Der Westen muss umdenken
9. März 2011Die Umwälzungen in Tunesien und Ägypten, die unvollendete Revolution in Libyen und die Proteste der Bürger im Jemen, in Bahrain, in Oman und in Marokko haben die Welt überrascht und die Politik des Westens in Unruhe versetzt. Jahrzehnte lang hatten sich die USA und ihre Verbündeten in Europa auf die Despoten im Mittleren Osten und in Nordafrika gestützt. Washington unterhält eine ganze Reihe von Militärstützpunkten am Golf und die Europäer bemühen sich im Rahmen des so genannten Barcelona-Prozesses seit 15 Jahren um eine engere Zusammenarbeit mit Nordafrika. Die Region ist für die geostrategischen Überlegungen des Westens von großer Bedeutung. Vor allem Ägypten, das Land zwischen Afrika und Asien, nimmt seit Jahrtausenden eine führende Stellung ein, so der ägyptische Globalisierungskritiker und Aktivist Mamdouh Habashi: "Ich würde behaupten, Ägypten hat in dieser Region eine führende Rolle, und zwar nicht nur seit Nasser und Muhammad Ali sondern seit Echnaton, und das wissen auch die Amerikaner." Grund dafür sei die geostrategischen Lage Ägyptens. Napoleon Bonaparte habe bereits 1798 gesagt, dass Ägypten das wichtigste Land der Erde sei. "Er meinte natürlich geopolitisch gesehen", so Habashi.
Ägypten: Strategisch wichtig
Auch für die Amerikaner sei Ägypten der Eckpunkt ihrer Strategie im Nahen Osten. Die Regierung in Kairo sei der Garant gewesen für den Frieden mit Israel, für den Kampf gegen den Islamismus und für den Zugang zum Suezkanal. Aus diesem Grund hätten die Amerikaner die Revolution in Ägypten zunächst mit großer Zurückhaltung beobachtet und in Sorge um die Stabilität dieses Landes, das in ihren strategischen Überlegungen eine so große Rolle spielt. "Dieser National Security Council in den Vereinigten Staaten war in einer Dauerklausur", so Habashi. "Sie haben jeden Tag getagt und die Lage in Ägypten analysiert. Das zeigt die Wichtigkeit dieses Landes für ihre Pläne." Diese Wichtigkeit sei auch den einfachen Ägyptern bei den Demonstrationen aufgefallen und sie seien zu dem Schluss gekommen, dass Mubarak sein Land völlig unter Wert verkauft habe.
Der Preis für die Partnerschaft mit dem Westen könnte nun also steigen. Nachrevolutionäre demokratische Staaten in Nordafrika und im Nahen Osten könnten für ihre Kooperation mit dem Westen Gleichberechtigung einfordern. Die Ägypten-Expertin Sonja Hegazy vom Zentrum Moderner Orient in Berlin sieht in der Umbruch-Situation in Nordafrika eher eine Chance als eine Bedrohung. "Wenn wir uns anschauen, was die EU seit 1995 durch den Barcelona-Prozess in dieser Region erreichen wollte, nämlich zunehmende Partizipation, wirtschaftliche bessere Verteilung unter der Bevölkerung, legale Migrationspolitik und Einhaltung der Menschenrechte, dafür hatte sie ja keine Partner und deswegen hat der Barcelona-Prozess auch nicht funktioniert." Wenn man aber die eigene Politik der letzten 15 Jahre ernst gemeint habe, dann sei das doch die Möglichkeit mit einer gewählten Regierung vor Ort, diese vier Ziele jetzt durchzusetzen, so Hegazy. Das setze aber voraus, dass die Europäer bereit seien, den Partnerländern in Nordafrika gleiche Rechte einzuräumen und den Zugang zu ihren Märkten zu gewährleisten. Das betreffe vor allem landwirtschaftliche Güter. "Auch die europäische Agrarlobby muss in ihre Schranken gewiesen werden und es muss gesagt werden, wenn wir hier einen gleichberechtigten Austausch machen wollen, dann müssen auch nordafrikanische Agrarprodukte freien Zugang zu europäischen Märkten haben."
Gleichberechtigter Partner
Dies habe eine starke Bauernlobby in den Mittelmeerstaaten der Europäischen Union bislang verhindert. Wenn Europa aber in Nordafrika demokratische und stabile Staaten wolle, dann müsse es helfen, dass die Region wirtschaftlich auf die Beine komme. Diese Forderung erhebt auch der in Deutschland lebende Ägypter Magdi Gawhary. "Der Westen muss lernen wie er mit mündigen Menschen umgeht und auch wie er mit Demokratien in den Ländern der sogenannten Dritten Welt umgeht. Geht es um Interessenausgleich oder schalte ich die Marktgesetze aus, wenn es um Öl geht?" Wenn es um Öl gehe, werden die Marktgesetze ausgeschaltet, so Gawhary. "Das ist die Doppelmoral. Und deshalb hat man die Despotie gebraucht."
Gawhary lebt seit mehr als einem halben Jahrhundert in Deutschland. Als die Revolution in Ägypten begann, machte er sich auf den Weg in seine Heimat. 17 Tage lang war er bei den Demonstranten auf dem Tahrir-Platz. "Ich habe ihnen gesagt, dass die NATO eine Doktrin hat. Diese Doktrin besagt, man muss die Energien, Ressourcen und ihre Transportwege sichern, so wie den Suezkanal." Aber die Demonstranten habe das nicht interessiert. "Da sieht man das Wunderbare an dieser Entwicklung. Die Ägypter haben das ganz alleine geschafft."
Autorin: Bettina Marx
Redaktion: Diana Hodali