Der Wirtschaftsrevoluzzer
25. September 2015Armin Steuernagels Zug hat fünf Minuten Verspätung, doch das weiß ich schon längst. Er hat es mir auf Whatsapp geschrieben, denn seine Termine behält Armin genau im Auge. Beteiligte werden bei Veränderungen in Echtzeit auf dem Laufenden gehalten. Heute hat er einen Termin mit Deutschlands größter Genossenschaftsbank in Bochum. Armin leitet zwei Unternehmen, hat 30 Mitarbeiter und Kunden in mehr als 20 Ländern. Er ist mit zwei Rollkoffern unterwegs, kommt schnellen Schrittes die Bahnhofshalle auf mich zu. Er ist groß, schlaksig, hat strohblondes Haar, trägt Jeans und Jackett und neon-rote Schnürsenkel in den Sportschuhen.
Tinder für Bankkunden
Schon in den ersten Minuten unseres Treffens auf dem Weg zur Bank erzählt Armin von einer seiner vielen Start-Up-Ideen. Details sollen nicht verraten werden, nur so viel: Es geht um eine Art Tinder für Bankkunden. Nur dass die Menschen sich nicht gegenseitig nach Attraktivität bewerten, sondern Investitionsprojekten der Bank Punkte vergeben und so mit entscheiden, ob diese einen Kredit verdienen.
- "Unternehmen sind dafür da, Lösungen für Probleme anzubieten, nicht um Teilhabern einen möglichst großen Profit zu ermöglichen. Davon bin ich zutiefst überzeugt."
Angekommen bei der GLS Bank, der führenden sozial und ökologisch ausgerichteten Bank Deutschlands. An der Fassade des Hauptsitzes in Bochum ist ein riesiges Banner mit kapitalismuskritischen Zitaten angebracht, von Ibsen bis Gandhi. Es ist die Sorte von Zitaten, die bei Twitter auf schöne Bildmotive geschrieben Tausende Retweets hervorruft.
Spieltrieb Unternehmertum
Armin zeigt auf seinen Favoriten von Antoine de Saint-Exupéry: "Wer nur um Gewinn kämpft, erntet nichts, wofür es sich lohnt zu leben." Armin drückt es so aus: "Ich hätte keine Lust, eine Mainstream-Bank dabei zu beraten, wie sie noch mehr Profit macht. Da gibt es Anderes in der Welt zu tun".
Seine ersten Geschäfte machte Armin mit eigenhändig hergestellten Pralinés, denn die mochte er als Kind über alles. Er malte Bestellkataloge, stellte seine Cousins ein und lieferte die Schoko-Kreationen massenweise seinen Kunden - Nachbarn und Verwandten – nach Hause. Da war er 12 Jahre alt: "Das Unternehmertum war für mich einfach eine Erweiterung des Spieltriebs". Stundenlang blockierte er mit der Produktion die Küche, die Unordnung musste aber dann doch Mama wegmachen, erzählt Armin lachend.
- "Ein guter Unternehmer fühlt sich nie als Verwalter, sondern immer als Gestalter, egal welche Rückschläge Du erlebst. Du musst Dir immer die Frage stellen: Was machst Du daraus?"
Armin hat in seiner Heimatstadt Hannover die Waldorfschule besucht. Das alternative Schulmodell hat ihn geprägt, ihn gelehrt, Dinge selbst in die Hand zu nehmen und auf sich selbst zu vertrauen. Der spirituelle Unterricht lieferte die Idee zu Armins erstem Unternehmen.
Unternehmenschef mit 16
Für den Eurythmieunterricht brauchen Waldorfschüler spezielle Seidenkleider, die die Eltern selbst schneidern müssen. Armin wittert bereits damals eine Marklücke, fertigt Schnittmuster und lässt in Tschechien fertigen. Die Eltern an der Waldorfschule nehmen das Angebot dankend an, das Geschäft läuft. Armins Kinderzimmer wird zusehends zum Warenlager. Er selbst zieht in eine kleine Kammer um.
Mit 16 Jahren will Armin das Unternehmen auch vor dem Gesetz eigenständig führen. Beim Vormundschaftsgericht beantragen seine Eltern eine vorgezogene Volljährigkeit. Als er nach längerem Prozedere endlich den Gewerbeschein in der Hand hält ist er "super stolz".
