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Türkei: Wissenschaftskooperation in Gefahr

Fabian Schmidt24. Juli 2016

Deutsche und türkische Universitäten und Forschungseinrichtungen sind außergewöhnlich stark vernetzt. Wie wirken sich die Massenentlassungen und Reiseverbote gegen türkische Wissenschaftler praktisch aus?

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Türkei Istanbul Boğaziçi Universität Junge Menschen auf Rasen vor Gebäuden
Bild: Universität Boğaziçi

Schon vor dem Militärputsch hatten es türkische Wissenschaftler nicht leicht. Anders als in Deutschland, wo die Unabhängigkeit der Universitäten und Forschungseinrichtungen durch eigenständige und selbstbewusste Gremien abgesichert ist, hat die Regierung in Ankara rechtlich direkten Durchgriff bis hin in die Vorlesungssäle, Laboratorien oder Universitätsbibliotheken.

Der dortige Hochschulrat Yök, geschaffen nach dem Militärputsch von 1980, unterwirft Universitäten direkt der staatlichen Kontrolle. Das ist auch einer der Gründe, weshalb die AKP-Regierung ihre Maßnahmen gegen Universitätsdirektoren, Dekane, Professoren und Dozenten nach dem jüngsten Putschversuch so schnell durchsetzen konnte.

Einschränkungen der Wissenschaftsfreiheit sind nicht neu

Schon seit Jahren hatte die Regierung unliebige Rektoren nach und nach abgesetzt. Jetzt wurden auch die letzten kritischen Geister entfernt und mit ihnen gleich etwa 1600 Dekane. Für alle Universitätsmitarbeiter galt in der vergangenen Woche eine Urlaubssperre und ein Ausreiseverbot, welches am 22. Juli wieder aufgehoben wurde. Es betraf nicht nur Professoren, sondern zum Beispiel auch viele Postgraduierte.

"In der Türkei fängt das sehr früh an. Die Doktoranden haben in der Regel schon Arbeitsverträge und nicht Stipendien", erklärt Stephan Geifes. Er ist beim Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) verantwortlich für Programme mit der Türkei. "Sie sind also Angestellte der Hochschule und unterliegen diesen Restriktionen."

Die jüngste Entlassungswelle wirft einen langen Schatten auf die deutsch-türkische Wissenschaftskooperation. "Das ganze trifft uns so hart aufgrund der engen Wissenschaftsbeziehungen, die wir mit der Türkei unterhalten", sagt Geifes "abgesehen davon, dass der Angriff auf den Rechtsstaat und das Wissenschaftssystem natürlich unannehmbar sind."

Präsident Hochschulrektorenkonferenz Horst Hippler
Forschungskooperationen stehen auf dem Spiel, sagt Professor Horst Hippler.Bild: picture-alliance/dpa

Der Präsident der deutschen Hochschulrektorenkonferenz pflichtet ihm bei: "Eine kleine Unterbrechung ist immer zu verkraften, aber wenn das länger anhält, bedeutet das sicher auch das Aus für viele Projekte der Zusammenarbeit", bedauert Prof. Horst Hippler. Die Folgen würden vor allem in der Zukunft spürbar "weil die Unsicherheit natürlich nicht ermutigt, gemeinsame neue Projektanträge zu schreiben."

Türkei und Deutschland eng verwoben

Einige Zahlen veranschaulichen die bestehende enge Verflechtung zwischen Deutschland und der Türkei: Der DAAD betreut zwar nur 90 türkische Studienstipendiaten, 12 Doktoranden und einen Hochschullehrer in Deutschland sowie 55 Teilnehmer an Sommerkursen, wie etwa Intensivsprachkursen.

Menschen mit türkischer Herkunft führen aber mit mehr als 30.000 Studierenden uneinholbar die Statistik der "ausländischen Studierenden" an deutschen Hochschulen an. Das beinhaltet allerdings auch jene, die mit türkischem Pass schon in Deutschland aufgewachsen und zur Schule gegangen sind.

Hinzu kommen (für 2014) etwa 1600 Wissenschaftler und Gastwissenschaftler sowie mehr als 700 Doktoranden an deutschen Unis. Auch in der anderen Richtung gibt es ein starkes Interesse. So studierten im Jahr 2015 immerhin 3052 junge Menschen aus Deutschland in der Türkei. Etwa 2600 von ihnen wurden durch das EU-Programm Erasmus Plus gefördert. Hinzu kommen unzählige gemeinsame Forschungsprojekte.

