Deutsche Debatte über Syrien
16. September 2013Die Bürger in der Bundesrepublik stehen einem militärischen Eingreifen in Syrien überwiegend skeptisch gegenüber. Die Beteiligung der Bundeswehr an einem solchen Einsatz lehnen die meisten ab. Seit dem Einsatz in Afghanistan mit bisher 54 toten deutschen Soldaten geht die Zustimmung zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr zurück. Das weiß natürlich auch Bundeskanzlerin Angela Merkel, und so stellte sie von Anfang an klar: "Deutschland wird sich an einem Militäreinsatz gegen Syrien nicht beteiligen". Gleichwohl forderte sie harte Konsequenzen, sollte sich herausstellen, dass Syriens Diktator Baschar al-Assad für den Einsatz von Chemiewaffen gegen die Zivilbevölkerung verantwortlich ist.
Für Merkels Parteifreund Ruprecht Polenz, den scheidenden Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags, gibt es "keinen vernünftigen Zweifel", dass der syrische Staatschef hinter den Giftgasangriffen steht, denen vermutlich mehr als tausend Menschen zum Opfer gefallen sind. Doch auch er ist froh, dass der amerikanische Militärschlag nun erst einmal abgewendet und wieder die Diplomatie am Zuge ist. "Es geht doch darum, dass sich ein solcher Giftgasanschlag nicht wiederholt", sagt er im Gespräch mit der DW. Wenn dies mit diplomatischen Mitteln gelinge, ziehe er das vor. "Zwischen Nichtstun und einem Militärschlag gibt es auch noch andere Möglichkeiten, die verhindern, dass es weitere Giftgaseinsätze gibt und die dazu beitragen, die Verantwortlichen zu bestrafen", so Polenz.
Verstoß gegen das Völkerrecht
Auch der Nahostkenner Werner Ruf, emeritierter Professor für internationale Beziehungen, begrüßt den Vorschlag die syrischen Chemiewaffen unter internationale Aufsicht zu stellen und schließlich zu vernichten. Dies sei ein "großer und gewaltiger Schritt in Richtung auf eine halbwegs friedliche Lösung", sagt er im Interview mit der DW. Diesem Vorschlag könne auch der UN-Sicherheitsrat zustimmen und damit dem Völkerrecht wieder Geltung verschaffen.
Eine militärische Intervention in Syrien kommt für Ruf nicht in Frage. "Das wäre ein klarer Verstoß gegen Artikel 2 Ziffer 7 der Charta der Vereinten Nationen", betont er. Die UNO verbiete kategorisch die militärische Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten.
Erinnerung an den Kosovo-Krieg
In die Berliner Debatte um militärische Interventionen hat sich in den letzten Tagen auch der ehemalige Grünen-Politiker Ludger Volmer eingeschaltet. Der frühere Staatsminister im Auswärtigen Amt und außenpolitische Vordenker der Grünen lehrt derzeit an der Humboldt-Universität in Berlin. Gerade hat er ein Buch mit Erinnerungen an seine Amtszeit vorgelegt, das den Titel "Kriegsgeschrei und die Tücken der deutschen Außenpolitik" trägt.
Die Diskussion um ein Eingreifen in Syrien erinnert ihn an das Jahr 1999, als Deutschland sich an dem NATO-Krieg um das Kosovo beteiligte. Damals mussten die pazifistischen Grünen als Juniorpartner in einer Koalition mit den Sozialdemokraten den Einsatz gegen die damalige Bundesrepublik Jugoslawien ohne UN-Mandat mittragen. "Es war ein selbstquälerischer Prozess, der uns fast zerrissen hat", sagt Volmer im Rückblick. "Der Kosovo-Krieg war ja der erste mit deutscher Beteiligung nach dem Zweiten Weltkrieg. Das war damals ein Tabuthema und ausgerechnet SPD und Grüne, die beiden Parteien, die am ehesten für militärische Zurückhaltung standen, mussten dieses Tabu brechen."
Verantwortung übernehmen
Spätestens seit der Wiedervereinigung könne sich Deutschland nicht mehr seiner internationalen Verantwortung als wirtschaftlich und politisch starkes europäisches Land entziehen, ist Volmer heute überzeugt. Aber: "Verantwortung mittragen und handeln ist nicht identisch mit Militärpolitik." Er bedauere es, dass Verantwortung heutzutage fast immer ein Synonym sei für Militäreinsätze. Gewalt könne immer nur die "ultima ratio" sein, das Mittel der letzten Wahl, wenn alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft seien.
Genau so sieht es auch der CDU-Außenpolitiker Ruprecht Polenz. "Das Militärische ist die ultima ratio, das ist die Möglichkeit, die man haben muss, auch um sie nicht gebrauchen zu müssen", sagt er. Bevor man jedoch zu militärischen Mitteln greife, habe die Politik ein ganzes Spektrum an Einflussmöglichkeiten diplomatischer und ökonomischer Art.
Kriegsgeschrei in den Medien
Unter deutschen Politikern scheint es also keinen großen Dissens zu geben: Eine diplomatische Lösung der Syrien-Krise ist einem militärischen Eingreifen auf jeden Fall vorzuziehen. Ganz anders sehen es viele deutsche Journalisten. In zahlreichen Leitartikeln und Kommentaren wurde in der vergangenen Woche ein amerikanischer Angriff auf Syrien geradezu heraufbeschworen. In renommierten deutschen Zeitungen verlangten die Autoren, den syrischen Diktator mit Luftschlägen zu bestrafen und die Menschen in Syrien durch die Einrichtung einer Flugverbotszone zu schützen.
Der Politikwissenschaftler Werner Ruf ist darüber empört. Er wirft den Medien in Deutschland vor, in "Kriegsgeschrei" zu verfallen. "Alles redet nur noch über Krieg. Man redet nicht mehr darüber, dass wir eigentlich eine Friedenspflicht haben und dass man sämtliche Möglichkeiten ausnutzen müsste, um eine friedliche Lösung zu finden - und das ist die Diplomatie."