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Deutliche Signale gefragt

16. April 2003

Der Irak-Krieg hat die geostrategischen Konstellationen kräftig durchgeschüttelt. Die Türkei hat sich dabei sehr europäisch verhalten. Die EU sollte dies anerkennen, meint Baha Güngör in seinem Kommentar.

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Nein, eine neue geostrategische Positionierung der Türkei ist nach dem Irak-Krieg nicht zu erkennen - und sie ist auch nicht erforderlich. Das einzige islamische Land in der NATO mit seinen Ambitionen auf einen EU-Beitritt wird auch künftig seine schwierige Gratwanderung fortsetzen müssen: zwischen Europa, den USA und einem vielschichtigen, instabilen regionalen Umfeld. Allerdings sollten die Europäer anerkennen: Die Türkei hat den amerikanischen Versuchen, Ankara mit insgesamt 30 Milliarden Dollar zur bedingungslosen Unterstützung des Kriegs gegen Bagdad zu bewegen, widerstanden. Es gab keine Nordfront mit 62.000 US-Soldaten, die ursprünglich vom türkischen Territorium aus in den Nordirak einmarschieren sollten. Dabei hätte es im Windschatten dieser Truppen für die türkische Armee durchaus leicht sein können, mit über die Grenze zu ziehen und das irakische Kurdengebiet samt Ölfeldern zusammen mit den Amerikanern unter Kontrolle zu nehmen.

Die EU sollte anerkennen, dass sich der Beitrittskandidat Türkei europäisch verhalten hat: Der Feldzug gegen den Irak ohne Legitimation durch die Vereinten Nationen wurde von Ankara nicht gebilligt. Spätere kleine Korrekturen an dieser Position dienten lediglich humanitären Zwecken wie Such- und Rettungsarbeiten oder waren Vorrichtungen zum Auffangen eventueller Flüchtlingsströme.

Es wäre wünschenswert, dass die EU angesichts dieser Ausgangslage stärker das türkische Beitrittsbegehren unterstützt. Der Assoziationsrat hat die Türkei zwar ermuntert, den Reformprozess trotz widriger weltpolitischer Entwicklungen fortzusetzen. Aber die europäisch orientierten Kräfte in der Türkei benötigen mehr Unterstützung, wenn sie den knapper werdenden Vorsprung gegenüber Europa-Gegnern in Meinungsumfragen wieder ausbauen oder zumindest halten wollen. Dabei ist die Türkei aus kulturellen und historischen Gründen ein Teil Europas - und daran wird sich nichts ändern.

Gegenseitiges Vertrauen könnte verstärkt werden, wenn die Europäer mehr Verständnis zeigten für die Befürchtungen der Türkei hinsichtlich eines Kurdenstaates im Nordirak. Die bisher weitgehend fruchtlosen Gespräche zwischen verschiedenen Oppositionsgruppen zeigen, wie schwierig es ist, eine stabile Nachkriegsordnung im Irak und damit auch in unmittelbarer Nachbarschaft zur Türkei zu schaffen. Gerade die kurdischen Gruppen im Nordirak hatten noch bis vor wenigen Jahren mit härtesten Bandagen gegeneinander gekämpft.

Ankara befürchtet eine Spaltung des Irak, die enorme Instabilität in der ganzen Region nach sich ziehen würde. Noch fataler wären die Folgen, wenn die USA irgendwann, wie manche befürchten, auch gegen Syrien oder Iran militärisch vorgehen würden. Die Türkei hat traditionell zwar selbst eher gespannte Beziehungen mit Syrien - und auch das Verhältnis zu Teheran ist in der Vergangenheit oft schwierig gewesen. Doch an einem weiteren Krieg hat Ankara kein Interesse. Die Türkei benötigt ein friedliches und stabiles Umfeld.

Die Türkei war in den Zeiten des Ost-West-Konflikts Horch- und Vorposten der NATO an deren Südostflanke und hatte als einziges NATO-Land direkte Grenzen zur Sowjetunion. Die Sowjetunion ist Geschichte, doch das regionale Umfeld ist nicht sicherer geworden: Die Türkei liegt in Nachbarschaft zu mehreren Staaten, die von Washington immer wieder als "Schurken-Staaten" gebrandmarkt werden.

Die EU könnte Ankara in dieser schwierigen Lage helfen. Gefragt sind deutliche Signale, dass die Türkei tatsächlich EU-Mitglied werden kann und nicht aus religiösen oder kulturellen Gründen abgelehnt wird. Demokratie, Menschenrechte und wirtschaftliche Entwicklung - das sind europäische Werte, an denen die Türkei orientiert bleiben sollte. Und diese Werte könnten in den Hintergrund gedrängt werden, wenn die Türkei von der EU im Stich gelassen wird und sich deshalb gezwungen sähe, sich stärker an der säbelrasselnden Außenpolitik der USA zu orientieren. Dies allerdings kann weder im Interesse Ankaras, noch im Interesse der Europäischen Union sein.