Der Schah in Berlin
22. Mai 2009Das Wetter meint es gut mit den Berlinern an diesem 2. Juni 1967. Sommerlich warm ist es, als der Schah von Persien mit seiner Frau Farah Diba während seines Deutschlandbesuchs in West-Berlin eintrifft. Er winkt von der Treppe des Flugzeugs den wartenden Menschen entgegen. Nichts deutet daraufhin, dass dieser Tag die Bundesrepublik verändern wird. Er ist ein zwar umstrittener, aber dennoch gern gesehener Gast in der Bundesrepublik. Die einen sehen in ihm einen Statthalter der USA im Nahen Osten und brutalen Unterdrücker des eigenen Volkes. Für die anderen ist er ein märchenhafter Kaiser und Liebling der Boulevardpresse.
Holzstangen gegen Tomaten und Eier
Der Regierende Bürgermeister Heinrich Albertz empfängt seine "kaiserliche Majestät" und Kaiserin Farah am Flughafen und versichert, dass sich die Menschen in der geteilten Stadt über ihren Besuch freuen und ihnen einen herzlichen Empfang bereiten würden. Das ist, zumindest was die jüngeren Berliner betrifft, ein Trugschluss, wie sich am Nachmittag herausstellt.
Auf dem Programm steht der Besuch der Deutschen Oper. Es wird Mozarts "Zauberflöte" gegeben. Als die Limousine des Schahs vorfährt, haben sich einige tausend Demonstranten - meist Berliner Studenten - versammelt und protestieren lautstark gegen den Mann aus Teheran. Es fliegen Eier und Tomaten durch die Luft und Ho-Chi-Minh-Rufe sind vor der inzwischen regennassen Deutschen Oper zu hören. Heinrich Albertz, der den Staatsgast in die Oper begleitet, fordert, dass sich derartige Proteste nicht wiederholen dürfen.
Doch Wasserwerfer und prügelnde Anhänger der Schahs heizen die Situation weiter auf. Die so genannten "Jubelperser" dreschen mit langen Holzstangen in die Menge, zahlreiche Verletzte säumen mittlerweile die Straße - binnen weniger Augenblicke hat sich eine regelrechte Straßenschlacht entwickelt.
"Wer mich angreift, wird vernichtet"
Am Abend erreichen die Ausschreitungen einen folgenschweren Höhepunkt. Der am Geschehen unbeteiligte 26-jährige Student Benno Ohnesorg wird von einer Kugel des Polizisten Karl-Heinz Kurras tötlich getroffen. Obwohl Augenzeugen schildern, dass Benno Ohnesorg für den Polizisten keine Bedrohung dargestellt habe, wird Kurras später "aus Mangel an Beweisen" freigesprochen. Das Urteil sorgt für Empörung. 40 Jahre später äußert sich der Polizist zum Tod von Benno Ohnesorg. Fehler habe er keine gemacht, vielmehr hätte er "fünf, sechs Mal hinhalten sollen, dass die Fetzen geflogen wären. Wer mich angreift, wird vernichtet. Aus, Feierabend. So ist das zu sehen!" Neuen Erkenntnissen zufolge soll Kurras für den Staatssicherheitsdienst der DDR gearbeitet haben. Allerdings gibt es keine Hinweise darauf, dass er von DDR-Seite mit dem Schuss auf Ohnesorg beauftragt wurde (siehe Beitrag unten: Ohnesorg von Stasi-Spion erschossen?).
Der 2. Juni 1967 wird zum Fanal. Für die einen beginnt der Weg in den Terrorismus. Für sie ist der bewaffnete Kampf das geeignete Mitteln, den Staat aus den Angeln zu heben. Sie werden als "Rote Armee Fraktion" oder "Baader-Meinhof-Gruppe" traurige Berühmtheit erlangen. Ulrike Meinhof, später selber mit der Waffe in der Hand im "Krieg mit dem Staat", fordert Engagement "für diejenigen, die sich versuchen zu befreien von Terror und Gewalt." Wenn bei diesem Versuch nur der Krieg als letztes Mittel bliebe, dann, so Ulrike Meinhof weiter, "sind wir für ihren Krieg."
Terror und Gewalt
Was die Ideologin des bewaffneten Kampfs den Journalisten ins Mikrophon diktiert, mündet für die kommenden zehn Jahren in Terror und Gewalt in der Bundesrepublik. Mordanschläge auf prominente Politiker oder Verbandsfunktionäre, Juristen und Botschaftsangehörige gehören ebenso zu den Mitteln dieses Kampfes wie Banküberfälle oder Terroranschläge auf militärische Einrichtungen. Der "deutsche Herbst" des Jahres 1977 ist der Höhepunkt der Auseinandersetzung zwischen Terroristen und der Staatsgewalt. Als der Versuch, mit dem entführten Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer von der Bundesregierung die Freilassung der inhaftierten Gesinnungsgenossen zu erpressen, scheitert, ist die Welle des Terrors vorbei.
