"Ab heute esse ich keinen Döner mehr!"
20. April 2017Im "Café Orange" in Bonn treffe ich sie beide: den Deutschen, der nicht versteht, wie ein Türkeistämmiger, der hier in Deutschland Freiheit und Sicherheit genießt, ein autoritäres System wählen kann, und den Türken, der "Ja" zu Erdogans Präsidialsystem gesagt hat und der die selbsternannten deutschen Politikexperten, die ihm jetzt überall begegnen, überheblich und lächerlich findet. "Ab heute esse ich keinen Döner oder keine Falafel mehr! Sowas höre ich. Was für ein Unsinn da geredet wird", erzählt Özen K. über seine Begegnungen mit Deutschen nach dem Referendum. Da hat er sich bereits in Rage geredet, spricht laut und mit weit aufgerissenen Augen. Doch niemand beschwert sich. Im Café Orange wird eigentlich nicht über die türkische Politik geredet. Mehmet jedenfalls, der Besitzer, hält sich mit seiner Meinung zurück. Ich weiß jetzt auch, warum. Um Politik geht es in dem Gespräch mit Özen erst in zweiter Linie. In erster geht es um Emotionen.
"Diese Wahl war unerklärlich dumm!"
Mehr als 400.000 in Deutschland lebende Türken haben für die Verfassungsreform und das Präsidialsystem gestimmt. Die Gründe dafür sind verschieden, und ich will zumindest versuchen, sie nachzuvollziehen. Doch die Ja-Sager sind nicht leicht zu finden. Mehmet, der sein kleines Café in der Nähe des Bonner Hofgartens führt, kennt niemanden, der mit "Ja" gestimmt hat. Er selbst hat nur die deutsche Staatsbürgerschaft und konnte deshalb nicht wählen. "Ich hätte mit 'Nein' gestimmt", verrät er. Allerdings vermeide er das Thema, vor allem im Gespräch mit Türken. Er habe das Gefühl, es herrsche ein starkes Schubladendenken innerhalb der türkischen Gemeinschaft, und er hat keine Lust, in der Verräter-Schublade zu landen.
Ich frage also einen deutschen Stammkunden, der seinen Namen in diesem Zusammenhang nicht nennen möchte, nach seiner Meinung. Die ist beispielhaft für einen großen Teil der Deutschen: Die Türken sollen sich doch bitte für ein staatliches System entscheiden! Das "Ja" für Erdogans Präsidialsystem empfindet er, wie viele andere auch, als Schlag gegen den deutschen Rechtsstaat, in dem diese Wähler immerhin in Ruhe leben können.
Hakan ist derselben Meinung. Als Kind türkischer Eltern wurde der 31-jährige in Deutschland geboren und konnte selbst nicht wählen. Seine Eltern haben mit "Nein" gestimmt. Verständnis für die Ja-Sager? Hat er nicht, im Gegenteil. "Unerklärlich dumm" sei diese Wahl, sagt er. Er werde oft nach seiner Meinung gefragt, ob er für oder gegen Erdogan sei, von Arbeitskollegen beispielsweise. Auch wenn es ihm nichts ausmacht, positionieren muss er sich.
Junge Türken unter Druck
Der Journalist Eren Güvercin sagt, dass es vielen jungen Menschen so geht. Seiner Erfahrung nach geraten bereits Schulkinder unter Druck, sich politisch klar zu verorten. Er glaubt, dass der Ausgang des Referendums das Verhältnis zwischen Deutschen und Türken langfristig schädigen könnte. Vor allem junge Türken werden die Folgen des Ergebnisses in der Schule, der Uni und am Arbeitsplatz ausbaden müssen, meint Güvercin. "Die Älteren leben viel zurückgezogener und nehmen nicht in dieser Weise am gesellschaftlichen Leben teil. Der unterschwellige Rassismus, der sich jetzt zeigt, den werden die jungen Leute abbekommen", glaubt der Journalist.
Aysun und seine Tante Ada haben von schiefen Blicken oder Anfeindungen bisher noch nichts mitbekommen. Ich treffe die beiden in der Bonner Altstadt unter den blühenden Kirschbäumen. Sie gehören zur Nein-Fraktion und sprechen gerne darüber. Aysun übersetzt für seine Tante, die erst seit sechs Monaten in Deutschland ist und sich einem Interview sprachlich nicht gewachsen fühlt. "Die Deutschen sind ganz normal zu uns und verhalten sich wie immer", erzählt der zehnjährige Aysun. Ada findet Deutschland wunderschön und wünscht sich hier zu bleiben.
