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Deutsche Wirtschaft leidet in Russland

Sabine Kinkartz, Berlin18. Dezember 2015

Während in Brüssel eine Verlängerung der EU-Sanktionen beschlossen wurde, finden sich in Deutschland mehr und mehr Zweifler.

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Russland Rubel Symbolbild Sanktionen Konsequenzen
Bild: picture-alliance/dpa/Christian Ohde

Der deutsche Wirtschaftsminister hat es getan und der bayerische Ministerpräsident wird es auch tun: persönlich beim russischen Präsidenten Wladimir Putin vorstellig werden.

Für den 4. Februar 2016 plant Horst Seehofer einen Besuch in Moskau. "Wir haben genug zu bereden: die Flüchtlinge und die Bekämpfung der Fluchtursachen, die Sicherheitslage in vielen Regionen der Welt und natürlich den Zusammenhang Ukraine und Sanktionen", sagte Seehofer der Deutschen Presse-Agentur. "Man muss die Frage stellen, wollen wir die Sanktionen auf unbegrenzte Zeit laufen lassen? Oder ist es an der Zeit, darüber zu reden?"

Der bayerische Ministerpräsident hat seine exportstarke Wirtschaft im Nacken sitzen. Unternehmen, die Geschäfte mit Russland machen, leiden unter den von der EU verhängten Strafmaßnahmen. Um 30 Prozent ist der Handel mit Russland in diesem Jahr eingebrochen, im Vergleich zu 2013 haben sich die Exportzahlen fast halbiert.

"Wir werden zum Jahresende ein Absatzvolumen von etwas über 20 Milliarden Euro haben, mit etwas Glück werden es vielleicht 22 Milliarden Euro werden", sagt Volker Treier, der Außenwirtschaftschef des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK). Im kommenden Jahr werde es weiter abwärts gehen, der DIHK prognostiziert ein weiteres Minus von rund fünf Prozent.

Deutsche Firmen klagen

Auch die in Russland ansässigen deutschen Firmen sind zunehmend unzufrieden. In einer aktuellen Umfrage der Deutschen Auslandshandelskammer (AHK) Russland unter ihren 850 Mitgliedern gaben zwei Drittel der Unternehmen an, die Sanktionen würden wirtschaftlich Wirkung zeigen – aber damit mit gleicher Wucht auch die deutschen Unternehmen treffen. Jedes zweite Unternehmen klagt über Beschränkungen am Finanzmarkt. Jede vierte Firma fühlt sich von den Sanktionen bei Dual-Use-Gütern betroffen, die sowohl für zivile als auch für militärische Zwecke genutzt werden können.

80 Prozent der Befragten sind zudem der Meinung, dass die Sanktionen überhaupt nicht die gewünschte Wirkung zeigten. "Unsere Mitgliedsunternehmen sagen, an der politischen Haltung von Russland hat sich nichts geändert, egal ob wir nun Sanktionen haben oder nicht", so der Präsident der deutsch-russischen AHK, Rainer Seele. Im August vergangenen Jahres sah das noch anders aus. Damals äußerten sich nur 38 Prozent der befragten Unternehmen skeptisch.

Russland im Abwärtssog

Inzwischen habe sich die wirtschaftliche Lage in Russland jedoch so verschlechtert, dass die Sanktionen zusätzlich "katalytisch verstärkend" wirkten, formuliert Seele. Russland sei in einer ausgemachten Rezession, der Tiefpunkt noch nicht erreicht. "Der Markt kommt erst 2017 wieder in Schwung." Für deutsche Unternehmen habe das schwerwiegende Konsequenzen. "Die deutsche Wirtschaft leidet in Russland, und sie leidet sehr deutlich."

Erschwerend hinzu kommen die von Russland gegen die Türkei verhängten Wirtschaftssanktionen. Laut der AHK-Umfrage sind zwei Drittel der in Russland aktiven deutschen Unternehmen davon betroffen. "Dazu zählt beispielsweise die Autoindustrie, die bestimmte Ersatzteile aus der Türkei bezieht", erklärt Seele.

Es komme zu teilweise erheblichen Verzögerungen durch den Zoll, es würden auch Lieferungen abgelehnt. Schwierigkeiten gibt es auch, wenn deutsche Unternehmen türkische Mitarbeiter in Russland beschäftigen. "Auch diese Sanktionen werden sich - machen wir uns nichts vor - negativ auf das Geschäft von deutschen Unternehmen in Russland auswirken."

Globale Verkettungen

DIHK-Chef Treier sieht bereits eine "Sanktionsspirale" im Gang. "Ich befürchte, dass das Instrument der Sanktionen wie eine Büchse der Pandora um sich greift." Das sei beunruhigend, denn Deutschland sei in seiner Produktion über Wertschöpfungsketten mit vielen Ländern verbunden und dadurch sehr angreifbar.

Dem wachsenden Konkurrenten China verschaffen die Sanktionen hingegen einen Vorteil. "Immer mehr Top-5-Konkurrenten von deutschen Unternehmen in Russland kommen aus China", stellt Treier fest. "Chinesische Firmen kaufen sich jetzt ein und gehen in große Projekte. Mittelfristig gibt es die Gefahr, dass deutsche Unternehmen verdrängt werden."

Vor diesem Hintergrund wächst beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag die Kritik an den Sanktionen gegen Russland. Von politischer Seite könne doch "zumindest die Hand ausgestreckt" und avisiert werden, "dass die eine oder andere Sanktionsmaßnahme überdacht werden könne", fordert Volker Treier.

Es seien vor allem die Finanzmarktbeschränkungen, die einen enormen Einfluss auf die russische Krise und damit auch auf die Krise im deutsch-russischen Handel haben. "Wir sollten uns nicht zu schade sein, von europäischer Seite vielleicht auch einen ersten Schritt zu machen und hier ein Zeichen zu setzen."

Wem nützen die Sanktionen, wem schaden sie?

Ähnlich argumentiert AHK-Präsident Rainer Seele. "Ich empfehle, Russland auf europäischer Seite wieder als wirtschaftsstrategischen Partner zu definieren", fordert der Chef von Österreichs größtem Industriekonzern, dem Öl- und Gaslieferanten OMV. Das Unternehmen will allen Schwierigkeiten zum Trotz weiterhin in Russland investieren. "Von der Kostensituation ist Russland sehr attraktiv", so Seele, dem an einer Entspannung im Verhältnis zu Russland naturgemäß sehr gelegen ist.

Frankreich Klimagipfel in Paris Merkel und Putin
Das Lächeln trügt: Merkel ist für eine Verlängerung der SanktionenBild: Reuters/S. Mahe

Mit Blick auf die Politik schlägt er vor, die Sanktionen in dem Maße zurückzuführen, in dem das Minsk II Abkommen umgesetzt werde. "Wir sind mit dem, was wir hören, noch nicht am Ziel angekommen, aber wir müssen auch zu erkennen geben, dass dort Fortschritte erzielt wurden", so Seele.

Für den bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer muss das noch nicht einmal ein Maßstab sein. "Wir haben nicht vor, die Vorgänge in der Krim zu relativieren", so Seehofer. "Das gab es schon oft in der Geschichte, dass man unter Aufrechterhaltung eines Rechtsstandpunktes trotzdem versucht hat, wieder zu einer normalen Gesprächsatmosphäre und zu einem vernünftigen Verhältnis zu kommen."