Supermärkte: Bei Menschenrechten eher nachlässig
1. Juli 2020Im Pressebereich der Edeka-Gruppe verweist das Unternehmen auf seinen Verdienst an der Umwelt. "Thunfisch nur noch mit Umwelt-Siegel", Bio-Apfelsaft gibt's jetzt mit Artenschutz-Plus, heißt es da beispielsweise.
Doch dort, wo sich um das Wohl der Tiere gekümmert wird, scheint man es mit dem Wohl der Menschen nicht so ernst zu nehmen. Das zumindest legt der internationale "Supermarkt-Check" von Oxfam nahe. Die Edeka-Gruppe belegt darin den letzten Platz. Mit einem Jahresumsatz von fast 56 Milliarden Euro im abgelaufenen Jahr zählt die Unternehmensgruppe zur größten Supermarktkette des Landes.
Einmal im Jahr schaut die Nichtregierungsorganisation Oxfam auf insgesamt 16 einflussreiche Supermarkt-Gruppen in Großbritannien, USA, Deutschland und den Niederlanden und klopft die 16 Unternehmen auf ihre Menschenrechtspolitik ab. Ob Teepflückerinnen im indischen Assam oder Erntehelferinnen auf Mango-Plantagen in Brasilien - oft würden die Menschen, die Lebensmittel für deutsche Märkte anbauen, mit Hungerlöhnen abgespeist, heißt es in der Studie.
Sie kommt zu dem Schluss: Für den Preiskampf an der Ladentheke bezahlen die Menschen in den globalen Lieferketten. "Die Supermärkte haben die Macht und die Verantwortung etwas zu ändern", sagt Studienautorin Franziska Humbert von Oxfam. Tatsächlich ist der deutsche Lebensmittelhandel stark zentralisiert.
Während Oxfam seit zehn Jahren punktuell Menschenrechtsverletzungen der Supermärkte in unterschiedlichen Bereichen an den Pranger stellt, geht es beim Supermarkt-Check seit drei Jahren um das große Bild. "Wir müssen systematisch die Geschäftspolitik der Supermarktketten angehen", so Humbert.
Der Druck habe sich schon ausgezahlt, ist sich die Studienautorin sicher. So hätte beispielsweise Lidl bereits seine Hauptlieferanten veröffentlicht. "Die mussten sich überwinden, weil sie Angst hatten, Geschäftsgeheimnisse preiszugeben", sagt Humbert im DW-Gespräch. Lidl und Aldi hätten auch eigene Teams eingerichtet, die sich konzentriert mit dem Thema Menschenrechte befassen. "Bisher waren nur die Presse-Abteilungen dafür zuständig", berichtet Humbert.
Edeka: "Kampagne und keine objektive Studie"
Beim Supermarkt-Check untersuchen die Autoren vier Bereiche: Transparenz und Strategie, Arbeitnehmerrechte bei den Lieferanten, Beziehungen zu den Kleinbauern und Geschlechtergerechtigkeit und Frauenrechte. Für ihre Analyse durchforsten sie dabei öffentlich zugängliche Informationen in Nachhaltigkeitsberichten und auf Internetseiten. Insgesamt gibt es 100 Bewertungskriterien, die laut Oxfam auf internationalen Standards basieren.
Genau hier sieht Edeka auch Grund zur Kritik. Oxfam bewerte nur die Außendarstellung, nicht aber das wirkliche Engagement, so die schriftliche Antwort auf eine DW-Anfrage. "Beim 'Supermarkt-Check' handelt es sich um eine Kampagne, nicht um eine objektive Studie", heißt es weiter.
Bei Oxfam verweist man darauf, dass die Bewertungskriterien öffentlich zugänglich seien und Edeka eben auch aktiver die eigenen Projekte auf seiner Webseite abbilden müsse. Es reiche nicht, wenn Edeka nur behaupte, Projekte zu haben. "Sie müssen das auch auf ihrer Internetseite abbilden, damit wir das dann auch bewerten können", sagt Humbert.
Kommt das Lieferkettengesetz?
Zu Beginn des Supermarkt-Checks vor drei Jahren schnitten deutsche Supermärkte schlechter ab als der US-Einzelhandelsriese Walmart. Mittlerweile sieht es nicht mehr so düster aus. Dennoch liegen die deutschen Einkaufsriesen noch immer hinter der Konkurrenz aus Großbritannien, die knapp die Hälfte der zu vergebenden Punkte erreichten.
Ein Grund für das Abschneiden von Tesco und Sainsbury's seien die politischen Rahmenbedingungen, sagt Humbert. Denn seit fünf Jahren gilt in Großbritannien der UK-Modern-Slavery-Act. Darin werden die großen Unternehmen verpflichtet, Anstrengungen zu unternehmen, um moderne Sklavenarbeit - etwa durch Ausbeutung aufgrund von Drohungen, Gewalt, Zwang, Täuschung oder Machtmissbrauch - zu unterbinden. Folgt man Franziska Humbert von Oxfam, hat das Gesetz aus Großbritannien bereits Aldi und Lidl zum Umdenken "angetrieben".
Auch in Deutschland sollen Unternehmen stärker in die Pflicht genommen werden. So will es zumindest der deutsche Entwicklungsminister Gerd Müller. Er fordert ein Lieferkettengesetz. Demnach könnten Unternehmer stärker für Umwelt- und Menschenrechtsverletzungen haftbar gemacht werden. "Alle großen Unternehmen wären dann verpflichtet, dort wo unsere Schuhe, Kleidung, Kaffee produziert werden, faire Löhne zu bezahlen und Kinderarbeit zu beenden", so Müller.
Dieses Gesetz würde auch Supermärkte betreffen. Doch bisher ist es alles andere als klar, ob das Gesetz auch kommt. Denn innerhalb der Bundesregierung war es eher umstritten. Dort setzt man auf freiwilliges Engagement, um die deutsche Wirtschaft nicht zu stark durch Regeln zu belasten.
In Zeiten von Corona befürchten viele, dass sich diese Haltung nun durchsetzt. Entwicklungsminister Müller will das Gesetz dennoch von Deutschland aus nach Europa bringen. Oxfam unterstützt das Vorhaben. Auch einige Supermärkte hätten sich bereits dafür ausgesprochen, "weil sie einen fairen Wettbewerb wollen", sagt Franziska Humbert. Denn wer sich derzeit an gewisse Standards hält, der hat einen Wettbewerbsnachteil, so lange die Standards nicht verpflichtend sind.
Auf eine DW-Anfrage hat der Bundesverband Lebensmittel nicht reagiert. Aus früheren Interviews der DW geht aber hervor, dass man im Bundesverband Einzelhandel eher zurückhaltend ist. Für Humbert von Oxfam steht aber auch fest: "Zum großen Durchbruch ist es noch ein weiter Weg. Und den kann man nicht machen ohne den Verbraucher." Denn höhere Standards an die Lieferkette schlagen sich am Ende auch auf den Preis nieder.