Desinformationskampagne zur Corona-Krise?
20. März 2020Der russische Nachrichtensender "Sputnik" behauptet, das Coronavirus sei in Lettland erfunden worden, weil es dort "viele talentierte Biologen und Pharmazeuten" gebe. In anderen Kreml-nahen Quellen heißt es wiederum, das Virus sei im britischen Militärlabor "Porton Down" nahe Salisbury entwickelt worden.
Die Russland-Beobachter der EU-Kommission haben fast 80 Fälle analysiert, in denen offizielle russische Medienorganisationen, Kreml-nahe Plattformen und Autoren unwahre oder verzerrte Informationen über den Corona-Ausbruch verbreiten. Aber steckt dahinter eine gezielte Kampagne oder ist es einfach Teil des zwischen Russland und dem Westen laufenden Propagandakriegs?
Die Botschaft ist "Verwirrung"
Die Auszüge aus russischen Medien erscheinen unter dem Titel "Der Kreml und Desinformation über das Coronavirus" auf der Website euvsdisinfi.eu sind teilweise verblüffend. Man könne den Eindruck bekommen, dass die dargestellten Versuche der Desinformation ziemlich widersprüchlich seien, heißt es zur Erklärung. Beispielsweise schreibt die als Kreml-nah geltende "Oriental Review": "Wenn die Panik vorbei ist, wird das Erbe von Covid-19 weniger Tote hinterlassen, als die normale Grippe". In dem Artikel werden vor allem rassistische Motive als Triebkraft der gegenwärtigen Corona-Ängste unterstellt.
Auf der Internet-Plattform "Geopolitica" wiederum erklärt Alexander Dugin genau das Gegenteil. Der russische Nationalist und bekennende Anhänger der russischen orthodoxen Kirche prognostiziert, der Coronavirus werde nach seinem "Triumphmarsch über den Planeten" die Weltordnung zum Einsturz bringen. Er bemüht antike Rachegötter und biblische Plagen, um mit dem westlichen Lebensstil religiös abzurechnen.
Aber steckt hinter solch gegenteiligen Behauptungen ein Plan? Es gehe darum, die europäischen Bürger zu verwirren, das Ziel sei "Uneinigkeit und Misstrauen" zu säen, vermuten die EU-Beobachter. Peter Stano, Sprecher des diplomatischen Dienstes der EU (European External Aktion Service) erläutert: "Wir haben bemerkt, dass es einen Zuwachs bei der Menge an falschen Informationen von außerhalb der EU gibt, unter anderem auch aus Russland, von dort ansässigen Providern oder Pro-Kreml-Quellen". Russland sei dabei nicht der einzige Herkunftsort, aber wer immer sie verbreite "spielt mit dem Leben von Menschen".
Dementis und Interpretationen
Kreml-Sprecher Dimitry Peskov dementierte am Mittwoch den zuerst in der "Financial Times" erschienen Bericht über eine Corona-orientierte Desinformationskampagne: "Wir sprechen über unbegründete Vorwürfe, die in der gegenwärtigen Lage vermutlich das Ergebnis einer anti-russischen Obsession sind." Die Vorwürfe seien absurd, und es fehlten konkrete Belege.
Das Dementi wird sogleich vom russischen Auslandssender "Russia Today" unterstützt. Nebojsa Malic, der als serbisch-amerikanischer Journalist vorgestellt wird, schreibt: "Wenn sonst nichts geht, beschuldigt man Russland. Das scheint der Ansatz der EU zu sein, um von ihrer Schuld bei der Corona Pandemie abzulenken".
Steckt der Kreml direkt dahinter?
Nutzt der Kreml das Coronavirus, um Stimmung gegen Europa zu machen? Der britische Fake-News Experte Ben Nimmo, der regelmäßig russische Medien beobachtet, hält es für unwahrscheinlich, "dass Putin selbst zum Telefon gegriffen" habe. Es sei auch gar nicht nötig, dass eine konzertierte Kampagne im Gange sei. "Das Ganze wirkt mehr wie der Grundton anti-westlicher Haltungen statt wie eine Kampagne, die direkt aus dem Kreml kommt".
Beim Abschuss des Malaysia Airline Fluges MH17 oder bei der Annexion der Krim sei das anders gewesen. Zu beiden Ereignissen habe man in allen Medien immer wieder die gleiche Wortwahl gefunden, die auf direkte Anweisungen aus dem Regierungsapparat deutete. Bei Corona sei das auch deshalb nicht nötig, sagt Nimmo, weil die Redaktionen von RT (Russia Today) und Sputnik wüssten, dass sie den Westen schlecht aussehen lassen sollten.
Für den Grünen-Europaparlamentarier und Russland-Experte Sergey Lagodinsky ist die Berichterstattung über Corona in den russischen Medien ein "Zeichen für die Natur unserer Beziehungen". Tenor sei derzeit, dass Russland selbst nur wenige Fälle habe, aber die EU davon total überwältigt werde. Damit solle kontinuierlich Panik geschürt werden.
Russische Trolle betreiben Außenpolitik
Laut Agnieszka Legucka vom Brüsseler ThinkTank "Carnegie Europe" verfügen russische Auslandsmedien über große Ressourcen und Reichweite. "Seit Anfang 2020 verbreiten sie auch Desinformation über das Corona-Virus mit dem Ziel, Misstrauen in die öffentlichen Institutionen zu schüren und die Krise der öffentlichen Gesundheit in Europa zu vertiefen." Sie nennt als Quelle der Fake News auch die russische Trollfabrik "Internet Research Agency", deren Eigentümer Yevgeny Prigozhin ein enger Unterstützer Putins sei.
Leguckas Fazit: "Mit ihren verschiedenen Methoden und Kanälen bleibt russische Desinformation ein starkes Instrument, um die politische Ordnung in Europa infrage zu stellen. Und ausgehend von den strategischen Zielen russischer Außenpolitik wird sie nicht demnächst zu Ende gehen".