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Gesellschaft

"Der Staat kann Integration nur bedingt steuern"

24. April 2018

Der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration hat sein Jahresgutachten vorgestellt. Petra Bendel erklärt, inwieweit der Staat überhaupt Regeln aufstellen kann, um Integration zu fördern.

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Deutsche und ausländische Grundschüler tanzen zusammen (Foto: picture-alliance)
Bild: picture-alliance/dpa/M. Scholz

Deutsche Welle: Frau Bendel, ein Schwerpunkt Ihres aktuellen Jahresgutachtens ist "Integration und ihre Steuerungsmöglichkeit". Wie wichtig sind Gesetze und Konzepte für Integration?

Petra Bendel: Der Sachverständigenrat lotet in seinem neuen Gutachten aus, welche gesetzgeberischen Möglichkeiten überhaupt bestehen, um Migration zu steuern und die gesellschaftliche Teilhabe aller zu fördern. Wir wollen damit die aktuelle Debatte um die Steuerbarkeit durch Einwanderungs- und Integrationsgesetze versachlichen. Natürlich empfehlen wir ein Einwanderungsgesetz, das die bestehenden Regelungen systematisiert und transparenter gestaltet. Es soll eine deutliche Signalwirkung an die eigene Bevölkerung entwickeln und sagen: Ja, wir sind ein Einwanderungsland und ja, wir brauchen aufgrund des demographischen Wandels noch mehr Zuwanderung in die Arbeitsmärkte. Andererseits kann ein solches Gesetz auch Signalwirkung nach außen entfalten - um den potenziell Interessierten zu zeigen, dass wir unsere bisher liberalen Gesetze entschlackt und systematisiert haben und um ein Signal zu geben, das lautet: Ja, wir wollen euch.

Brauchen wir denn noch ein neues Gesetz?

Wir brauchen gar nicht mehr neue Regelungen, weil wir in den letzten Jahrzehnten bereits viel entwickelt haben, zum Beispiel um die Migration in die Arbeitsmärkte zu erleichtern. Aber es ist ein sehr dichtes Regelwerk entstanden, das nicht mehr leicht zu durchschauen ist. Da besteht die Möglichkeit, jetzt transparenter zu werden.

Sie schreiben im Gutachten, dass ein Gesetz nicht alles regeln kann. Migranten entscheiden sich oftmals nicht aufgrund von Gesetzen für oder gegen ein Land, sondern wegen der dortigen Bildungsmöglichkeiten, der Sprache oder der wirtschaftlichen Perspektiven.

Petra Bendel (Foto: picture-alliance)
Prof. Petra Bendel ist Mitglied des SVRBild: picture-alliance/dpa/A. Burgi

Ja, Integration kann der Staat nur bedingt steuern. Er kann die Rahmenbedingungen schaffen, aber viele Bereiche der Integration, etwa in Sachen Identifikation oder Kultur, sind der staatlichen Regelungsfähigkeit entzogen. Wir empfehlen daher das sogenannte Mainstreaming: Damit meinen wir, dass möglichst alle Regelsysteme, wie das Bildungssystem, der Arbeitsmarkt, die Familienpolitik oder die Stadtentwicklung, Integration bei Entscheidungen mitdenken. Damit wollen wir sicherstellen, dass alle Menschen unabhängig von ihrer Herkunft von Angeboten profitieren können.

Wie wichtig ist denn dabei Symbolpolitik?

Integrationspolitik zu gestalten und darüber zu diskutieren - egal ob über Gesetze oder Konzepte - kann ganz wichtige Signalwirkungen in die eigene Bevölkerung entfalten. Besonders dann, wenn die Konzepte in Kooperation mit der Bevölkerung mitentwickelt werden und wenn in der Verwaltung alle Ressorts einbezogen werden. Das heißt, dass die Ressorts, die zuständig für Integration sind - also Ministerien auf Bundesebene oder einzelne Verwaltungseinheiten - sich besser aufeinander abstimmen und wir damit die Kohärenz erhöhen.

Wie viel ist da noch zu tun?

Wir brauchen unbedingt die interkulturelle Öffnung der Verwaltung. Das heißt, dass wir bei der Personalentwicklung darauf achten, dass Mitarbeiter interkulturell kompetent sind. Wenn jemand in einer Asylbehörde arbeitet, muss er wissen, wie er mit Menschen anderer Herkunft umgeht. Wir brauchen Angebote und Strukturen auf allen föderalen Ebenen für Personen mit Migrationshintergrund, damit sie in Verwaltung und Politik mitwirken können.

Welche Teile der Gesellschaft sind besonders wichtig für eine gelungene Integration?

Sprachkurs für Flüchtlinge aus Syrien Eritrea Iran Irak Deutschkurs Deutsch lernen
Flüchtlinge in einem Deutschkurs in Halle/SaaleBild: picture-alliance/dpa/H.Schmidt

Ganz zentral sind die Kommunen: Sie haben eine wichtige Rolle gespielt, als in den letzten Jahren viele Menschen zu uns kamen, und sie haben sie integriert. Das betraf die Unterbringung, aber auch Integrationskurse bis hin zur Eingliederung in die Arbeitsmärkte. Wir meinen, dass dabei die Kommunen noch unterstützt werden könnten, indem evaluiert wird: Was hat gut funktioniert? Wie können sich Kommunen besser austauschen? Wie können wir gute Beispiele in die Fläche transportieren, um die Angebote zu verstetigen und nachhaltig und flexibel zu gestalten?

Haben Sie schon einen ersten Überblick, was gut funktioniert hat?

Es gibt sehr unterschiedliche Modelle. Wir haben es aber geschafft, die Gesellschaft auf allen Ebenen gut mitzunehmen – von der Kita bis in die Wirtschaft. Wir müssen aber vor allem die Nachhaltigkeit unterstützen und nicht nur auf Programme und Projekte setzen, die kein institutionelles Gedächtnis enthalten.

Das heißt, die Erfahrungen aus den vergangenen Jahren dürfen nicht in Vergessenheit geraten?

Genau, wir müssen am Ball bleiben, dass wir nicht Bildungskoordinatoren oder Integrationsbeauftragte nach drei Jahren entlassen und dass dann Kommunen oder Bildungseinrichtungen das erlernte Wissen vergessen – für den Fall, dass wir wieder eine erhöhte Zuwanderung haben. Es ist aber auch eine Tatsache, dass Integration ein Prozess ist, der sich unter Umständen über Generationen hinzieht. Wir brauchen dieses Wissen auf lange Sicht.

Prof. Petra Bendel ist Professorin für Politische Wissenschaft an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Migration und Integration (SVR).

Das Gespräch führte Jennifer Wagner.