Deutsch-Türken und Deutsche entfremden sich
5. Dezember 2017Die politischen Spannungen zwischen den Regierungen in Berlin und Ankara belasten nach Ansicht vieler Deutsch-Türken offenbar auch ihr Verhältnis zu deutschen Mitbürgern. Der Umgang zwischen Deutschen und in der Bundesrepublik lebenden Deutsch-Türken habe sich in den vergangenen Jahren verschlechtert, sagten 52 Prozent der Befragten in einer repräsentativen Umfrage von über 2.800 türkischstämmigen Bürger. Das Meinungsforschungsinstitut Data 4U hatte die Studie im Auftrag des NDR durchgeführt.
Als Grund nannten die meisten (59 Prozent) die Regierungsstreitigkeiten. Auch die Medienberichterstattung spiele eine große Rolle, sagten 53 Prozent. Schlechte persönliche Erfahrungen nannten die wenigsten als Grund.
Mehrheit hält Kritik an Erdogan für ungerechtfertigt
Laut der Umfrage halten nur zwölf Prozent der Befragten die deutsche Kritik am türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan und seiner Partei für gerechtfertigt. 44 Prozent der Deutsch-Türken halten sie dagegen für nicht berechtigt. Die Antworten der Deutsch-Türken, die in erster, zweiter oder dritter Generation in der Bundesrepublik leben, unterscheiden sich dabei kaum voneinander.
Zugleich ist die türkischstämmige Bevölkerung in Deutschland in der Haltung zu Erdogan selbst gespalten: Während sich laut Umfrage 27 Prozent der Deutsch-Türken kritisch zu Erdogans aktueller Politik äußern, stimmen 29 Prozent seinem Kurs seit dem Putschversuch 2016 zu. Seit dem Putsch wurden ungefähr 150.000 Staatsbedienstete entlassen oder suspendiert und 50.000 Menschen in Untersuchungshaft genommen.
Integration als Schlüssel
Laut NDR zeigt die Erhebung hier einen eindeutigen Zusammenhang: Mangelt es an Integration und Anerkennung, wächst die Zustimmung zu Erdogan - und umgekehrt. "Bildung ist der zentrale Schlüssel zum Verständnis unserer Studie", erläuterte Data-4U-Chef Joachim Schulte. "Die formal höher Gebildeten weisen den höchsten Integrationslevel auf, stehen der Politik des türkischen Präsidenten Erdogan am kritischsten gegenüber und sind auch die einzige Gruppe, die das Türkei-Referendum im April 2017 mehrheitlich abgelehnt hat." Bei den weniger gut Ausgebildeten steige die Sympathie und Zustimmung für die Politik Erdogans sprunghaft an. Mit der Volksabstimmung hatte sich Erdogan einen Ausbau seiner Machtbefugnisse gesichert.
lh/sti (epd, dpa)