Im "Ümit-Market", einem türkischen Supermarkt in der Bonner Altstadt, dreht sich die Welt weiter wie zuvor. Auch viele Deutsche kaufen hier gerne ein, es gibt Obst und Gemüse, Fladenbrot, Oliven und Gewürze. "Ich merke keinen Unterschied zu vor dem Referendum", sagt Enes Celik, der im Ümit-Market arbeitet. Ihn interessiere die türkische Politik nicht, deshalb habe er auch nicht gewählt. Dem 24-jährigen begegneten die Deutschen nicht feindselig oder misstrauisch, jedenfalls merke er davon nichts.
Der Trotz der Betrogenen
Sind die Gräben zwischen Deutschen und Türken also vielleicht doch nicht so tief, wie die Sprache in den sozialen Netzwerken einen glauben lassen? Dort überbieten sich beide Seite in Polemik und Beleidigungen. Die einen sind "Nazis", die anderen "zu dumm für Demokratie". Auf der Straße sind die Töne leiser und die Ja-Sager bisher unsichtbar.
Ich kehre zurück ins Café Orange, auf Mehmets Rat hin. Jetzt am Nachmittag erwartet er einen Stammgast, von dem er glaubt, er könne mit "Ja" gestimmt haben. Mehmet hat recht, doch das möchte Özen K., ein 39-jähriger Gastronom, erstmal nicht so gerne zugeben. Doch die Zurückhaltung währt nicht lange, dann sind wir mitten in einer hoch emotionalen Debatte. Özen glaubt, die meisten Türken wollten der EU mit ihrer Wahl eine Absage erteilen nach dem Motto: Ihr habt uns jahrelang eure Standards auferlegt und uns trotzdem eigentlich nie in die EU aufnehmen wollen. Dann wählen wir die Demokratie nach westlichem Vorbild halt wieder ab! Dass die jahrzehntelange Aussicht auf einen Beitritt der Türkei in die EU als einzige Heuchelei zu bewerten ist, darin sind sich der deutsche und der türkische Stammkunde des Café Orange einig. Wie weit der Trotz über den empfundenen Betrug reicht, macht Özen eindrucksvoll deutlich: "Die Todesstrafe wird wieder eingeführt", da ist er sicher. Die wurde schließlich nur abgeschafft, um die Auflagen für den EU-Beitritt zu erfüllen. "Wenn es dazu ein Referendum gibt, dann stimme ich mit Ja."
"Wir fürchten am meisten, was wir nicht verstehen"
"Ja, diese Trotzhaltung ist sehr verbreitet", sagt Zafer Mese, Politikwissenschaftler aus Frankfurt. Er ist auch für das Präsidialsystem, aber abstimmen konnte er nicht, er besitzt die deutsche Staatsbürgerschaft. Die Todesstrafe ist für ihn inakzeptabel und er glaubt nicht, dass es überhaupt zu einer Abstimmung darüber kommen wird. Weder Trotz noch verletzter Stolz treibe ihn an, sagt er.
Er wünscht sich eine stabilere Türkei und hat den Eindruck, dass das mit einem parlamentarischen System nicht funktioniert - jedenfalls nicht in der Türkei. Was er dann in Deutschland zu suchen habe, sei er in den letzten Monaten schon oft gefragt worden. "Ich reagiere dann aber überhaupt nicht aggressiv, ich glaube, das enttäuscht viele Leute, die sich einfach streiten wollen", sagt Mese. Die Ausgangssituation in Deutschland sei eine ganz andere als in der Türkei, man könne das nicht vergleichen. "Meine deutschen Freunde kennen meine Ansichten und respektieren sie. Und manche Kritik, die sie haben, ist ja auch berechtigt." Man begegne sich mit "intellektueller Empathie", sagt Mese. Er wünscht sich, dass die Türkeistämmigen stärker Anteil nehmen an gesellschaftlichen und politischen Themen. "Es gibt da eine Bringschuld unsererseits", meint Mese, der selbst mal für den CDU-Politiker Ruprecht Polenz gearbeitet hat. "Wir könnten die Brücke zwischen Deutschland und der Türkei sein." Daran glaubt er, trotz der aufgeheizten Stimmung?
"So ist der Türke", erklärt mir Özen: aufbrausend und laut, wenn ihn etwas emotional bewegt. Ist der Sturm vorbei, könne man doch einfach zusammen was trinken gehen. Fragt sich, ob die Deutschen da mitmachen.