Die Mehrheit der studentischen Demonstranten bleibt aber bei friedlichen Mitteln des Protestes. Ihr Zorn richtet sich gegen den Vietnam-Krieg und gegen die ihrer Meinung nach verlogene Vorstellung, die Freiheit Berlins müsse vor den Toren Saigons verteidigt werden. Sie demonstrieren gegen die Überfluss-Gesellschaft mit ihrer tabuisierten Sexualität und einem politischen Establishment, das all jene Werte hochhält, die sie verabscheuen. Sie halten die Familie für eine kleinbürgerliche Zwangsanstalt und propagieren den "Marsch durch die Institutionen", um den Staat auf den Kopf zu stellen. Sie wettern gegen ihre Väter und deren Unfähigkeit, über die Ereignisse im Nationalsozialismus zu sprechen. Sie unterstellen ihnen pauschal die Schuld am Holocaust und können nicht verstehen, dass sich ihre Väter gegen das nationalsozialistische Unrechtsregime nicht zur Wehr gesetzt haben.
Angst vor den Studenten
Mit dem Slogan "Unter der Talaren - der Muff von tausend Jahren" ziehen sie vor allem aber gegen die die Studienbedingungen zu Felde. Rudi Dutschke, der Wortführer und intellektuelle Kopf des studentischen Protestes, prangert überfüllte Hörsäle ebenso an wie überforderte Professoren, die "nichts mehr begreifen." Wenig später wird aus der Kritik eine radikale Ablehnung der gesamten politischen Ordnung: Nein zum Parlament als "einer Verhüllungsmaschine, wo wir nicht mehr vertreten sind." Rudi Dutschke klagt die große Koalition in Bonn an, die nur dazu da sei, "die Herrschaft der Regierungsclique, der bürokratischen und monopolistischen Oligarchie aufrecht zu erhalten."
Bei ihrer Kritik werden sie unterstützt von einigen Hochschullehrern, die als Vordenker der Bewegung verherrlicht werden. Der Soziologe Herbert Marcuse fordert, die Theorie über die Tatsachen zu stellen - aber die gesellschaftliche Realität ist immer gewalttätiger und hasserfüllter gegenüber der Studentenbewegung geworden. Boulevardblätter des Springer-Verlages hetzen gegen die Anführer der ihrer Meinung nach systemgefährdenden Revolte der Studenten.
Am 11. April 1968 geht die Saat auf. Ein junger Hilfsarbeiter verübt ein Attentat auf Rudi Dutschke und verletzt ihn dabei lebensgefährlich. Die Nachricht geht in Windeseile durch die Stadt, wenig später beginnt eine Demonstration vor dem Springer-Gebäude in Berlin, bei der den dort hergestellten Zeitungen eine Mitschuld an der Tat vorgeworfen wird.
"Mehr Demokratie wagen"
Im September 1969 gewinnt die SPD mit Willy Brandt als Spitzenkandidat die Bundestagswahl und bildet mit der FDP die erste sozial-liberale Koalition. Die neue Regierung verspricht, mehr Demokratie zu wagen und die Republik zu reformieren. Viele setzen ihre Hoffnungen auf einen Neuanfang, andere beginnen mit dem "Marsch durch die Institutionen" und arrangieren sich mit dem System, das sie vorher bekämpft haben.
Ihr Kampf um einen gesellschaftlichen Wandel trägt in den kommenden Jahrzehnten Früchte. Viele der damaligen Lebensvorstellungen sind inzwischen Realität geworden und viele der damaligen Protestler sind inzwischen Teil des ehedem so verhassten "politischen Establishments". Es sei ein "riesiger Erfolg", sagt Knut Nevermann, damals Vorsitzender des Studentenausschusses an der Berliner FU und heute Staatssekretär im sächsischen Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst, dass das "grundsätzlich kritische und demokratische Bewusstsein" in der Studentenbewegung seinen Ursprung hat.
Wie sehr sich die deutsche Gesellschaft geändert hat, kann man auch an einigen Biographien festmachen. Mitte der 1970-er Jahre ist Joseph Martin - genannt "Joschka" - Fischer in Frankfurt Mitglied verschiedener linksradikaler Zirkel. Gewalt gegen Sachen und Straßenschlachten mit der Polizei sind ihm nicht fremd. Die Entführung von Arbeitgeber-Präsident Hanns-Martin Schleyer im Herbst 1977 lässt ihn sich - nach eigenem Bekunden - von radikalen und gewalttätigen Ideen abkehren. Wenig später schließt er sich der neu gegründeten Partei der "Grünen" an, wird 1985 Umweltminister in Hessen und 1998 schließlich Außenminister und Vizekanzler im ersten rot-grünen Kabinett von Bundeskanzler Gerhard Schröder. Joschka Fischers Entwicklung vom Steinewerfer zum Außenminister ist eine jener erstaunlichen Karriere, die ohne den radikalen Wandel seit Ende der 1960-er Jahre nicht vorstellbar ist.
Autor: Matthias von Hellfeld
Redaktion: Dеnnis Stutе