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Terror im Display

Jan-Philipp Scholz / Adrian Kriesch, Lagos25. Dezember 2015

Nicht wieder über Terror schreiben - das hatten sich die DW-Afrika-Korrespondenten Adrian Kriesch und Jan-Philipp Scholz vorgenommen. Doch wurde 2015 erneut von schrecklichen Anschlägen überschattet, auch in Afrika.

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Nigeria: DW-Korrespondenten Jan-Philipp Scholz und Adrian Kriesch in Yola - Foto: DW
Jan-Philipp Scholz (Mitte) und Adrian Kriesch (rechts) sprechen mit Flüchtlingen in YolaBild: DW

Nur auf das Display der Videokamera schauen, das ist der Trick. Das Display erzeugt Distanz. Fast wirkt es, als sitze man selbst vor dem Fernseher - und stehe nicht in der Notaufnahme der Kinderklinik in Yola, Nordost-Nigeria. Auf dem Kameradisplay: Schwer verletzte Kinder. Manche ohne Arme oder Beine. Manche mit schweren Kopfverletzungen. Manche liegen in einem Krankenbett, andere Anschlagsopfer liegen einfach auf dem Boden der überfüllten Notaufnahme.

Nur wenige Stunden zuvor, am 17. November 2015, haben sich zwei Boko-Haram-Terroristen auf einem belebten Markt im Zentrum von Yola in die Luft gesprengt. Dabei wurden mehr als 30 Menschen getötet.

Die Ratlosigkeit ist geblieben

Es sind fast immer die gleichen Geschichten: Ein oder mehrere Selbstmordattentäter - und immer öfter auch Selbstmordattentäterinnen - verüben einen Anschlag auf einen Markt, eine Kirche oder eine Moschee und reißen zahlreiche Menschen mit sich in den Tod. Ist die Zahl der Opfer zweistellig, sorgen sie damit häufig für internationale Aufmerksamkeit. Bei weniger Toten oder Verletzten bleibt es oft bei einer regionalen Meldung.

Doch an diesem 17. November in Yola scheint die Geschichte noch ein wenig grausamer als sonst: Die Attentäter haben offensichtlich gezielt Kinder angelockt. Sie haben kleine Geldgeschenke verteilt, in ihre glücklichen Gesichter geblickt - und sich dann in die Luft gesprengt.

Schon vor einem Jahr - im Dezember 2014 - bekamen wir als DW-Afrika-Korrespondenten von der Redaktion in Bonn den Auftrag, einen Jahresrückblick zu schreiben. Bereits damals schrieben wir über die zerstörerische Brutalität der Terroristen und die Ratlosigkeit, die sie beim Beobachter hinterlässt. Ein Jahr später ist die zerstörerische Brutalität noch deutlicher - und die Ratlosigkeit ist geblieben.

Manchmal hilft die Statistik

Nigeria hat einen neuen Präsidenten, den ehemaligen General Muhammadu Buhari, der den Menschen versprach, das Boko Haram-Problem bis Ende des Jahres zu lösen. Doch eine Lösung ist auch Ende Dezember 2015 nicht in Sicht. Die nigerianische Armee konnte die Terroristen zwar aus vielen ihrer Hochburgen im Nordosten des Landes vertreiben. Trotzdem sind die meisten Gebiete der Region für internationale Beobachter weiterhin "No-Go-Areas". Und auch uns DW-Korrespondenten begleitet immer ein mulmiges Gefühl, wenn wir in Städte im Nordosten des Landes reisen, denn die Anzahl der Selbstmordanschläge in der Region hat in den vergangenen Monaten rapide zugenommen. Außerdem ist es erstaunlich ruhig geworden um die anfangs so gepriesene, neu aufgestellte "Gemeinsame Multinationale Task-Force". Mit der regionalen Streitmacht will Nigeria zusammen mit seinen Nachbarländern dem Terror ein Ende setzen, doch zuletzt ist sie vor allem wegen Finanzierungsproblemen ins Gerede gekommen.

Ohne zu pessimistisch klingen zu wollen: Wir sollten uns darauf einstellen, dass wir wohl auch in einem Jahresrückblick 2016 nicht um das Thema Terrorismus herumkommen werden - weder in Nigeria, noch anderen Teilen Afrikas, Europas und der restlichen Welt. Worauf es ankommt ist, wie wir damit umgehen. Manchmal hilft ein nüchterner Blick in die Statistik: Im letzten Jahr sind knapp 11.000 Menschen in Afrika durch Terroristen ums Leben gekommen. Das sind 11.000 Menschen zu viel. Im gleichen Zeitraum starben aber fast 300.000 Afrikaner bei Verkehrsunfällen und rund 500.000 an Malaria.

Den Blick für das Schöne nicht verlieren

Bei unseren zahlreichen Reisen, die uns dieses Jahr leider in die Terror-Regionen des Kontinents führten, haben wir viele Grausamkeiten gesehen - aber noch viel mehr mutige Menschen, die dem Terror trotzen und sich nicht unterkriegen lassen. Und auch an den schlimmsten Orten haben wir friedliche Plätze gefunden, an denen sich abends der afrikanische Sonnenuntergang genießen lässt.

Das soll angesichts der vielen Opfer nicht herzlos klingen. Selbstverständlich dürfen wir nicht unser Mitleid verlieren und müssen mit all unseren Möglichkeiten versuchen, den Terror zu besiegen. Aber wir dürfen auch nicht ständig daran denken, dass wir die nächsten Opfer sein könnten. Denn dann hätten wir den Kampf bereits verloren. Manchmal muss man die Welt eben durch ein Kamera-Display betrachten.