vergangenen Jahr wurde weltweit Kunst im Wert von mehr als drei Milliarden Euro auf digitalem Wege versteigert. Das sind acht Prozent des Gesamtmarktes. Auch Lempertz hat auf diese Weise einen Großteil des Umsatzes von 58,3 Millionen Euro im letzten Jahr eingefahren. Am 2. Dezember hat das Auktionshaus drei Werke von Gerhard Richter in Höhe von mehr als 1,1 Millionen Euro versteigert, die sie im Netz aufwendig beworben hatten. Kilian Jay von Seldeneck ist Auktionator und Mitglied der Geschäftsleitung bei Lempertz.
Das Interview führte Philip Kretschmer.