"Die rumänische PSD ist keine sozialdemokratische Partei"
23. November 2018Deutsche Welle: Herr Detlef Müller, die deutsch-bulgarisch-moldauisch-rumänische Parlamentariergruppe ist ein neues, "multilaterales" Gebilde mit recht unterschiedlichen Ländern. Nehmen wir sie der Reihe nach unter die Lupe und beginnen wir mit dem aktuellen Problemfall in der Europäischen Union: Rumänien. Wie hat diese Parlamentariergruppe auf den jüngsten niederschmetternden Fortschrittsbericht der EU-Kommission zu Rumänien und auf die Resolution des Europaparlaments reagiert, in denen die sozial-liberale Regierung in Bukarest wegen ihrer kontinuierlichen Angriffe auf die unabhängige Justiz, gegen Korruptionsbekämpfung und Rechtsstaat scharf kritisiert wird?
Detlef Müller: Zunächst gehe ich ganz stark davon aus, dass sich alle Mitglieder unserer Parlamentariergruppe mit den Vorgängen und dem Fortschrittsbericht beschäftigt haben. Es ist ein gewaltiger Warnschuss der Europäischen Union an Rumänien. Wenn man sich die Entwicklungen der vergangenen Jahre ansieht, dann ist es nicht verwunderlich, wenn jetzt festgestellt wird, dass es sogar Rückschritte gab in Rumänien. Im Gegensatz zu Bulgarien, das auch auf einem schwierigen, aber guten Weg ist und dessen Fortschritte klar erkennbar sind. In den letzten Jahren gab es in Rumänien Rückschritte im ganzen Bereich der Rechtsstaatlichkeit, Justizwesen, Gewaltenteilung, Pressefreiheit. Ich denke schon, dass sich die Parlamentariergruppe damit sehr kritisch auseinandersetzen muss und entsprechende Beschlüsse fassen werden, wie wir uns in Zukunft verhalten werden. Wir wollen ja Rumänien gern helfen, dazu sind wir da. Wir wollen das Verhältnis der beiden Parlamente stärken, wir wollen zusammenarbeiten. Rumänien steht vor der EU-Ratspräsidentschaft. Das ist eine Riesen-Aufgabe. Wir werden alles tun, um den rumänischen Freunden und Kollegen im Parlament dabei auch zu helfen.
Was kann Ihre Parlamentariergruppe konkret an Hilfe anbieten? In der Vergangenheit gab es im Bundestag die deutsch-rumänische, die deutsch-bulgarische Parlamentariergruppe, die konzentriert die bilaterale Zusammenarbeit pflegen konnten und die von bekannten Persönlichkeiten - Gernot Erler für Bulgarien oder Susanne Kastner für Rumänien - geleitet wurden. Jetzt haben Sie diese beiden EU-Länder und dazu ein nicht EU-Land, die Republik Moldau, unter einem Hut. In der Region wird dies als Zeichen gesehen, dass sich Deutschland von der südosteuropäischen Peripherie abwenden würde.
Das tun wir nicht. Wir kümmern uns um alle drei Staaten. Sicherlich nicht unbedingt gleichberechtigt, das muss man einfach zugeben. Aufgrund des Arbeits- und Zeitbudgets werden wir uns zunächst um Rumänien kümmern, auch wegen der EU-Ratspräsidentschaft. Wir werden im nächsten Jahr Rumänien und die Republik Moldau besuchen. Klar ist, dass aufgrund des Fortschrittsberichts die Priorität auf Rumänien und dann auf der Republik Moldau liegt. Es darf dabei aber nicht das Gefühl entstehen, dass uns Bulgarien nicht mehr so viel wert ist. Aber Bulgarien ist jetzt auf dem besseren Weg. Die Stärkung und Unterstützung haben erstmal Rumänien und die Moldau nötig, darauf werden wir uns konzentrieren.
Warum steht die Moldau stärker im Vordergrund?
Bei der Moldau spielt die Frage der Perspektive die wichtigste Rolle. Wollen wir eine pro-europäische Republik Moldau, dann müssen wir ihr eine EU-Perspektive geben. Wir müssen uns mit der Frage auseinandersetzen ob, wie und wann Moldau der EU beitreten kann.
Bulgarien ist auf dem besseren Weg, sagen Sie. Was genau verfolgen Sie in Ihrer Zusammenarbeit mit Sofia?
Wir verfolgen die Umsetzung der Reformen mit großem Interesse und freuen uns über die erreichten Fortschritte. Aktuell steht die Analyse der bulgarischen EU-Ratspräsidentschaft (im ersten Halbjahr 2018, Anm. d. Red.) an.