Keine Einschränkungen für Studenten

Die Restriktionen der Regierung in Ankara treffen die Studenten zunächst nicht direkt. "Die türkischen Studierenden werden nicht daran gehindert auszureisen und deutsche Studierende werden nicht daran gehindert einzureisen", versichert DAAD- Regionalexperte Geifes. Aber die Regierungsmaßnahmen gegen die Universitäten könnten natürlich die Attraktivität eines Studiums in der Türkei schmälern.

Enno Aufderheide
Die Türkei schadet sich selbst, wenn sie freie Forschung nicht zulässt, sagt Enno AufderheideBild: Michael Jordan

Auch wenn die Folgen für viele Betroffene noch nicht ganz klar sind, halten Vertreter verschiedener deutscher Wissenschaftsinstitutionen die Maßnahmen der Regierung in Ankara für verheerend: "Für die wissenschaftliche Kooperation zwischen der Türkei und Deutschland, aber auch für die internationale Einbindung der Türkei ist das eine Katastrophe", sagt Enno Aufderheide, Generalsekretär der Alexander von Humboldt Stiftung (AvH). Aufderheide stellt klar: "Damit schadet die Türkei sich selber in ganz erheblichem Maße."

Die AvH fördert Spitzenforscher mit Stipendien. Diese können dann als Gast an deutschen Universitäten und Wissenschaftseinrichtungen forschen. Dass die jetzigen Entlassungen und Restriktionen nur den Höhepunkt eines lang andauernden Abbaus der Wissenschaftsfreiheit in der Türkei markieren, zeigen frühere Erfahrungen der Stiftung mit Stipendien für politisch verfolgte Wissenschaftler.

Exil für verfolgte Wissenschaftler

So hat die AvH im jahr 2014 die Philipp-Schwartz-Initiative ins Leben gerufen. Es war ursprünglich als Programm für verfolgte Forscher aus totalitären Staaten gedacht - etwa aus Syrien, Nordafrika oder Asien.

"Zu unserer Überraschung wurde die Türkei das zweitstärkste Herkunftsland," sagt Aufderheide. "Letzten Endes waren die Bedingungen für viele Wissenschaftler vorher schon schlecht." So seien bereits vorher über 1000 Wissenschaftler politisch verfolgt worden, weil sie einen Aufruf zur Beilegung des Bürgerkriegs im kurdischen Teil der Türkei unterzeichnet hatten.

Der Stiftungs-Leiter sieht jedenfalls die deutschen Wissenschaftsinstitutionen in der Pflicht, den türkischen Kolleginnen und Kollegen zu helfen: "Wir müssen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern hier den Freiraum geben, weiter frei zu denken." Dazu gehöre auch die aktive Pflege des Alumni-Netzwerkes der Stiftung, die alleine in der Türkei über 300 Wissenschaftler umfasst.

Istanbul Türkisch-Deutsche Universität Katrin Obersteiner
Eine Deutsche Dozentin unterrichtet an der Deutsch-Türkischen Universität. Wie es weitergeht ist unklar.Bild: DW/S. Sokollu

Narben werden bleiben

Unklar ist, wie es mit einem deutsch-türkischen Leuchtturm-Projekt weitergeht. 2014 war in Istanbul die Türkisch-Deutsche Universität eröffnet worden. Auch hier wurden wichtige Führungskräfte abgesetzt.

"Wir kriegen aus der Universität im Moment keine großen Nachrichten. Wir wissen, dass die drei Dekane nach Aufforderung zurückgetreten sind. Der Rektor ist noch weiterhin im Amt", sagt der Präsident der deutschen Hochschulrektorenkonferenz Hippler. "Aber da die Türkisch-Deutsche Universität eine staatliche Universität nach türkischem Recht ist, fehlt uns tatsächlich der Zugang. Wir werden nicht unterrichtet, was dort tatsächlich passiert."

Und selbst wenn die jetzige Krise im Wissenschaftsbetrieb überwunden werden sollte, der Schaden, den die Repression gegen die Wissenschaftsfreiheit jetzt angerichtet hat, wird so schnell nicht wieder zu reparieren sein.

"Immer wenn man Bildung und Erziehung einschränkt, führt das zu einer gewissen Isolation", betont Hippler. "Als das größere Problem sehe ich eigentlich, dass die nächste Generation keine große Zukunft in der Türkei sieht und das Land verlässt, bevor sie hochkarätige Wissenschaftler sind."