Deutsche Filmgeschichte (3): NS-Film
1. September 2011Das NS-Regime hatte sich wie kein anderes Herrschaftssystem über Kunst und Massenkultur zu legitimieren versucht. Vor allem der Film galt den Nationalsozialisten als Mittel, die Herzen der Bevölkerung zu erobern. Fast bruchlos vollzog sich der institutionelle Übergang der Kinoproduktion von der Weimarer Republik in den Nationalsozialismus: Im September 1933 wurde die alte Filmkammer in die neugeschaffene Reichskulturkammer eingegliedert, die sämtliche Kulturbereiche umfasste.
Verfolgung der Juden beim Film
Das Gesetz hatte zur Folge, dass missliebige Filmkünstler kurzerhand die Mitgliedschaft verweigert wurde, was einem Berufsverbot gleichkam. Wie auch in anderen Bereichen der Gesellschaft enteigneten die Nationalsozialisten Kapital und Produktionsmittel jüdischer Firmen. 5000 zumeist jüdische Filmschaffende und politisch Andersdenkende wurden aus ihren Positionen gedrängt. Viele Künstler mussten emigrieren, darunter so bekannte Namen wie Conrad Veidt, Peter Lorre, Max Ophüls, Billy Wilder, Fred Zinnemann und Otto Preminger.
Außerdem gab es eine von Propagandaminister Joseph Goebbels persönlich erstellte Liste mit Filmen, die während der NS-Zeit nicht gezeigt werden durften. Dazu gehörten "Das Testament des Dr. Mabuse" und "M – eine Stadt sucht einen Mörder", beide von Fritz Lang, der US-Klassiker "King Kong" oder Helmut Käutners noch 1944 in Prag gedrehter Film "Große Freiheit Nr. 7". In den 12 Jahren der NS-Herrschaft waren es rund 600 Kinostreifen, die verboten waren.
Unsichtbare Propaganda
Wie kein anderer hatte Goebbels als oberster deutscher Filmherr die Bedeutung des Mediums Film erkannt. Über die Prinzipien der Spiel-, Dokumentar- und Kulturfilme ließ Goebbels keinen Zweifel. Noch vor Übernahme der Spielfilmproduktion durch den NS-Staat erklärte der Propagandaminister 1937, dass er eine Kunst wünsche, die ihren Charakter nicht durch Zurschaustellung nationalsozialistischer Symbole beweise. "In dem Augenblick, da Propaganda bewusst wird, ist sie unwirksam. Das ist die beste Propaganda, die sozusagen unsichtbar wirkt."
Das Ziel von Goebbels war der unpolitische Film als Politikum, der Film als kleines Rädchen in der Maschinerie der Propaganda: Von den rund 1100 Spielfilmen der NS-Zeit erwies sich nur jeder zehnte Kinostreifen als offen nationalsozialistisch. Dazu gehörten Kriegsfilme wie "Stukas" von Karl Ritter, "Hitlerjunge Quex", das antisemitische Machwerk "Der ewige Jude", der Euthanasie-Film "Ich klage an" von Wolfgang Liebeneiner oder der Durchhaltefilm "Kolberg" von Veit Harlan.
Kraft durch Freude auf der Leinwand
Trotz solcher Propagandafilme entfiel fast die Hälfte aller Kinostreifen auf vermeintlich unpolitische Unterhaltungsfilme wie "Weltrekord im Seitensprung" oder "Die Feuerzangenbowle". Besonders beliebt waren Operetten und Melodramen, Heimatfilme und Komödien. Unterhaltung galt als staatspolitisch wertvoll. "Kraft durch Freude" stand auf dem Programm der deutschen Filmindustrie. Beim Publikum kam das an - trotz oder gerade wegen der grausigen Realität des Krieges.
Zu den langjährigen Erfolgsfilmen zählten "Die große Liebe" mit Zarah Leander oder "Frauen sind doch bessere Diplomaten" von Georg Jacoby. Der judenfeindliche Spielfilm "Jud Süß" lag erst an sechster Stelle der Beliebtheitsskala. Viele Komödien zeichneten sich durch ein romantisches Lebensgefühl aus.
Triumph des Willens
Eine ästhetische Entwicklung erfuhr der deutsche Film damit noch lange nicht. Mit Ausnahme des Dokumentarfilms, besonders die von Cineasten noch heute bewunderten Arbeiten Leni Riefenstahls, die mit ihren beiden Olympia-Filmen ("Fest der Schönheit", "Fest der Völker") und dem Hitler-Streifen "Triumph des Willens" zu dem Aushängeschild des Dokumentarfilms unterm Hakenkreuz avancierte.
Mit einem Stab von 120 Mitarbeitern, darunter 18 Kamerateams, wird "Triumph des Willens" zu einem Dokument nationalsozialistischer Monumentalität: sei es durch die Embleme der Macht, den Hakenkreuzfahnen, den gigantischen Architekturen oder den Paraden und Appellen mit Hunderttausenden von Menschen. Es war die Visualisierung der Masse als Ornament, die hier ihren Ausdruck fand. Erst Riefenstahls metaphorische Montage rückte Hitler in den filmischen Vordergrund.
Anpassung und Unterwerfung
Viele Filmkünstler ließen sich aus der Sicht des Propagandaministeriums erfolgreich in die nationalsozialistische Filmproduktion integrieren. Regisseur, Schauspieler oder Drehbuchschreiber unterm Hakenkreuz zu sein, das forderte den jeweiligen Künstlern eine spezifische Mentalität ab, eine Mischung aus partieller Anpassung, äußerer Unterwerfung und innerer Emigration. Viele Filmschaffende fanden sich nicht erst unter Repressionen des Propagandaministeriums zur Kooperation bereit.
Im beruflichen Verständnis dieser Personen klang häufig an, dass Arbeitseinschränkungen keineswegs allein als illegitime Maßnahme begriffen wurden. Unterhaltungskunst unter dem Hakenkreuz herzustellen, das war für viele eine handwerkliche Herausforderung. Von einem Unrechts- oder Schuldbewusstsein keine Spur.
Gegenentwürfe
Vor allem gegen Kriegsende entstanden einige Spielfilme, die sich von der NS-Propaganda absetzten und auf melancholische Weise dem offensichtlichen Untergang widmeten. Dazu gehörten Helmut Käutners "Unter den Brücken" und "Große Freiheit Nr.7". Manchmal konnten sogar hintersinnige Dialoge im NS-Film erscheinen, ohne dass es den Zensoren aufgefallen wäre. Etwa 1943 in dem phantastischen Film "Münchhausen" mit Hans Albers in der Hauptrolle. Das Drehbuch stammte aus der Feder des bekanntesten deutschen Kinderbuchautors, des Feuilletonisten und streitbaren Pazifisten Erich Kästner.
NS-Filme nach 1945
Nach dem Ende der NS-Diktatur unterzogen die alliierten Siegermächte im Rahmen der Entnazifizierung alle im Umlauf befindlichen deutschen Filme einer Zensur. Am Ende wurden für knapp 20 Prozent der Spielfilme Aufführungsverbote verhängt, weil sie als NS-Propaganda eingestuft wurden. Während die unpolitischen Unterhaltungsfilme der NS-Zeit bis heute im Nachmittags- und Abendprogramm der deutschen Fernsehanstalten gezeigt werden, oder auf DVD oder Video zu kaufen sind, gilt für die Propagandafilme Jahrzehnte nach dem Ende des NS-Regimes weiterhin ein Aufführungsverbot.
Autor: Michael Marek
Redaktion: Jochen Kürten