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Desolate Lage der Roma im Kanton Tuzla

15. November 2002

– Minderheit fordert bessere Lebensbedingungen, anderenfalls will sie Bosnien-Herzegowina verlassen

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Köln, 14.11.2002, DW-radio / Bosnisch, Dragan Tesic, aus Tuzla

Die etwa 15000 Roma im Kanton Tuzla sind unzufrieden mit ihrem Status. Die Politiker hatten versprochen, dass sie die Probleme der Roma, insbesondere im Bereich der Schulbildung, in der Gesundheitsversorgung und bei der Arbeitslosigkeit lösen. Aber außer den Versprechen ist nichts geblieben. Ahmet Mujic, der Vorsitzende der Roma des Kantons Tuzla, sagte gegenüber der Deutschen Welle: "Es gibt zwei Arten von ethnischer Säuberung. Erstens die ethnische Säuberung mittels Gewalt und die zweite ist eine Säuberung auf kulturelle Weise, wenn man keine Arbeit bekommt, wenn man keine Wohnung bekommt. Wenn man nichts bekommt, wovon soll man dann leben? [Man muss] zusehen, wie die eigenen Kinder sterben."

Etwa 200 Roma-Kinder wurden dieses Schuljahr in Tuzla in die erste Klasse eingeschult. Das ist ein großer Fortschritt [in einer Region, in der viele Roma-Kinder die Schule bislang überhaupt nicht besuchen], aber sobald sie in die Schule kommen, stellen sich ihnen neue Probleme. "Weil die Lehrer den Roma-Kindern sofort die schlechtesten Noten geben, weil sie sich keine Bücher leisten können. Wie sollen wir die Bücher kaufen, wenn wir keine Arbeit haben? Warum wundern sich die Leute, wenn unsere Kinder betteln gehen? Besser ist es zu betteln, als zu stehlen oder zu morden. Wir neigen nicht zur Kriminalität. Man muss sich nur mal ansehen, wer am meisten Drogen benutzt, wer sich mit Kriminalität beschäftigt, und dann wird deutlich, dass wir Roma darunter die wenigsten sind."

Verärgert über die [nicht gehaltenen] Versprechen der Politiker betonen die Roma, dass sie bald ihre Forderungen auf die Straße tragen werden, um zu ihrem Recht zu kommen. "Wenn es schon nicht möglich ist, alle Versprechen einzulösen, dann müssen wir vereinbaren, dass wenigstens etwas davon eingehalten wird. [Dann müssen die Politiker] im Fernsehen erscheinen und sagen: 'So ist es.' Wenn dies nicht geachtet wird, müssen und werden wir demonstrieren."

Ein Appell nach Hilfe und auch eine Warnung haben die Roma ferner dem internationalen Bosnien-Beauftragten Paddy Ashdown geschickt. "Falls ein Roma-Kind oder eine Roma-Familie im Laufe dieses Winters stirbt, dann muss auch er persönlich Verantwortung übernehmen. Darum denken wir, dass es möglich ist, Millionen von Mark (Konvertible Mark – MD) für irgend etwas zu finden aber keine [Arbeit für uns] zu finden. Sie sollen Arbeit für uns finden und wir werden was auch immer arbeiten."

Trotz der Schwierigkeiten können die Roma in Tuzla durchaus Fortschritte vorweisen. Sie organisieren sich in den Gemeinden und gründen eigene Vereinigungen, und sie bringen jungen Menschen bei, Computer zu benutzen. "Nun, ich kann sicherlich sagen, dass es in diesem Kanton unter unseren Roma-Kindern über 300 gibt, die im Alter von sieben, acht oder neun Jahren am Computer arbeiten können. Und sie wissen, was ein Computer ist."

Die Roma möchten Bürger von Bosnien und Herzegowina sein, aber der Staat muss sich auch dazu äußern, ob er die Roma will. Mujic unterstreicht: "Warum beachtet uns dieser Staat nicht auch ein wenig? Wenn er uns nicht einmal die Grundvoraussetzungen bieten kann, dann soll er das sagen. Wir sind bereit, unsere Sachen zu packen und diesen Staat zu verlassen." (md)