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Der Trend zur Zweitwaffe

Michael Knigge4. Januar 2013

Die Zahl der Überprüfungsanträge vor einem Waffenkauf ist laut FBI im Dezember sowie im Gesamtjahr 2012 drastisch gestiegen. Für Fachleute keine Überraschung. Sie verweisen auf viel spannendere Daten.

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Hand in einer Auslage nach einer Pistole (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Der Reflex setzte wie erwartet ein in dieser nachrichtenarmen Zeit. Aufgeregt vermeldeten zahlreiche Medien, dass die Zahl der vor einem Schusswaffenkauf in den USA vorgeschriebenen Überprüfungen nach dem Massaker von Newtown im Dezember auf einen Rekordwert gestiegen ist. Tatsächlich registrierte das FBI im vergangenen Monat knapp 2,8 Millionen sogenannte Background Checks, rund 50 Prozent mehr als im Dezember 2011. Richtig ist ebenfalls, dass im Jahr 2012 mehr dieser Background Checks beantragt wurden als je zuvor.

Beschäftigt man sich jedoch etwas genauer mit den FBI-Daten stellt man fest, dass die Zahl der Background Checks in jedem Jahr seit 2002 gestiegen ist. Das heißt: Seit einem Jahrzehnt ist jedes Jahr eine Rekordjahr für Background Checks. Ebenso ist seit langem bekannt, dass der Dezember traditionell der umsatzstärkste Monat für Schusswaffenverkäufe ist. Außer 2007 und 2009 verzeichnen die Dezember-Statistiken seit 2002 höhere Background Check-Anträge als im Vorjahresmonat.

Angst und Protest

"Die Zunahme von Waffenverkäufen nach dem Amoklauf in der Schule in Connecticut ist keine Überraschung", sagt Robert Spitzer, Politik-Professor an der State University of New York in Courtland und Autor des Standardwerks "The Politics of Gun Control". "Wir beobachten dieses Phänomen nach Wahlen, beispielsweise als Art des Protests gegen die Wahl von Obama 2008 und seine Wiederwahl im Herbst und nach Schießereien. Es ist getrieben von der Angst, dass der Zugang zu Schusswaffen eingeschränkt werden könnte und als politischer Protest von Waffenbesitzern die gegen jede Gesetzesverschärfung sind."

Ein Schüler, der den Amoklauf an der Grundschule in Connecticut miterlebt hat, wird von einer Frau getröstet. (Foto: REUTERS/Michelle McLoughlin)
Bei dem Amoklauf an einer Grundschule in Connecticut im Dezember starben 27 MenschenBild: Reuters

Anders ausgedrückt: Die nun veröffentlichten Zahlen des FBI sind berichtenswert. Aber nicht weil sie auf den Amoklauf von Connecticut folgen oder – wie jedes Jahr - ein Rekord verzeichnet wurde, sondern um einen lang anhaltenden Trend zu beschreiben: Die Waffenverkäufe in den USA sind innerhalb des vergangenen Jahrzehnts dramatisch gestiegen. Wurden im Jahr 2002 rund 8,5 Millionen Background Checks registriert sind es zehn Jahre später 19,5 Millionen.

Außerdem liegt die Zahl der tatsächlichen Waffenverkäufe wahrscheinlich weit höher als die Zahl der Background Checks vermuten lässt. Zwar ist ein Background Check nicht mit einem Waffenkauf gleichzusetzen. Zum einen, weil einem geringen Anteil der Antragsteller in Folge der Überprüfung der Waffenerwerb untersagt wird. Zum anderen, weil einige Antragsteller nach erfolgtem Check doch keine Waffe kaufen.

Da aber für private Käufe bei den beliebten Waffenmessen, den sogenannten Gun Shows in den meisten Staaten, keine Background Checks erforderlich sind, fließen diese Verkäufe auch nicht in die offizielle Statistik ein. Zudem kann ein Käufer mit erfolgtem Background Check nicht nur eine, sondern gleich mehrere Schusswaffen erwerben, was ebenfalls nicht in der Statistik erfasst wird.

