Deutsche Geschichten für Brasilien
10. September 2013Wellenartig geht ohrenbetäubendes Geschrei durch die Messehallen des Riocentro. Hinter einer Tür empfängt der amerikanische Bestseller-Autor Nicholas Sparks Kleingruppen seiner hauptsächlich jugendlichen Fans. Davor warten Hunderte dichtgedrängt, in Zehnerreihen stauen sie sich mit erwartungsvollen Gesichtern.
In der Mitte wirkt der deutsche Stand wie eine Oase. Gemeinsam mit dem Goethe-Institut hat die Frankfurter Buchmesse den Gastauftritt organisiert und elf deutsche Autoren eingeladen. Darunter Ilja Trojanow und Wladimir Kaminer sowie den Graphic-Novel-Autoren Reinhard Kleist. Die Ausstellung "Deutschland für Anfänger" zeigt Bierkrüge und klärt über Hartz IV, die Grundsicherung für Arbeitslose, auf. Das beliebteste Fotomotiv der Besucher ist ein geschmückter Weihnachtsbaum.
Deutsche Literatur hat ein Imageproblem
Auf der Bühne greift Poetry-Slammer Bas Böttcher zum Mikrofon. Sein Auftritt soll für Stimmung sorgen und die Vielfalt der deutschen Kulturszene präsentieren. Er bekommt viel Applaus für sein Gedicht "Babylon", das teilweise simultan übersetzt wird. Eine junge Zuhörerin gratuliert ihm. Er sei der erste lustige Deutsche, denn sie kennengelernt hätte. Deutsche als langweilige Spaßbremsen? Dieses Klischee ist bekannt.
Doch ein Image-Problem Deutschlands sieht Almerinda Stenzel auch bei der Literatur. Sie ist beim Goethe-Institut für die deutschen Übersetzungen zuständig. "Die deutsche Literatur hat den Ruf, sehr ernst und schwer verdaulich zu sein". Obwohl neue deutsche Autoren mittlerweile viel lockerer und internationaler schrieben, würden sie von den brasilianischen Verlagen deshalb nicht übersetzt.
Englischsprachige Autoren dominieren
Kennt man nicht, übersetzt man nicht, kauft man nicht. Das ist der Dreisatz, den Ricardo Costa bei der Frage nach deutscher Literatur in Brasilien nennt. Er ist der Mann der Frankfurter Buchmesse vor Ort und lächelt bei der Frage, welchen Stellenwert deutsche Literatur in Brasilien habe. Die Literaturpreisträger Günter Grass und Hertha Müller seien einem interessierten Publikum bekannt. Auch Klassiker-Autoren wie Franz Kafka fänden ein, wenn auch ausgewähltes, Publikum. Den Erfolg aber hätten englischsprachige Autoren wie Buchmessen-Popstar Nicholas Sparks oder E.L. James, die mit ihrer "Shades of Grey"-Trilogie im letzten Jahr in Brasilien über eine Million Bücher verkaufen konnte.
Die Zahlen der deutschen Lizenzverkäufe nach Brasilien sprechen Bände: 2012 wurden gerade mal 138 deutsche Lizenzen an den Amazonas verkauft. Das entsprach nur zwei Prozent aller verkauften deutschen Lizenzen. Deutschlands Gastauftritt bei der "Bienal do Livro" und den geplanten Gegenbesuch der Brasilianer auf der Frankfurter Buchmesse sieht Ricardo Costa aber als gute Möglichkeit, das zu ändern: "Dieses Jahr könnte ein Schlüsseljahr für deutsche Literatur in Brasilien sein." Es ist ein langsames Herantasten an einen Markt, der viel verspricht, aber noch kaum entwickelt ist. Und der umgerechnet auf die Einwohner mehr als 14 Mal weniger Umsatz als der deutsche Buchmarkt macht.
Hoffnung auf Kinderbücher
Trotzdem gibt es einen guten Grund für Verleger, hierher zu kommen. Denn die brasilianische Regierung kauft im großen Stil Kinder- und Schulbücher und verteilt sie kostenlos an Schulen. Insgesamt sind das mehr als ein Drittel der insgesamt 430 Millionen in Brasilien verkauften Bücher und damit das weltweit größte Bücher-Subventionierungsprogramm nach China. Ein Millionengeschäft, von dem die deutsche Buchbranche auch ihren Teil möchte.
Die Frankfurter Buchmesse hat ein Rahmenprogramm für deutsche Verleger organisiert, eine Tour führt zum größten brasilianischen Verlag Record in den Norden Rio de Janeiros. Mit dabei in der Kleingruppe ist Martina Nommel. Die Kinderbuchagentin vertritt unter anderem das Verlagshaus Oetinger und den Thienemann-Verlag. Es ist das erste Mal, dass eine deutsche Delegation zu Gast bei Record ist. Martina Nommel stellt viele Fragen und verteilt Visitenkarten. Sie hofft, dass sich "die Begeisterung jetzt auch in Verträgen umsetzt". Noch im September will sie die ersten Vorschläge beim Regierungsprogramm einreichen: "Hoffentlich vor der Konkurrenz."