Der Tod der Riffe
31. Dezember 2004Geologisch war die Seebeben- und Flutkatastrophe eine wahrhaft globale: Wenige Tage vor dem Beben in Südasien ereignete sich von der Öffentlichkeit unbemerkt ein schweres Seebeben mit einer Stärke von 8,1 bis 8,2 auf der Richterskala in der Antarktis. Nach Einschätzung eines australischen Seismologen hat dieses möglicherweise die Flutkatastrophe in Südasien ausgelöst. Das Beben habe genau auf der entgegengesetzten Seite der indo-australischen Platte in der Erdkruste ereignet, betonte Cvetan Sinadinovski vom Institut Geoscience Australia. "Man kann vermuten, dass das Beben auf der einen Seite der Platte eine unausgeglichene Situation auf der anderen Seite verursacht hat, was zu diesem riesigen Seebeben in Asien geführt hat", sagte der Wissenschaftler. Nach diesem Beben hatten die Forscher weitere Erdstöße vorhergesagt, jedoch nicht von der Stärke des Bebens von 9,0 auf der Richter-Skala, das die Flutwellen auslöste.
Inseln verschwunden
Seit dem Beben 1964 im Prince William Sound in Alaska hat es kein derart schweres Erdeben gegeben wie vor Sumatra: Gewaltige Massen wurden dabei erschüttert: Auf 1200 Kilometern Länge und 100 Kilometern Breite hat sich am Sunda-Graben, wo die indische und die burmesische Platte aneinander stoßen, die Erde bewegt - genug, um ganze Inselgruppen zu verschieben. Nach vorläufigen Berechnungen des US Geological Survey (USGS), dem geologischen Dienst der USA, hat es etwa die Nikobaren um 20 Meter nach Westen versetzt. 15 der 572 Inseln und Inselchen des Archipels sind verschwunden.
Und selbst die Erdgeschwindigkeit ist geringfügig ins Wanken geraten: Nach Modell-Rechnungen des Geophysikers Richard Gross am Jet Pulsion Laboratory der NASA in Pasadena hat sich die Erdumdrehung ein ganz klein wenig beschleunigt - ein Tag ist seit dem Beben um 2,676 Millionstel Sekunden kürzer.
Die Zeit drängt
Die ökologischen Folgen der Katastrophen sind nicht mit Modellen zu berechen, werden aber mittel- und langfristig umso spürbarer sein. Das dringlichste Problem ist das Trinkwasser: Vielerorts ist es durch einströmendes Meerwasser unbrauchbar geworden, zusätzlich können Keime von menschlichen Leichen und Tierkadavern ins Grundwasser gelangen und die Brunnen verseuchen.
Fachleute fürchten, dass sich durch verseuchtes Wasser die Opferzahlen mittelfristig deutlich erhöhen könnten. Thailands Wasserminister Sanong Chantanintorn versprach, schnell neue Reservoirs anlegen zu lassen. Die Zeit dränge: "Wir müssen so schnell wie möglich neue Frischwasserquellen finden, weil in der bald beginnenden Trockenzeit nicht mit Regen zu rechnen ist", so Chantanintorn am 29. Dezember in Bangkok.
Düster fallen auch die Prognosen für die empfindlichen küstennahen Ökosysteme Südasiens aus - etwa für die sensibel auf Umweltveränderungen reagierenden Mangrovenwälder. "Große Gebiete sind von Salzwasser, Schlamm und Sand bedeckt", sagt Thailands Umweltminister Petipong Pungbun na Ayutthaya. "Das fragile Ökosystem vor dem salzigen Schlamm zu retten, ist lebensnotwendig".
Verwüstungen - auch unter Wasser
Noch schlimmer steht es um die Korallenriffe. Schon der Tourismus hatte den Paradiesen unter Wasser schwer zugesetzt. Kleine Beschädigungen oder Verschmutzungen haben bereits vor dem Tsunami ganze Rifflandschaften zerstört - nun sind die Taucherparadiese um die Malediven, Sri Lanka, Indonesien und Thailand von Riesenwellen zerschlagen, von aufwirbelten Sand erstickt oder von eingeschwemmtem Müll bedeckt.
In Thailand wurden zwölf Unterwasser-Nationalparks schwer beschädigt. Phukets berühmte Korallenriffe seien definitiv zerstört, sagt Professor Somchai Sakulthap, Ökologe an der Rajabhat Universität in Phuket. "Es wird 20 Jahre dauern, bis sich die Riffe soweit erholt haben, dass sie wieder als Tauchplätze zur Verfügung stehen."
Umwelt- und Wirtschaftskatastrophe
Was diese Umweltkatastrophe wirtschaftlich bedeuten mag, ist kaum abzusehen. Elf Millionen Touristen besuchen allein die betroffenen Regionen Thailands pro Jahr - für viele sind Schnorcheln und Tauchen in den einzigartigen tropischen Wasserwelten die Hauptattraktionen. Selbst wenn die touristische Infrastruktur wieder hergestellt sein sollte, werden viele Hotels und Ressorts leer bleiben.
Unklar bleibt bisher auch, wie es mit der Küsten-Fischerei, der klassischen Einnahmequelle der ärmeren Bewohner der betroffenen Regionen, weitergeht. Viele Fischer stehen vor dem Nichts, weil ihre Boote von den Wellen zertrümmert wurden. Doch selbst wenn sie hinaus fahren könnten, wäre ein guter Fang fraglich: Strände der betroffen Regionen Südasiens sind ebenfalls bedeckt von toten Fischen - Zeugen des großen Sterbens unterhalb der Wasseroberfläche.