Der Wert der Arten
27. Juli 2010Der größte Schmetterling der Welt, der Königin-Alexandra-Vogelfalter, kann einem hier entgegenflattern. Flügelspannweite 28 Zentimeter. Nicht zu verwechseln mit den Paradiesvögeln mit ihrem extrem bunten Federn, sie sind die Wappenvögel von Papua-Neuguinea. Im nächsten Baum könnte ein Goldmantelbaumkänguru sitzen und am Boden darunter ein Pinocchiofrosch. Die Artenvielfalt auf Papua Neuguinea ist einzigartig - aber bedroht.
Noch gibt es unberührten Wald, noch ist die Insel dünn besiedelt, doch die Bevölkerung Papua-Neuguineas wächst. Damit steigt auch der Druck auf Wald und Tiere. Wald geht vor allem durch die Umwandlung in Acker und Plantagen zurück, durch verstärkte Landnutzung und selektive Abholzung von Edelhölzern. Viele Tierarten auf Neuguinea sind schon jetzt bedroht, weil sie oft ausschließlich auf sehr kleinem Raum vorkommen. Schwindet ihr Lebensraum dort, können sie nirgendwo hin ausweichen - und sterben im schlimmsten Fall aus.
130 Arten - täglich
Projekte mit der indigenen Bevölkerung, die Nutzwald von Schonflächen trennen, helfen bei der Schaffung von Rückzugsgebieten. Solche Maßnahmen sind dringend nötig: Zwei Millionen Arten von Fauna und Flora sind derzeit wissenschaftlich erfasst. Nach UNO-Schätzungen sterben weltweit etwa 130 Arten aus – täglich. "Dies ist eine 100- bis 1000-fach erhöhte Geschwindigkeit gegenüber dem evolutionären Prozess des Aussterbens und Neuerstehens", sagt Andrea Cederquist, Biodiversitätsexpertin der Umweltschutzorganisation Greenpeace. Die Biodiversität, die genetische Vielfalt des Lebens auf der Erde, verringert sich. Wie viele Arten allein auf Neuguinea täglich verschwinden - niemand kann es sagen. Niemand weiß, was die Konsequenzen sind. "Klimawandel und Artensterben sind miteinander verkettet, dabei gibt es eine ganze Kaskade von Effekten, die man nicht einschätzen kann", sagt Cederquist.
Die Forschung ist sich einig: Die Rückwirkungen von Klimawandel und Artensterben sind noch überhaupt nicht absehbar. Es geht eben nicht nur darum, ob es nun in den Bergwäldern von Papua eine Spezies von Paradiesvögeln oder einen Fisch im Riff weniger gibt, sondern darum, auf welch ungeahnte Weise lebenswichtige Beziehungen zwischen den Organismen bestehen - und wie rasch beim Ausfall eines wesentlichen ökologischen Glieds ganze Systeme kollabieren können.
Der Ameisenforscher Bert Hölldobler hat das einmal für eine Gattung durchgespielt: Sollten etwa aufgrund von Krankheitsepidemien die Ameisen aussterben, gäbe es eine verheerende Umweltkatastrophe: Die meisten Wälder würden absterben: Erst Pflanzen, danach die Pflanzenfresser. Der Artenschwund würde sich rasant beschleunigen, die Landökosysteme in sich zusammenfallen.
Für Riffe sieht es ähnlich aus. Wenn etwa durch steigende Wassertemperaturen Geweihkorallen oder die großen Hirnkorallen absterben, kann das ganze Ökosystem sehr rasch kollabieren. "Das weiß man alles", sagt die Greenpeace-Expertin Cederquist, "doch gehandelt wird nicht".
Gigantische Kosten
Vielleicht gibt es verstärkte Bemühungen um Artenvielfalt, wenn die wirtschaftlichen Schäden durch die globale Umweltzerstörung und den damit verbundenen Artenverlust stärkere Beachtung finden. Sie belaufen sich jährlich auf die enorme Summe von 2 bis 4,5 Billionen US-Dollar, wie eine Studie "The Economics of Ecosystems and Biodiversity" im Juli 2010 feststellte. An der Studie haben das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) und die Beratungsagentur PricewaterhouseCoopers (PwC) zuzsammengearbeitet.
Darin festgestellt ist unter anderem die Wirtschaftsleistung von Insekten: Allein sie leisten durch das Bestäuben von Pflanzen weltweit einen Beitrag zur landwirtschaftlichen Erzeugung im Wert von bis zu 190 Milliarden US-Dollar pro Jahr.
Autor: Oliver Samson
Redaktion: Klaus Esterluß