Deutsche Pässe bei Briten begehrt
25. Mai 2016Als Natalia Dannenberg vor knapp sechs Wochen die deutsche Staatsbürgerschaft bekam, machte sie mit ihrem Mann erst mal eine Flasche Wein auf. Sie feiert das, was sie selbst als "eine Art Sicherheitspolster" bezeichnet. Bis jetzt hatte ein deutscher Pass für sie keine Priorität. Irgendwann hätte sie schon einen beantragt.
Doch die Angst vor dem Brexit ließ sie schnell handeln. "Ich hätte sonst wahrscheinlich noch ein paar Jahre gewartet", sagt sie über die knisternde Telefonverbindung aus Griechenland, wo sie gerade einen kurzen Urlaub mit Mann und Baby verbringt.
Wahlberechtigte in Großbritannien entscheiden am 23. Juni, ob das Land in der Europäischen Union bleiben soll. Ein Ausstieg wäre der Erste in der Geschichte der EU. Die Meinungen sind gespalten: Brexit-Befürworter und -Gegner stehen sich in fast gleicher Anzahl gegenüber. Der Ausgang des umstrittenen Referendums wird erhebliche Auswirkungen auf Großbritannien und die EU als Ganzes haben.
Und auf Auswanderer wie Natalia Dannenberg. Die Social Media-Managerin des Paralympics-Komitees spricht fließend Deutsch und zog vor sechs Jahren mit ihrem Mann in die ehemalige Bundeshauptstadt Bonn.
Sie denkt zwar nicht, dass Deutschland so "brutal wäre, Briten von heute auf morgen aus dem Land zu werfen", aber sie wolle es auch nicht darauf anlegen. Bei einem Brexit wäre Großbritannien nicht mehr Teil des gemeinsam Marktes, der es EU-Bürgern erlaubt, in jedem Mitgliedsstaat zu leben und zu arbeiten.
Einbürgerungsanfragen steigen
Dannenberg ist nicht die einzige Britin, die sich Sorgen macht. Eine Sprecherin des deutschen Innenministeriums kann zwar nicht bestätigen, dass es eine erhöhte Nachfrage von Briten nach einer Einbürgerung in Deutschland gebe. Doch lokal ist das durchaus zu beobachten.
Ein Mitarbeiter der Stadtverwaltung in Bonn berichtet der DW, dass es "auf jeden Fall" einen Anstieg gebe. "Normalerweise bekommen nur zwei oder drei Briten pro Jahr die deutsche Staatsbürgerschaft", sagt er: "Dieses Jahr haben wir schon jetzt sieben eingebürgert."
Angesichts der vielen Anrufe von besorgten Briten in den letzten Monaten, ist er sich sicher, dass die Zahl noch steigen wird. "Als in Griechenland über einen EU-Ausstieg diskutiert wurde, haben auch ein paar Griechen angerufen. Das waren aber nur halb so viele wie die Briten. Sie haben wirklich Angst, dass sie ihre EU-Privilegien verlieren."
"Ich versuche, sie zu beruhigen", sagt er lächelnd. "Selbst wenn Großbritannien für den Brexit stimmt, wird das nicht über Nacht passieren." Es würde Jahre dauern, bis das Vereinigte Königreich komplett von der EU losgelöst wäre. Er ist überzeugt, dass britische Auswanderer keine "plötzliche Ausweisung" zu befürchten hätten.
Stolz auf Deutschland
Auch andere in Deutschland lebende Briten, mit denen die DW gesprochen hat, würden liebend gern die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen - wenn sie es denn könnten. Denn die Regeln sind streng. Dazu gehört ein minimaler Aufenthalt von acht Jahren, es sei denn, man ist mit einem Deutschen verheiratet. Außerdem kommt noch ein Einbürgerungstest auf die Bewerber zu, der das Wissen über deutsche Kultur, Politik und Geschichte abfragt.
Dieser Prozess kann sich monatelang hinziehen. Am Ende mache die deutsche Staatbürgerschaft "keinen wirklichen Unterschied im Alltag", sagt Dannenberg. Doch es gibt ihr das Gefühl, zu einem Land zu gehören, auf das sie stolz ist. Ein Land, das Führungskompetenz in der Flüchtlingskrise bewiesen und eine Willkommenskultur vorangetrieben habe. Das sei mit der herrschenden Stimmung in Großbritannien nicht zu vergleichen.
Europa sollte gefeiert werden
"Mir gefällt die Politik um den Brexit nicht. Genau wie der Nationalismus und die Intoleranz, die dabei mitschwingt", sagt Dannenberg. Die EU müsse viel zu oft als Sündenbock für Probleme wie die derzeitige Arbeitslosigkeit oder finanzielle Engpässe der Gesundheitsversorgung (NHS) herhalten. "Mir sind diese Einstellungen ehrlich gesagt ziemlich peinlich. Ich fühle mich mit der deutschen Idee von Europa viel wohler. Ein Europa, das offen und gastfreundlich ist."
Einige ihrer engsten Verwandten haben eine starke Anti-Europa-Haltung und sie ist sich in Klarem, dass viele von ihnen für den Brexit stimmen werden. Dannenberg hat aufgehört, sich mit ihnen darüber zu streiten. Sie seufzt: "Ich finde es seltsam, dass sie die Vorteile von Europa nicht sehen: Die Möglichkeit, sich frei zu bewegen, überall wohnen zu können, all die Vorteile, die ich als europäische Bürgerin in Deutschland genieße - das sehen sie einfach nicht."
Ohne die britische Mitgliedschaft in der EU, hält Natalia Dannenberg fest, "wäre ich nicht da, wo ich heute bin. Wenn es nicht so einfach gewesen wäre und ich ein Visum gebraucht hätte, wüsste ich nicht, wo ich jetzt leben würde." Das Europa, dass ihr ermöglicht hat, nach Deutschland zu ziehen, "sollte gefeiert und nicht gefürchtet werden."