Der Stoff, aus dem die Helden sind
10. Juli 2004Immerhin: Der Räuber war höflich, als er im vergangenen Jahr einen New Yorker Comicladen überfiel: "Es tut mir leid, aber anders komme ich an die Ausgaben nicht heran", entschuldigte sich der litererarisch interessierte Kleinkriminelle mit vorgehaltener Waffe und verschwand mit einem Stapel teurer Raritäten, darunter der Originalausgabe des "Spider-Man" von 1952. Keine Frage: Comics erleben einen Boom und immer wieder greift auch Hollywood nach den bunten Bildergeschichten: Sam Raimis Spinnenmann-Verfilmung "Spider-Man 2" spielte in den USA bereits am ersten Tag 40,5 Mio. Dollar ein - eine Rekordsumme.
Aus Hollywood nichts Neues
"Dabei sind das nur alte Storys, die mit neuen Mitteln umgesetzt werden", findet Rolf Giesen, Filmhistoriker vom Deutschen Filmmuseum in Berlin. Sein Urteil: "Unterhaltsam, aber keine neuen Motive." So habe ihn auch "Spider-Man" bei der Europapremiere am 6. Juli nicht nachhaltig beeindruckt: "Das war aufgeblähtes Aktionskino ohne Inhalte", sagt er. Und Rekordeinnahmen seien im übrigen nicht immer ein Indikator für hohe Besucherzahlen, sondern auch für hohe Eintrittspreise. Comicadaptionen enstünden im Wesentlichen in Ermangelung anderer Storys und sollen jugendliche Besucher mit ausgefeilten Special-Effects ins Kino locken: "Inhaltlich sind die aber eher flach, einfache Heldengeschichten mit klaren Einteilungen in 'gut' und 'böse'".
Doch das Konzept kommt an: Bereits in den 1930er Jahren flimmerten die ersten Comicverfilmungen als so genannte "Serials" über die Leinwand: Darsteller zeichneten sich weniger durch schauspielerisches Können, denn durch eine gewisse Robustheit aus: So arbeitete sich etwa Buster Crabbe, eigentlich Olympiasieger im Schwimmen, in Filmen wie "Flash Gordon" oder "Buck Rogers" zum König der frühen Comicverfilmungen hoch. Schon damals waren Stunt-Szenen beliebt.
Neue Helden
Bis in die 1960er Jahre dominierten die Figuren "Superman" und "Batman" des Branchen-Primus Detective Comics die Kinoleinwände, "doch dann gab es einen Bruch", erklärt Giesen. "Vor dem Hintergrund von Vietnamkrieg und Studentenbewegung nahmen in den 1970er Jahren die Antihelden Einzug in die Welt der bunten Bilderhefte und Verfilmungen. Schmächtige Männlein wie Peter Parker alias Spiderman sind dafür typisch. Die Zeit der gebrochenen Helden war gekommen."
1990 zeigten vier grüne Gummitiere, wie man den amerikanischen Traum richtig träumt: Die Comic- und Zeichentrickserie "Teenage Mutant Ninja Turtels" wurde für nur zwölf Millionen Dollar verfilmt und spielte mehr als 250 Millionen Dollar Gewinn ein. Aber auch jenseits des Mainstreams blüht die Comickultur in Hollywood: Interessante und facettenreiche Charaktere finden sich in anspruchsvollen Comics, den so genannten "Graphic Novels": Selbst ein so komplexes Werk wie das Jack-the-Ripper-Epos "From Hell" von Eddie Campbell und Alan Moore gelangte auf die Kinoleinwand - verfilmt von Albert und Allen Hughes mit Jonny Depp in der Hauptrolle.
Deutscher Heimathumor
Den bunten Bildergeschichten entspringen auch heimlichen Helden: Viele erfolgreiche Filme der unterschiedlichen Genres vom Blockbuster bis zum Independentfilm entpuppen sich bei näherem Hinsehen als als Comicadaptionen: Filmhelden wie Michael Sullivan aus "Road to Perdition" oder die beiden "Men in Black" Jay und Kay sind Helden aus der Feder von mehr oder weniger bekannten Comic-Künstlern wie Richard Piers Rayner oder Lowell Cunningham.
Deutsche Comicadaptionen hingegen schafften es bislang nie auf die großen, internationalen Kinoleinwände. So war etwa Ralf Königs "Der bewegte Mann" in Deutschland ein Kassenschlager, "doch der Humor ist einfach zu deutsch," erklärt Giesen. "Oder der Film 'Werner': Der spielt mit Klischees und norddeutschem Lokalkolorit. Aber darüber kann kein Ausländer lachen."