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Deutsche Fischindustrie wandert gen Osten

Jörn Pietschke15. Oktober 2004

Immer mehr Betriebe der deutschen Fischindustrie verlagern ihre Produktion in Billiglohnländer. Besonders beliebt ist das neue EU-Mitglied Polen, dessen Fischindustrie auch noch von hohen EU-Subventionen profitiert.

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Feine Fischkost bald nur noch aus Polen?Bild: AP

"Wir wollen hier bleiben", skandierten in Sprechchören die Arbeiterinnen des Cuxhavener Fischfeinkostherstellers Lysell. Seit Anfang Oktober gab es Warnstreiks und immer wieder Verhandlungen zwischen Gewerkschaftern und Managern. Der Protest richtete sich gegen die Pläne der Geschäftsführung, den gesamten Betrieb mit 170 Arbeitsplätzen aus dem Cuxhavener Fischereihafen in die estländische Hauptstadt Tallin zu verlegen. Die Gewerkschaft Nahrung, Genuss Gaststätten (NGG) hatte für solche Verhandlungsmethoden auf dem Rücken der Beschäftigten wenig Verständnis. Sie zeigte die geplanten 150 Entlassungen bei der Bundesagentur für Arbeit an.

Happy End auf Zeit

Am Ende hatten die Lysell-Mitarbeiter gerade noch einmal Glück. Der Betrieb bekam eine Landesbürgschaft von 1,4 Millionen Euro und das auch noch zu den gewünschten Bedingungen. Der Belegschaft aber werden Urlaubs- und Weihnachtsgeld gekürzt und dafür längere Arbeitszeiten zu Zeiten der Hochkonjunktur zugemutet - dafür gibt's wenigstens eine dreijährige Beschäftigungsgarantie im Cuxhavener Fischereihafen - eine Gnadenfrist?

Gleiche Branche, gleiche Drohkulisse im benachbarten Bremerhavener Fischereihafen: Hier gab es allerdings kein Happy End. Der Feinkosthersteller Nadler schickte kürzlich 130 Mitarbeiter auf die Straße und hat Teile der Produktion nach Polen verlagert. In der Nähe von Posen hat der Fischfeinkosthersteller, der zum britischen Unique-Konzern gehört, seit langem eine Zweigstelle, wo die Mitarbeiter für 3,50 Euro Stundenlohn Matjes-Marinaden herstellen.

Löhne klaffen auseinander

"Wir in Deutschland hätten die Löhne auch um die Hälfte senken können und wären nicht an die Löhne in Polen rangekommen", kritisiert NGG-Gewerkschaftssekretär Jürgen Ohlzen. "Und das ist auch das, was ich persönlich sehe für die Zukunft. Denn eine solche Sogentwicklung kann natürlich auch dazu führen, dass andere Betriebe dann sagen: Na gut, dann können wir jetzt auch mit leichterem Gewissen nach Polen gehen und dorthin verlagern." Die Betriebe in der Fischindustrie hätten in vielen Bereichen bereits Kooperationsverträge oder sogar Tochtergesellschaften in Polen. "Wir schaffen es da nicht eine Wettbewerbsfähigkeit herzustellen", so Ohlzen.

Vor zehn Jahren hatten noch 4500 Menschen in der Cuxhavener Fischindustrie Arbeit. Heute sind es gerade noch 1500. Und immer mehr wandern in Billiglohnländer ab, die neuerdings sogar Mitglied in der EU sind, was den Marktzugang für die billiger produzierten Produkte erleichtert.

Höhe der Subvention fragwürdig

Laut dem Branchendienst Fischmagazin hat die EU für die Fischwirtschaft in den zehn Beitrittsländern 272 Millionen Euro bereitgestellt. Allein Polen bekommt davon in den nächsten drei Jahren 200 Millionen Euro aus Brüssel - für die Modernisierung ihrer Fischerei und Fischwirtschaft. Dabei haben gerade erst 35 Betriebe in dem Neu-EU-Mitgliedsstaat ihre EU-Hygienestandards verlängern lassen und können sofort für den gemeinsamen Markt produzieren. Nicht nur Gewerkschafter Ohlzen fürchtet angesichts dieser Zahlen, dass die Sprechchöre der Demonstranten nicht die letzten Hilferufe an die Politik sind.