Deutsche Politiker als Angriffsziel
12. Oktober 2005Der Tag war lang genug gewesen, fand Wolfgang Schäuble. "Ich bin müde, ich mach nicht mehr lang", soll der damalige Bundesinnenminister am Telefon zu seiner Frau gesagt haben. Nur ein letzter Wahlkampftermin im badischen Oppenheim stand Schäubles Feierabend am 12. Oktober 1990 noch im Weg. Doch Schäuble kam nicht zu Hause an. Als er die Veranstaltung verließ, feuerte ein geistig verwirrter Mann drei Schüsse auf ihn ab.
"Ich meine, ich hätte einen Knall gehört und Hitze verspürt, aber ansonsten bin ich ohne Erinnerung," sagt Schäuble. Er habe sofort das Bewusstsein verloren. Eine der Kugeln traf sein Gesicht, eine weitere seine Brust. Die dritte Kugel verwundete einen von Schäubles Bodyguards, der sich vor den Politiker geworfen hatte. "Wenn mich der dritte Schuss auch getroffen hätte, hätte ich nicht überlebt", sagt Schäuble, der seit dem Angriff querschnittsgelähmt ist.
Häufung von Angriffen
Fünf Monate vor dem Mordversuch an Wolfgang Schäuble hatte eine geistig verwirrte Frau Oskar Lafontaine, damals noch SPD-Ministerpräsident im Saarland, bei einem Messerangriff schwer am Hals verwundet. Seitdem sind auch andere Politiker zur Zielscheibe von Angriffen geworden - auch wenn diese weit weniger gefährlich waren.
Auf einem Parteitag der Grünen im Mai 1999 wurde der damalige Außenminister Joschka Fischer von einem Farbbeutel getroffen. Ein Parteimitglied wollte damit gegen die Zustimmung der Grünen zum Einsatz deutscher Soldaten im Kosovo-Krieg protestieren. Seiner Parteigenossin Angelika Beer lauerte ein Jahr später ein unbekannter Mann vor ihrem Haus auf, der sie mit mehreren Messerstichen am Arm verletzte.
Im vergangenen Jahr verwundete eine Frau den Hamburger Justizsenator Roger Kusch bei einem Messerangriff am Bein. Der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder bekam eine Ohrfeige.Andere Politiker, darunter auch Alt-Kanzler Helmut Kohl (CDU) und der Vorsitzende der CSU, Edmund Stoiber, wurden mit Eiern beworfen.
Sind die Medien Schuld?
Für die Zunahme der Angriffe auf Politiker sei vor allem die Berichterstattung der Medien verantwortlich, sagt Jörg van Essen, der für die FDP im Bundestag sitzt. "Natürlich ist durch die permanente Skandalisierung der Personen in der Politik die Hemmschwelle geringer geworden."
Vor einiger Zeit kritisierte der Sicherheitsexperte van Essen auch die für den Schutz der höchstrangigen deutschen Politiker zuständige "Sicherungsstelle" des Bundeskriminalamtes (BKA). Weil es dort eine Zeit lang nicht genug Bodyguards gab, sei der Schutz zwischenzeitlich unzureichend gewesen. Das Problem sei nun jedoch gelöst. "Trotzdem merken wir, dass insbesondere die Personen, die in der Öffentlichkeit stehen, immer wieder Gegenstand von Angriffen sind und psychisch gestörte Personen sich volltrunken den Mut nehmen, bekannte Politiker anzugreifen."
Bedrohung durch Einzelpersonen
Wolfgang Schäuble glaubt ebenfalls, dass geistig verwirrte Menschen - zu denen auch sein Angreifer gehört - die größte Bedrohung für Politiker seit der Auflösung der linksradikalen Roten Armee Fraktion (RAF) darstellen. Doch anders als van Essen hat er nicht den Eindruck, dass die Angriffe auf Politiker zunehmen. Im vergangenen Wahlkampf habe es zum Beispiel keine Vorfälle gegeben. "Da kann man nicht von einer Zunahme reden."
Experten stimmen zu, dass die Bedrohung für Politiker seit der Auflösung der RAF entscheidend zurückgegangen ist. Zu RAF-Zeiten habe das BKA 70 Personen in die Kategorie der am meisten gefährdeten Personen eingestuft, die in ernster Gefahr waren, erinnert sich Helwig Finger, der früher als Bodyguard tätig war und heute als Ausbilder arbeitet. Heute habe sich diese Zahl auf 15 reduziert.
Öffentliches Leben als Risikofaktor
"Ein gelegentlicher Klaps ins Gesicht sei kaum zu vermeiden, da Politiker so gerne die Nähe der Menschen suchen, fügt der ehemalige Bodyguard hinzu. "Es sieht nachlässig aus, nicht weil das BKA unfähig ist, sondern weil Schröder sagt, ich will keinen vor mir sehen im Bild." Auch Wolfgang Schäuble weiß, dass lückenloser Schutz unmöglich ist. "Wer in der Öffentlichkeit steht, ist persönlichen Risiken ausgesetzt. Einen hundertprozentigen Schutz gibt es nicht."
Schon bald könnte der CDU-Politiker selbst den Schutz von Politikern überwachen. Auch wenn er derzeit noch jegliche Stellungnahme ablehnt: Seine Chancen in einer Großen Koalition erneut Bundesinnenminister zu werden, stehen nicht schlecht.