An der Spitze der Parlamentariergruppe gibt es eine interessante Konstellation: jeweils ein stellvertretender Vorsitzender aus CDU, SPD, FDP, Linke und Grüne, sowie ein Vorsitzender aus den Reihen der AfD. Funktioniert die Zusammenarbeit mit der AfD? Von den Parteispitzen der im Bundestag vertretenen traditionellen Parteien heißt es doch immer wieder, mit der populistischen AfD würde man nicht zusammenarbeiten. Jetzt sind Sie dazu praktisch verpflichtet.
Ganz so ist es ja auch nicht. Wir müssen zusammenarbeiten, es gibt parlamentarische Spielregeln, die wir einhalten müssen. Klar ist aber auch, dass wir uns abstimmen, was wir gemeinsam im Vorstand tun. Ab und an müssen wir den Vorsitzenden einbremsen in seinen Wünschen und wie er die Arbeit dort gestalten will. Wir sind ein Kollektivgremium und versuchen schon im Vorfeld, auf den Vorsitzenden einzuwirken. Er ist kein "Alleinherrscher", aber es sind schon harte Diskussionen.
Zurück zu Rumänien. Die dort regierende sozialdemokratische Partei PSD ist heftiger Kritik ausgesetzt, auch von Seiten der europäischen Sozialdemokraten im Europaparlament. Die SPD hält sich da eher zurück, weder die Vorsitzende, Andreea Nahles, noch der Vorstand wollten sich bisher kritisch zu den Machenschaften der sogenannten Sozialdemokraten in Bukarest äußern. Es gab kritische Untertöne während der beiden Kurzbesuche des Bundesaußenministers Heiko Maas in der rumänischen Hauptstadt, die offensichtlich nicht viel bewirkt haben, wie uns der EU-Fortschrittsbericht und die heftige anti-europäische Reaktion der PSD-Führung zeigen. Ist diese Haltung der PSD ein Thema in der SPD? Sind die Verleumdungskampagnen der von einem vorbestraften Politiker - Liviu Dragnea - angeführten Partei gegen die deutsche Minderheit in Rumänien und damit gegen den liberal-konservativen Staatspräsidenten Klaus Iohannis, der dieser Minderheit angehört, Thema in Ihrer Partei?
Für die SPD spielen viele Themen zur Zeit eine große Rolle, vor allem, wie es unserer Partei generell geht. Wir erneuern uns gerade. Das Thema Rumänien und PSD ist sehr speziell. Man muss einfach erkennen - und das kann ich für mich sagen -, dass die PSD keine Schwesterpartei ist. Sie gehört angeblich zur sozialdemokratischen europäischen Familie. Aber wenn man sieht, welche Politik die PSD konkret vertritt, gegen Minderheiten, homophob, eigentlich auch anti-europäisch, dann sehen wir, dass wir in Bezug auf unsere Grundwerte auf keiner gemeinsamen Basis stehen. Das heißt, sie mag sich wohl sozialdemokratisch nennen, sie ist für mich persönlich keine sozialdemokratische Partei. Deswegen ist es schwierig, von einer Partnerschaft zu sprechen oder partnerschaftliche Hilfe anzubieten. Das Verhältnis zwischen den beiden Parteien ist nicht gut. Wir haben den PSD-Vertretern mehrfach gesagt: Wenn sie zur europäischen sozialdemokratischen Familie dazugehören wollen, müssen sie sich grundlegend in ihrer Politik ändern und zu den Grundwerten der Sozialdemokratie bekennen. Wenn das nicht geschieht, wird eine Zusammenarbeit sehr schwierig. Ich hoffe schon, dass sich nach diesem Fortschrittsbericht auch der Vorstand der SPD deutlich positioniert.
Kann es unter diesen Umständen zu einem Ausschluss der PSD aus der europäischen Familie der Sozialisten und Sozialdemokraten kommen? Die Europawahlen stehen vor der Tür, jede Stimme zählt...
Das wäre ein sehr kategorischer Schritt, über einen Ausschluss nachzudenken. So weit sind wir noch lange nicht, sondern wir versuchen immer noch in Gesprächen und Verhandlungen, dass die PSD in der sozialdemokratischen Familie bleiben kann. Familienmitglieder stößt man nicht so einfach fort. Aber wir reden darüber, dass man sich dazu bekennen muss, ob man Teil dieser Familie sein will. Auf diesem Weg sind wir gerade.
Das Gespräch führte Robert Schwartz
Detlef Müller (SPD) ist Mitglied des Bundestages und einer der fünf stellvertretenden Vorsitzenden der deutsch-bulgarisch-moldauisch-rumänischen Parlamentariergruppe. Müller ist Sprecher der Landesgruppe Sachsen der SPD-Bundestagsfraktion.