Der schwierige Kampf gegen Hexenwahn
10. August 2020Es ist eine traurige Tatsache: In vielen Ländern der Welt werden noch heute Menschen der Hexerei beschuldigt, verfolgt und im Hexenwahn getötet - besonders in Afrika, Südostasien und Lateinamerika. Aus diesem Grund hat das Katholische Hilfswerk Missio den ersten Internationalen Tag gegen Hexenwahn ausgerufen: Am 10. August wurde dieser zum ersten Mal begangen. Er soll Licht auf dieses dunkle Kapitel der Gegenwart werfen.
Jörg Nowak, Sprecher des Hilfswerks, bereist seit Jahren die Länder, in denen Missio Projektpartner in ihrer Ausbildung und Sozialarbeit unterstützt. Dass in vielen dieser Länder bis heute noch Menschen als Hexen verfolgt und im Hexenwahn getötet werden, hört er vor drei Jahren in Papua-Neuguinea zum ersten Mal. Nowak hat seitdem Beweise und sogar Fotos von Tätern gesammelt und eine Studie herausgegeben. Vor Ort in Papua-Neuguinea kann er die Ergebnisse jedoch nicht veröffentlichen, weil das die Partnerorganisationen in Gefahr bringen würde.
Krankheiten, plötzliche Todesfälle in der Familie, Ernteausfälle, Hass, Neid und Habgier - die Liste der Gründe, weshalb Menschen andere der Hexerei beschuldigen, ist lang. Auch hat sie sich in den vergangenen Jahrhunderten kaum geändert. Dabei stellt Jörg Nowak klar: "Es gibt keine Hexen. Aber es gibt Beschuldigungen, Stigmatisierungen, mit denen man versucht Menschen zu verteufeln, zu diskreditieren und sich dadurch auch Vorteile zu erspielen."
Hexenverfolgungen - ein brennendes Problem der Gegenwart
In Europa dauerte die Zeit der Hexenverfolgung vom 15. Jahrhundert bis ins 18. Jahrhundert an. Zwischen 1560 und 1630 erreichte sie ihren Höhepunkt, so der Historiker Wolfgang Behringer, Professor für Frühe Neuzeit an der Universität des Saarlandes. Er schätzt, dass in dieser Zeit 50.000 bis 60.000 Menschen getötet wurden. Zum Vergleich: In dieser Zeit hatten selbst große Städte wie Köln und Hamburg nicht mehr als 40.000 Einwohner.
Im 20. Jahrhundert seien jedoch mehr Menschen wegen vermeintlicher Hexerei getötet worden als in der Periode der europäischen Hexenverfolgung in 300 Jahren: "In Tansania wurden zwischen 1960 und 2000 ungefähr 40.000 Menschen ermordet, die wegen vermeintlicher Hexerei angeklagt waren. Hexerei ist kein Delikt im tansanischen Strafrecht, aber es sind oft Dorfgerichte, die entscheiden, dass bestimmte Menschen getötet werden sollen". Über die Zahlen vor 1960 ist wenig bekannt.
Im DW-Gespräch ist sich Behringer sicher: Es handelt sich dabei nicht um Willkürakte. "Deswegen bin ich zu dem Schluss gekommen, dass die Hexenverfolgungen kein historisches Problem sind, sondern ein brennendes Problem unserer eigenen Gegenwart."
"Hexenkinder" im Kongo
In Tansania sind es vor allem Menschen mit Albinismus, von denen einige glauben, aus ihren Körperteilen könnten Medikamente gewonnen werden. In Ghana suchen einige Gemeinschaften den Grund für die Geburt eines behinderten Kindes in angeblichen Hexerei-Praktiken.
Im Kongo werden sogenannte Hexenkinder von ihren Familien verstoßen. In der Stadt Bukavu im Osten des Landes, kümmert sich die Projektpartnerin von missio, Thérèse Mema Mapenzi, um diese Kinder. Eigentlich hat Mapenzi hier ein Zentrum für Frauen aufgebaut, die von den bewaffneten Milizen im Ostkongo vergewaltigt wurden. Vergewaltigungen gelten dort als gängige Kriegswaffe.
Doch als immer mehr Kinder bei ihr Schutz suchen, spricht auch sie gegenüber Missio von Hexenverfolgungen. Mit Unterstützung der Organisation hilft sie nun auch diesen Kindern, ihre Traumata zu bewältigen, bringt sie in Waisenheimen unter, bemüht sich für sie um Schulplätze.
Angesichts der Situation ist sie fassungslos: "Wir haben von mehreren Fällen erfahren, in denen Kinder vergewaltigt werden und dann von ihrer Familie nicht mehr akzeptiert werden. Oder aber sie wurden unehelich geboren und müssen bei einem Elternteil leben, der sie nicht akzeptiert", sagt Mapenzi. Diese Kinder würden oft von ihren Familien verstoßen - als Rechtfertigung werde ihnen Hexerei unterstellt.
Thérèse Mema Mapenzi sagt: "Diese Kinder kommen zu uns, häufig wurden sie blutig geschlagen, als Hexe gebrandmarkt oder haben andere Wunden. Dieser Anblick tut weh. Wir sind immer wieder schockiert, diese Kinder ohne jeglichen Schutz zu sehen. Wie kann das sein? "
Mühselige Arbeit gegen Hexenwahn
Oft feuern die Freikirchen im Kongo den Hexenwahn an. Für Krankheiten wie AIDS und die Unfruchtbarkeit von Frauen suchen sie Schuldige - Frauen und Kinder - vermeintliche Hexen. Den Verurteilten zu helfen sei nicht einfach, sagt die Direktorin des Zentrums: "Im kongolesischen Recht wird Hexerei nicht als Rechtsverletzung anerkannt, da es keine Beweise gibt. Leider hat die Bevölkerung aber ihre eigene Rechtsprechung entwickelt, um Revanche zu nehmen und die Menschen zu bestrafen, die sie als Hexen bezeichnen."
Mapenzis Ziel: bestehende Konflikte in der Gemeinschaft angehen und Familien, die durch Hexereivorwürfe auseinandergerissen wurden, wieder vereinen. Sie veranstaltet Gesprächsrunden, klärt auf. Sie vermittelt und schlichtet innerhalb der Familien. So gelingt es ihr von Zeit zu Zeit, einige Frauen und Kinder wieder in ihre Familien zu integrieren. Zwei bis drei Jahre kann das dauern und die Gefahr, dass ihnen erneut Hexerei vorgeworfen wird, kann nie ganz ausgeschlossen werden.
Der erste Internationale Tag gegen Hexenwahn ist auch für Thérèse Mema Mapenzi ein Meilenstein. Wie Jörg Nowak hofft auch sie, dass so ein größeres Bewusstsein über dieses brisante Problem der Gegenwart geschaffen werden kann.