Ein Mann schaut in ein Waffen-Handbuch, daneben sind halbautomatisch Waffen für den Verkauf ausgestellt. (Foto: dpa)
Auf Waffenmessen kann auch ohne Background Check eingekauft werdenBild: picture-alliance/dpa

Mehr Waffen in weniger Haushalten

Und es wird noch komplizierter: Zwar nehmen die Schusswaffenkäufe ständig zu, aber laut mehreren Studien nimmt die Zahl der Haushalte mit Waffen seit Jahren ab. Auch die Anzahl der Morde und Verbrechen, die mit Schusswaffen begangen werden, sinkt seit Jahren. Nach einer Analyse von "FactCheck.org" des Annenberg Public Policy Center vom vergangenen Monat ist die Mordrate mit Schusswaffen auf den niedrigsten Stand seit 1981 gefallen. Auch die Zahl der Raubüberfälle mit Schusswaffen sowie die schweren Körperverletzungen mit Schusswaffengewalt ist auf den niedrigsten Stand seit 2004 gesunken.

Offenbar kaufen die Amerikaner also immer mehr Waffen, gleichzeitig besitzen jedoch immer weniger Haushalte Waffen und die Gewalt mit Waffen nimmt generell ab. Wie ist dieser anscheinende Widerspruch zu erklären?

"Neue Schusswaffen werden tendenziell von Leuten gekauft, die schon welche besitzen und weitere dazukaufen", erläutert Spitzer. "Verkäufe an Personen, die noch nie zuvor eine Waffe besessen haben und sich jetzt eine oder mehrere anschaffen wollen, sind eher selten." Zudem sei der Kauf einer Waffe häufig eine Reaktion auf die Angst vor Verbrechen und spiegele eben nicht die tatsächliche seit rund zwei Jahrzehnten sinkende Verbrechensrate wider.

Waffenregister undenkbar

Der Analyse von Spitzer und anderen Experten zufolge wächst also nicht die Zahl der Neuwaffenkäufer, sondern die bestehende Gruppe der Waffenbesitzer häuft immer mehr Schusswaffen an. Wäre es da nicht sinnvoll - wie in Deutschland gerade geschehen, ein nationales Waffenregister einzuführen, um endlich Klarheit über eine mögliche Konzentration von Waffen und über den Waffenhandel ingesamt zu bekommen?

In einem Waffenladen hält ein Mann prüfend ein halbautomatisches Gewehr in der Hand. (Foto: dpa)
Waffenbesitzer in den USA legen sich immer mehr Waffen zuBild: picture-alliance/dpa

Unmöglich, sagt Kristin Goss, von der Sanford School of Public Policy an der Duke University in Durham, North Carolina. "Es besteht keine Aussicht, dass der Kongress ein nationales Schusswaffenregister einführt." Ganz im Gegenteil verbot der Kongress staatlichen Behörden Jahrzehnte lang sogar die Waffenverkaufsstatistiken überhaupt in einer nationalen Datenbank zu speichern, erläutert Goss: "Ein spezielles Gesetz schreibt zudem vor, dass die Daten der Background Checks für Schusswaffenkäufe innerhalb von 24 Stunden nachdem der Verkauf genehmigt wurde, gelöscht werden müssen."

Eine nationale Registrierung von Waffen und andere Verschärfungen der Waffengesetze wären auch deshalb kaum durchsetzbar, da Umfragen zufolge die große Mehrheit der Amerikaner – auch nach Amokläufen - das verfassungsmäßig verankerte Recht Schusswaffen zu besitzen, unterstützt. Die Tatsache, dass die meisten Schusswaffen in den USA inzwischen von der größten Supermarkt-Kette des Landes, Walmart, verkauft werden, macht wahrscheinlich am besten deutlich, dass aller Debatten und Statistiken zum Trotz, Schusswaffen für viele Amerikaner einfach zum "American Way of Life" gehören.