Suche nach dem Sinn
Bei der GLS Bank hängen sie an Armins Lippen. Die Teilnehmer des Workshops sind alle ausnahmslos älter als er. Armin soll dabei helfen, dass Unternehmen für die digitale Zukunft fit zu machen. "Armin ist charismatisch und kann Menschen für seine Ideen begeistern", sagt Frank Zientz, der für den Vorstand der Bank arbeitet und den Jungunternehmer als Berater geholt hat. "Er ist absolut in den digitalen Umbrüchen zu Hause und verbindet das Unternehmerische immer auch mit der Frage nach dem Sinn hinter dem, was wir tun."
- "Die vielen Möglichkeiten, die wir heute haben, erfordern viel stärker, dass wir die Frage nach dem Warum stellen. Das erfordert auch harte Arbeit an uns selbst. Wir müssen alles viel reflektierter bewerten, um nicht völlig zerfleddert zu werden."
Wir sind zurück am Bochumer Hauptbahnhof, steigen in einen Zug nach Köln, wo schon der nächste Termin wartet. Zeit, noch ein wenig mehr über den Lebenslauf dieses Überfliegers zu erfahren.
Work-Life-Balance. Was ist das?
Nach seinem 1,0 Abitur studiert Armin Philosophie, Politik und Wirtschaft an der Privatuni Witten/Herdecke und in Oxford. Noch während des Studiums gründet er zusammen mit einem Geschäftspartner sein zweites Unternehmen "Mogli", das Kindern Bio-Lebensmittel näher bringen will. Die Produkte sollen den Kindern "Spaß machen, lecker schmecken und trotzdem gesund sein".
Als Mitarbeiter stellt er nur Menschen ein, mit denen er auch "Bock hätte, befreundet zu sein". Die so oft gepredigte Teilung von Arbeitszeit und Freizeit ist für ihn schizophren.
- "Es ist völlig komisch zu sagen: Hier habe ich einmal die Arbeitszeit, da leide ich, und in der anderen Zeit mache ich alles wett. Letztlich ist doch alles Lebenszeit. Und diese Zeit ist begrenzt."
Armin träumt davon, neue Unternehmensformen zu schaffen, bei denen die Mitarbeiter nicht fremdbestimmt für anonyme Shareholder und deren Reichtum schuften. Er will Mitarbeiter und Führungskräfte stärker an den Unternehmen beteiligen, auch was die Eigentumsstruktur angeht.
Diese Ideen sind nicht neu, aber sie müssen in ein neues Zeitalter überführt werden. Armin nennt sich selbst einen Idealisten, und das ist bei ihm durchaus positiv gemeint. Er will eine Stiftung gründen, in der sich beteiligte Unternehmen verpflichten, denjenigen den Besitz einer Firma zu überlassen, die sich mit ihr identifizieren, also den Mitarbeitern.
Die nächste Wende wird kommen
In Köln treffen wir Manuel, einen langjährigen Bekannten Armins, der große internationale Start-Up-Konferenzen organisiert. Armin will ihn für seine Stiftungsidee begeistern und trifft auf offene Ohren. Gerade bei vielversprechenden Start-Ups sei es oft so, dass Investoren einsteigen und die Gründer, die häufig vor allem der Idee und nicht nur dem Profit verpflichtet seien, auf Dauer verdrängen. "Unsere Generation will nicht mehr für andere Leute arbeiten, es geht viel mehr um Selbstverwirklichung", sagt Manuel. Da sind sich die beiden einig.
Bevor Armin seinen ICE nach Zürich erwischen muss - seinen zweiten Wohnsitz neben Berlin - noch ein letztes Gespräch in der Bahn-Lounge. Welchen Blick hat er auf 25 Jahre Wiedervereinigung? Mit einem Vierteljahrhundert Abstand scheine es doch verrückt, was Menschen für einen Mist gemacht hätten. "Die Leute haben sich damals damit abgefunden, dass eine Mauer das Land zerteilt, und gesagt: Das ist so." Dann aber sei der Moment gekommen, den niemand so schnell erwartet habe: Die Mauer fällt und Deutschland wird wiedervereinigt.
Und wieder stellt Armin eine dieser Fragen, die es in sich haben: "Welche Dinge sind dann heute möglich, wo wir einfach sagen: Das ist so?" Auch die Mauer sei eine menschengeschaffene Unfreiheit gewesen, die beseitigt werden konnte. Dann setzt er zu einem Appell an seine Generation an: "Wir müssen uns auf solche Wendemomente vorbereiten und an ihnen arbeiten. Wenn sie kommen, müssen wir bereit sein und sagen: Jetzt haben wir endlich die Möglichkeit, etwas zu verändern." Dann eilt er mit seinen zwei Rollkoffern zum Gleis.