Der unaufhaltsame Siegeszug des Boris J.
12. Juni 2019Boris Johnson war beim Friseur und er hat abgenommen. Er zeigte sich der Öffentlichkeit in London quasi in neuem Format, äußerlich und innerlich. Dafür spricht auch, dass er sich in den letzten Krisenmonaten mit medialen Knalleffekten zurückgehalten hatte. Das lange Schweigen sollte wohl die Spannung erhöhen. Aber was die Beobachter schließlich auf der Bühne sahen, als Johnson er seine Kandidatur für den Regierungsvorsitz bekanntgab, war ziemlich nah am alten Boris: Überwältigend gute Laune, grenzenloser Optimismus und wenig politische Substanz.
Jetzt endlich Brexit
Das beste Verkaufsargument des Kandidaten war seine Amtszeit als Londoner Bürgermeister. Und natürlich behauptete Boris Johnson, er sei ein großartiger Bürgermeister gewesen, der die Probleme der britischen Metropole gelöst und dabei eine erfolgreiche Olympiade begleitet habe. Seine zahlreichen Kritiker sehen das anders: Er sei faul gewesen, habe nichts erreicht und bloß teure Prestigeprojekte hinterlassen. Über seine hoch umstrittene Zeit als Außenminister voller Pleiten und Pannen verlor er vorsorglich kein Wort.
Dabei waren seine Gegner natürlich nicht im Saal, dafür eine erstaunliche Anzahl Unterstützer. Die brachen denn auch in Jubel aus, als ihr Kandidat ankündigte, er werde Großbritannien auf jeden Fall am 31. Oktober aus der EU führen. Er ziele dabei nicht auf einen No-Deal, wolle aber "etwas Besseres als das bisherige Austrittsabkommen". Wie das gehen könne? Sein Team werde sofort mit der Arbeit beginnen, und er wolle der EU mit der "größtmöglichen Freundlichkeit begegnen". Seine jüngste Drohung, die britische Rechnung in Brüssel nicht zu bezahlen, erwähnte Johnson nicht.
Neues Austrittsabkommen - aber bei Versagen kein Rücktritt
Der Zeitplan steht allerdings gegen Johnsons Ambitionen: Erst am 22. Juli findet die Urwahl in der Konservativen Partei statt, dann folgt die Sommerpause und erst Anfang September könnten ernsthafte Gespräche in Brüssel beginnen. Außerdem: Wie oft haben die Europäer schon wiederholt, das Austrittsabkommen sei - auch für den nächsten britischen Regierungschef - nicht verhandelbar? Aber das sind Details, Boris Johnson war gekommen, Zuversicht zu verströmen.
Dabei will er das Gespenst des No-Deal nicht aus dem Raum verbannen. Das sei entscheidend für den Verhandlungserfolg, schließlich wolle Brüssel einen harten Brexit genauso wenig wie er. Um glaubhaft zu sein, müsse sich Großbritannien jetzt schnell vorbereiten. Die Journalisten konnten ihn leider nicht nach einer Kabinettsvorlage befragen, die von der "Financial Times" in Umlauf gebracht wurde. Die Pharma-Industrie brauche demnach sechs bis acht Monate, Händler mindestens vier bis fünf Monate für ihr Vorbereitungen und die Umstellung auf das neue Grenzregime.
Eng wurde es für Boris Johnson nur, als er sich zu seinem Rücktritt im Falle eines Misserfolgs äußern sollte: Es werde nicht unbedingt einfach sein, räumte er immerhin ein, wand sich ein paar Mal und vermied es dann, sein Amt mit dem Brexit-Versprechen zu verknüpfen. Seine Freunde unter den harten Brexiteers um Rees-Mogg und Co dürften das wohl vermerkt haben.
Die Partei und das Land vereinen
Mit dem "Morast von Westminster" müsse es ein Ende haben, erklärte Johnson. Ganz so, als sei er nie ein Teil davon gewesen. Das Gezerre um den Brexit habe viele Bürger desillusioniert, und er wolle das ändern, das Land wieder vereinen, und die konservative Partei ebenso.
Tatsächlich können alle Parteiflügel ihre Wünsche auf Boris Johnson projizieren. Die Hardliner glauben an seine scharfen Sprüche zum Brexit, die Moderaten erinnert er an den typischen Traditions-Konservativen, den Älteren hat er schon große Steuergeschenke versprochen und als Londoner bietet er sogar etwas für kosmopolitische Wähler. Ihnen verspricht er einen neuen "konservativen Europäismus", was immer das sein mag.
Seine stärkste Karte aber ist, dass Boris Johnson den Tories in Aussicht stellt, die nächste Wahl zu gewinnen. Rund 70 ihrer Abgeordneten hat er schon hinter sich versammelt - ein kräftiger Vorsprung gegenüber den Mitbewerbern. Und auch die Umfragen geben ihm als einzigem eine Chance. Der große Blonde ist als Wahlkämpfer in seinem Element - eher schwach in der Substanz, aber stark in der Form. Er konnte den Briten 2016 schließlich auch die Lüge über den britischen EU-Beitrag von 350 Millionen verkaufen, die anderweitig für das Gesundheitssystem bereitstünden. Davon ist, wie von anderen Versprechen, längst keine Rede mehr.
Kokain und andere Probleme …
Ist Boris Johnson noch zu stoppen? Etwas wackelig wirkte er, angesprochen auf Jugendsünden und Kokain. Johnson wollte sich nicht festlegen, ob er das weiße Pulver nun eingeatmet hatte oder nicht. Doch er brauchte nur "ich war erst 19" zu murmeln und beschwörend unter seinem blonden Pony hervor zu blinzeln, und schon schien ihm verziehen zu sein.
Zahlreiche Reporter hätten an diesem Tag noch viele Fragen gehabt - aber Johnson ließ nur sechs zu. Es scheint seinen Beratern am Wichtigsten, den Kandidaten von Fehlern abzuhalten. Fragen nach seiner beleidigenden Sprache etwa, als er im Winter verschleierte muslimische Frauen als "Briefkästen" bezeichnet hatte, entschuldigte Johnson mit einem seiner flotten Sprüche: "Manchmal fällt eben der Putz von der Decke, wenn ich rede", die Bürger liebten eine deutliche Sprache. Beim Start seiner Kampagne im Rennen auf die Downing Street aber vermied er erkennbar, die alten Feuerchen anzufachen.
Die Reaktionen in der britischen Presse fielen ziemlich gedämpft aus: "Das war herausragend langweilig. Für ihn ungewöhnlich langweilig. Seine Unterstützer werden begeistert sein", schreibt Robert Peston von ITV. Die Polit-Website BuzzFeed stellt fest, dass Johnson seriös erscheinen wollte, aber alles mit seinen "ausweichenden, oberflächlichen, weitschweifigen Antworten auf berechtigte Fragen verdorben" habe.
Übrigens war auch Stanley Johnson, das Oberhaupt des Johnson-Clans und bekennender Pro-Europäer zum innerparteilichen Wahlkampfauftakt seines Sohnes erschienen. Was er allerdings über den Auftritt seines sich geläutert gebenden Sohnes denkt, behielt der Senior für sich.